Kapitel 3

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Kenma und ich stapfen weiter durch den Schnee. Eigentlich hätten wir auch durch die Innenstadt gehen können, wo die Wege geräumt sind, aber dort waren Kenma eindeutig zu viele Menschen. Also kämpfen wir uns immer weiter durch die Schneehaufen in den Seitengassen Tokyos, wobei ich alle 5 Meter Kenma zur Seite ziehen muss, da dieser immernoch auf seinem Handy spielt und andauernd fast gegen irgendwelche Mülltonnen, Straßenlaternen oder Häuser rennt. Was tut man nicht alles für die Liebe seines Lebens! Schweigend nähern wir uns immer mehr unseren Häusern. Nachdem schließlich Kenmas Handyakku den Geist aufgibt und ich nicht mehr auf ihn aufpassen muss, hebe ich den Blick zu den Straßenlaternen und beobachte die nun langsam herunterfallenden Flocken aus gefrorenem Wasser. Sie erinneren mich an ein Gleichnis über die Sakura, welches mir meine Mutter immer erzählt hat, als ich noch ein kleiner Junge war.

Alle Menschen sind wie Sakurablütenblätter. Sie werden am Baum geboren und fallen auf den Boden, wo sie wieder zu Erde werden. Sie fallen mit vielen Anderen gemeinsam. Manche sind bereits näher am Boden, andere kommen von oben nach und auf ihrer Reise durch die Luft begegnen sich einige von ihnen und ihre Wege kreuzen sich. Ihre Wege werden durch Winde bestimmt. Es gibt Winde, die ihnen Auftrieb verschaffen, aber genauso gibt es auch Winde, die sie schneller nach unten drücken. Der Flug der Sakura ist nicht immer leicht, aber manchmal kommen sich zwei sehr nahe. Sie berühren sich. Sachte. Weich. Sie tanzen gemeinsam in Richtung Boden, doch sie können auch wieder von einem Wind auseinander gerissen werden. Aber manchmal werden sie auch noch enger zusammengedrückt. Doch auf dem Boden, wenn beide gemeinsam mit vielen Anderen zu Erde werden, sind alle Teil eines Kreislaufs. Sie alle werden zu einem und nichts kann sie mehr trennen.

Ich habe diese Geschichte als Kind geliebt, auch wenn ich ihre Bedeutung nie so richtig verstanden hatte. Jetzt gehe ich hier mit Kenma durch die Straßen und fühle, dass er dieses eine Sakurablütenblatt ist, welches mir noch recht früh auf meinem Weg begegnet ist und welches ich auf diesem berühren möchte und das so lange, wie nur möglich. Aber mir ist bewusst, dass das nur Träumereien sind und dass es nicht geht, denn nie im Leben liebt er mich auf die gleiche Art, wie ich ihn aus ganzem Herzen liebe. Und das tue ich, mit jeder Zelle meines Körpers. Mist! Jetzt habe ich ihn schon wieder so angestarrt! Aber dieses Mal scheint er es wenigstens nicht gemerkt zu haben. Ich richte meinen Blick auf den Boden vor meinen Füßen. Wir sind fast an unserem Ziel, als der kleinere Junge neben mir das herrschende Schweigen bricht.
"Hinata wird wirklich immer besser. Er ist ein guter Mensch und auch ein guter Freund."
Kenmas Worte versetzen mir einen Stich. Ich weiß, es klingt egoistisch, aber ich möchte meinen Kenma nicht mit einem Anderen teilen. Natürlich freue ich mich für sie, dass sie Freunde geworden sind. Ich mag den kleinen, orangenen Sonnenschein ja auch, aber es tut mir dennoch weh zu sehen, wie Kenma einem Anderen immer näher kommt.
"Du hast Recht.", antworte ich einfach nur und hoffe, dass er meinen verletzten Unterton überhört hat. Hat er aber nicht.
"Keine Sorge, du bleibst natürlich immer mein bester Freund.", verspricht er mir leicht amüsiert, den goldenen Blick immernoch auf die herunterfallenden Flocken, die in dem hellen Licht einer Straßenlaterne tanzen, gerichtet. Zum Glück scheint er nicht den wahren Grund meiner Verletztheit bemerkt zu haben. Ich weiß, er sagt das, damit ich mir keine Gedanken machen muss, doch die Worte versetzen mir nur erneut einen Stich. Sie führen mir wiedereinmal vor Augen, wie unser Verhältnis zueinander ist. Wir sind beste Freunde und nichts mehr, allerdings auch nichts weniger. Ich spiele meinem leider-nur-besten-und-nicht-festen-Freund ein Grinsen vor.
"Na dann."
Wir gehen weiter, nun betreten wir bereits die richtige Straße. Als wir nur noch ein paar Meter von unseren Häusern entfernt sind, bleibt Kenma plötzlich mit einem Schaudern stehen. Scheinbar ist ihm wirklich kalt. Ich würde ihm sehr gerne meine Jacke geben, oder ihm meinen Arm um die Schultern legen, doch dann könnte ich mir auch einfach gleich ein Schild um den Hals hängen, auf dem in Leuchtschrift Tetsurõ Kuroo ist verknallt in seinen Besten Freund Kenma Kozume steht. Also unterdrücke ich den Impuls.
"Hm? Hast du was vergessen?", frage ich stattdessen und hoffe, dass dies nicht der Fall ist. So sehr ich ihn auch liebe, bei diesem Wetter will ich nicht noch einmal den ganzen Weg zum Bahnhof zurücklaufen.
"Kann.. ich vielleicht bei dir übernachten?", fragt Kenma mich nach einem kurzen Blick auf seine Uhr. Es ist kurz nach Mitternacht.
"Ja, natürlich. Möchtest du nicht nach Hause?", entgegne ich verwirrt. Er hat mich noch nie so direkt gefragt, ob er bei mir schlafen dürfe. Wenn er sonst bei mir übernachtet hat, ist er einfach nicht gegangen und es war so auch ganz natürlich für uns.
"Ich... möchte meine Eltern nicht wecken.."
Er schaut mir nicht in die Augen. Sein Verhalten ist wirklich rätselhaft in letzter Zeit. Ich öffne die Haustür und schmeiße sowohl meine Sporttasche, als auch meine Schuhe achtlos in eine Ecke. Wir müssen nicht aufpassen leise zu sein, da meine Eltern nicht zu Hause sind. Sie wurden zu der Hochzeit ihrer Freunde eingeladen und würden heute Nacht dort übernachten. Eigentlich sollte ich mitkommen, doch ich konnte mich durch das heutige Trainingsspiel vor den deprimierenden Gedanken retten, welchen ich auf einer Hochzeit ausgesetzt gewesen wäre. Außerdem wollte ich nicht so weit weg von Kenma sein. Andere Jungs in meinem Alter würden diese Gelegenheit sicher ausnutzen, indem sie eine Party veranstalten, sich die ganze Nacht lang in teuren Nachtclubs rumtreiben oder unanständige Sachen mit ihren Geliebten anstellen. Ich werfe Kenma einen schnellen Seitenblick zu und schäme mich daraufhin für meine plötzlich aufkommenden Gedanken. Ich bin nicht so einer. Während Kenma bereits die beiden Treppen zu meinem Zimmer hochgeht, mache ich noch kurz in der Küche Halt, um uns ein paar Snacks und Getränke zu holen. Und natürlich Apfelkuchen, Kenmas Lieblingsessen. Ich habe extra einen Backkurs belegt, damit ich ihn hin und wieder mit einem frischen Stück Kuchen überraschen kann. Oh Gott! Dieser Typ würde mich sogar dazu bringen, in einem Volleyballspiel auf Nationalebene im Bikini aufzutauchen und Balett zu tanzen, solange es ihn nur glücklich macht!

KuroKen: Sakura Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt