Mein Bruder - Der blaue Fleck in meinem Leben

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'' Blau
Blauer Fleck
Blau-Lila-Grün
Bald ist er weg
Aua ''

Ein Elfchen.

Ich habe es für meinen Bruder geschrieben.
Er hat mal gesagt, er möge blaue Flecken. Sie würden ihm helfen. Helfen gut zu fühlen. Glücklich zu sein.

Er hat auch gesagt, dass er es deshalb macht. Mich schlagen. Mama schlagen. Papa kann er nicht mehr schlagen. Er ist weg. Papa kann meinem Bruder auch nicht mehr helfen, das müssen jetzt ich und Mama machen.

Er sieht immer so traurig aus, wenn er eine Stelle ohne Flecken an uns sieht aber er weiß, dass man sie sehen könnte, wenn er zu viele macht. Er passt auf.

Er meint, nur er dürfe sie sehen, nur ihm dürften sie helfen. Er hat recht schließlich ist er mein großer Bruder.

'' Blauer Fleck

Es schallt. Er wird rot, kribbelt. Morgens darauf ist er schon blau, bald lila, dann gelb-grün. Der halbe Regenbogen ist zu sehn. Groß oder klein. Schmerzhaft oder Luft. Er schmückt mich, hilft und heitert auf. Schon muss er wieder gehen.
Bald werden wir uns wiedersehen. ''

Mein Bruder hat gesagt er möge meine Gedichte. Das ist schön. Sie helfen ihm. Wie die Flecken auf mir und Mama. Mama findet sie auch schön. Sie sieht zwar traurig aus, wenn sie sie liest aber ich weiß, dass sie meine Gedichte schön findet. Schließlich helfen sie meinem großen Bruder. Ihrem Sohn.

Nur meine Lehrer mögen sie nicht. Sie schauen so seltsam. Fragen warum ich das schreibe. Aber ich darf nichts sagen, darf nicht verraten wie glücklich sie meinen Bruder machen. Ich will nicht, dass jemand anders ihn glücklich machen könnte.

Das dürfen nur Mama und ich. Er ist ja mein Bruder und Mamas Sohn.

Ich sage ihnen ich würde beim Spielen hinfallen und fände sie schön. Faszinierend. So hat sie mein Bruder mal beschrieben. Ich weiß nicht was es bedeutet, faszinierend, aber wenn es ihn glücklich macht, muss es etwas Gutes sein.

Ich denke sie sind normal, schließlich muss man als kleiner Bruder seinem großen Bruder helfen. Ich mag es nicht, wenn er traurig ist.
Seine Augen sind dann so... so leer.

Wenn er mich schlägt, fangen sie an zu leuchten. Wie die Sterne. Ich mag die Sterne. Sie sind schön, wie mein Bruder, wenn er glücklich ist, wie meine Gedichte, wie unsere blauen Flecken. Meine und Mamas.

'' Ich bin glücklich.
Warum?
Sie sind noch da.
Wer?
Seine kleinen Helfer.
Wessen Helfer?
Die meines Bruders.
Wobei helfen Sie ihm?
Beim Glücklichsein.
Wo sind Sie?
Wer? Die kleinen Helfer?
Ja genau die.
Ich und Mama haben sie immer bei uns.
Wer sind Sie?
Sie sind groß oder klein. Blau, grün, lila oder gelb. Sie können weh tun aber sie helfen ihm. Die blauen Flecken.
Tut mir Leid ich muss gehn.
Bis bald! ''

Einmal da haben wir einen neuen Lehrer. Er sieht mein Gedicht. Er schaut auch. Und fragt. Ich sage dasselbe. Ich falle, finde sie schön, faszinierend. Er fragt mich was es heißt. Das Wort.

Ich weiß es nicht.

Er blickt mir in die Augen. Ich kann jeden Strich und jeden Punkt seiner honiggelben Farbscheibe sehen. Aber er sieht viel mehr von mir als ich von ihm.

Er sieht, dass ich lüge. Dass ich nicht beim Spielen falle, dass ich sie nicht schön finde, er sieht auch, dass ich das Wort, faszinierend, von jemand anderem habe. Von meinem Bruder.

Dann geht er. Verlässt den Klassenraum. Die Kinder freuen sich aber ich habe Angst. Hat er gesehen wie ich meinen großen Bruder glücklich mache? In meinen Augen?
Will er ihn jetzt auch glücklich machen?

Das darf er nicht! Er ist mein Bruder, Mamas Sohn. Nur wir dürfen ihm helfen.

Mein Bauch kribbelt. Die Angst fährt Achterbahn in ihm. So hat es mein Bruder mir erklärt. Normalerweise finde ich die Vorstellung lustig. Natürlich weiß ich, dass es nicht stimmt aber es ist lustig.

Heute nicht. Ich finde den Gedanken nicht lustig. Die Angst ist zu groß. Die Achterbahn zu schnell.

Abends komme ich heim. Mein Bruder hat mich nicht abgeholt wie sonst. Aber ich kenne den Weg, wir sind ihn schon oft zusammen gegangen. Oft hab ich ihn dort glücklich gemacht.

Zu Hause ist es still. Weder kann ich meinen Bruder hören, der versucht mit Mamas Hilfe glücklich zu werden, noch Mama, die sich dabei große Mühe gibt.

Aus dem Wohnzimmer kommt ein Schluchzen.

Nanu, konnte Mama meinen Bruder etwa nicht glücklich machen? Ist er wegen ihr so traurig? Mein großer Bruder weint nur ganz selten, wenn er uns lange nicht geschlagen hat, dann ist er traurig.

Wenn Mama es nicht kann, werde ich es machen, schließlich muss er glücklich sein.

Aber im Wohnzimmer weint nicht mein Bruder. Dort sitz Mama mit meinem neuen Lehrer. Sie ist an seiner Schulter. Er drückt sie an sich.

Oh, wahrscheinlich ist Mama auch zu traurig um, die Traurigkeit von meinem Bruder zu nehmen. Sie ist zu schwach.

Ich kann das, ich kann das für beide.

Ich stelle mich vor sie und sage es ihr. Dass ich sie glücklich machen werde, wie meinen großen Bruder, wie ihren Sohn, dass ich es kann.

Aber sie wird nicht glücklich, sie weint noch mehr und mein neuer Lehrer? Er sieht so mitleidig drein.

Ja, Mama muss wirklich sehr traurig sein, sogar er ist traurig. Aber warum wollen sie dann nicht glücklich werden? Glauben sie ich schaffe das nicht?

Ich laufe in das Zimmer meines großen Bruders. Wenn sie nicht wollen, mache ich eben ihn glücklich.

Aber er ist nicht da. Nirgends. Er kommt auch nicht wieder. Nach Tagen, Wochen, Monaten.

Mama ist wieder glücklich aber das dürfte sie nicht sein. Er ist doch jetzt traurig, ohne uns, ohne die blauen Flecken. Sie darf das nicht, er ist es bestimmt auch nicht.

Das denke ich anfangs aber...
Ich vergesse es, vergesse ihn, seine Traurigkeit, wie ich ihn glücklich gemacht habe aber...
Aber nicht die blauen Flecken.

Jetzt zwei Jahre später lese ich meine Gedichte, finde sie schön und traurig zugleich aber ich weiß nicht warum ich sie geschrieben habe. Warum ich so fasziniert von blauen Flecken war.

Dafür weiß ich was faszinierend bedeutet.
Und ich weiß, das aber auch nur weil es der damals neue Lehrer zu mir gesagt hat, dass es mir das Leben gerettet hat, dieses Wort, das ich nicht kannte.

Wie er darauf kommt, weiß ich nicht. Ich habe es vergessen.

Aber nicht die blauen Flecken.

Mein Bruder - Der blaue Fleck in meinem LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt