Kapitel 6

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Irgendwann schien ich doch eingeschlafen zu sein, da ich von ein paar Sonnenstrahlen geweckt werde, die mir in der Nase kitzeln. Immer noch müde öffne ich meine schweren Augen. Etwas Warmes regt sich an meinem Rücken. Vorsichtig drehe ich mich um und blicke auf den noch immer seelig ruhig schlafenden Kenma. Mit Schrecken fällt mir wieder ein, was ich letzte Nacht bei ihm entdeckt habe, aber wenigstens scheint er jetzt ohne schlechte Träume schlafen zu können. Ich sollte ihn nicht wecken, also ziehe ich die Decke sanft zurück über seine schmalen Schultern und kuschele mich zurück neben ihn. Seufzend betrachte ich sein friedliches Gesicht. Ich liebe ihn wirklich über Alles. Plötzlich wird sein Atem schneller und er fängt an sich zu bewegen. Oh nein, geht es etwa schon wieder los? Doch da öffnet er die Augen und sieht mich verschlafen an.
"Morgen", murmelt er und greift ohne eine Antwort abzuwarten zu den beiden Fernbedienungen auf meinem Nachttisch. Eine für den Fernseher, eine für die Konsole. Dabei beugt er sich über mich und das immer noch viel zu große Shirt rutscht leicht über seine Schulter. Blitzschnell zieht er es wieder hoch, doch ich habe ihn bereits gesehen. Diesen riesigen, dunkel lilanen Fleck. Er sieht viel schlimmer aus als die, die ich gestern bei ihm gesehen habe. An einer Stelle klebt sogar noch eingetrocknetes Blut. Jetzt verstehe ich auch endgültig, warum er sich nicht mehr mit uns Anderen zusammen umzieht. Ich starre ihn an und mir wird schlecht. Das Ganze ist noch viel schlimmer, als ich letzte Nacht noch gedacht hatte.
"Kenma, was ist passiert?", Frage ich ihn leise, nachdem ich mich halbwegs gesammelt habe und sich mein Magen beruhigt hat. Er weicht meinem Blick aus.
"Nichts", flüstert er.
"Genau", antworte ich ironisch und ziehe meine rechte Augenbraue hoch.
"Wieso sollte etwas sein?", erwiedert er und sieht mir weiterhin konsequent nicht in die Augen.
"Da fragst du noch?", rufe ich aus.
Es tut mir so Leid, süßer, aber ich muss das jetzt tun. Ich beuge mich nach vorne, fasse den unteren Rand seines Oberteils und ziehe es ihm über den Kopf. Halb nackt sitzt mein bester Freund beziehungsweise meine große Liebe jetzt vor mir und sieht mich erschrocken an.
"Bitte, Kätzchen. Sag mir, was dir passiert ist.", sage ich sanft und rücke ein Stück näher an ihn heran.
"Also.. ich... ich bin die Treppe runtergefallen", stottert er.
"Passiert dir das etwa so oft, dass da Flecken sind, die neu aussehen und welche, die schon fast verblasst sind?"
Eindringlich schaue ich ihn an.
"Ich.. bin eben tollpatschig.."
Ich kenne Kenma schon so lange und eines weiß ich genau: Er ist geschmeidig wie eine Katze. Da ist keine Spur von Tollpatschigkeit in seinem schmalen Körper.
"Kenma, vertraust du mir nicht?"
Ich schaffe es endlich, seinen nur stumpf wirkenden Blick festzuhalten.
"Doch, Kuroo. Du bist mein bester Freund. Ich vertraue Niemandem so sehr wie dir."
Auf der einen Seite bin ich erleichtert über seine Antwort. Er vertraut mir! Aber auf der anderen Seite tut es mir weh, weil er mich immernoch nur als Freund sieht, aber auch weil er mir trotzdem nicht die Wahrheit sagt. Dass er lügt, sieht man ihm einfach direkt an und es ist ungewohnt, denn er hat mich in all den Jahren unserer ungleichen Freundschaft noch nie angelogen.
"Bitte, lass uns einfach spielen.", fährt er fort und schaltet die Geräte ein. Mit hängenden Schultern stimme ich schließlich zu. Ich kann ihn nicht dazu zwingen, es mir zu erzählen. Er muss sich erst von selbst dazu bereit fühlen.
"Ich bin immer für dich da", sage ich deswegen nur zu ihm und beginne, mich von ihm fertig machen zu lassen. Im Spiel natürlich. Doch etwas ist anders, er ist seltsam abgelenkt und seine Reaktionszeit ist einen Tick länger als sonst. Er legt seinen Kopf auf meinen Rücken und ich genieße die leider nur freundschaftliche Nähe. Man sollte meinen, diese Nähe zuzulassen, ohne mehr zu bekommen, würde mit der Zeit leichter, doch das stimmt nicht. Im Gegenteil: Es wird immer schwieriger und zerreißender! Manchmal fühle ich geradezu, wie die Hormone meinen Körper übernehmen und ich kann gerade noch verhindern, ihn einfach wie in einem meiner schönen Träume zu küssen.
"Du machst es mir zu leicht!", vernehme ich da auch schon seine sanfte Stimme. Mist! Ich habe mich viel zu sehr auf ihn konzentriert und überhaupt nicht mehr auf das Spiel geachtet! Den Rest des Tages verbringen wir spielend und ich werde langsam hungrig. Es wundert mich, dass mein Freund nicht einmal vorgeschlagen hat, etwas zu essen. Während mein Bauch langsam, aber sicher vor hunger anfängt wehzutun, scheint seiner nicht einmal zu knurren. Er ist sowieso viel zu dünn. Isst er genug? Wahrscheinlich nicht. Zumindest würde es mich stark wundern. Dann muss ich eben dafür sorgen.
"Wollen wir eine Pause machen und etwas Essen?", frage ich, doch er schüttelt nur den Kopf.
"Aber wir hatten heute noch Nichts Ich habe Hunger!", jammere ich.
"Nagut", sagt mein Kätzchen gleichgültig und drückt auf Pause. Mit Staunen sehe ich, dass wir bereits 18 Uhr haben. Noch haben wir den 23. Dezember, dem entsprechend haben noch einige Lokale offen. Ich angele mein Handy aus meiner Hosentasche und bestelle zwei Pizzen. Für mich eine Tonno und für Kenma ebenfalls, allerdings ohne Zwiebeln. Ich weiß ganz genau, was er gerne isst und muss deswegen nicht nachfragen. Bis unser Essen da ist, vergeht fast eine Stunde. Mein Magen knurrt und knurrt immer lauter und langsam nervt es mich. Wie hält das mein kleinerer Freund nur aus? Vor Erleichterung wird mir ein wenig schwindelig, als es endlich an der Tür klingelt. Ich springe, zum Ärgernis Kenmas, welcher bis gerade eben immer noch gegen mich gelehnt da gesessen hatte, auf. Auf dem Weg nach unten nehme ich genug Geld mit, um die Pizzen auch bezahlen zu können. Als ich dann endlich voller Erwartung und Vorfreude die Tür aufreiße, halte ich überrascht inne. Vor meiner Tür steht nicht der Pizzaservice, sonder Kenmas Mutter!
"Hey, Kuroo. Kenma ist doch bei dir, oder?", begrüßt sie mich. Ihre Stimme klingt ein wenig besorgt.
"Ja, er ist hier. Hat er nichts gesagt?", frage ich sie und sie schüttelt nur den Kopf. Das ist sehr ungewöhnlich, er sagt sonst immer Bescheid.
"Wir haben Pizza bestellt", sage ich, um die Stille zu überbrücken.
"Ah, sehr gut. Weißt du, ich mache mir Sorgen um ihn. Ich habe das Gefühl, dass er kaum noch was isst. Ich weiß einfach nicht, was los ist. Er redet auch nicht mehr mit mir. Weißt du vielleicht etwas?"
Ratlos sieht sie mich an. Ihre ebenso goldgelben Augen sind dunkel überschattet. Sie scheint sich wirklich große Sorgen zu machen, wie ich auch.
"Nein, aber es ist mir auch aufgefallen."
Ich beschließe, ihr erst einmal nichts von den vielen Hämatomen zu erzählen. Ich möchte das Vertrauen meines Freundes nicht missbrauchen.
"Oh nein, wenn nicht einmal du etwas weißt. Er vertraut dir so sehr."
In einer verzweifelten Geste streicht sie sich ihre langen, dunkelbraunen Haare nach hinten.
"Aber ich bin eigentlich auch nur hier,  um ihn nach Hause zu holen. Weißt du, wir haben im Moment Besuch und ich dachte, er sollte dann wenigstens über Weihnachten etwas Zeit mit ihm verbringen. Es ist in letzter Zeit ja kaum noch zu Hause.", erklärt sie mir und ich nicke.
"Ich sage ihm Bescheid"
Wir verabschieden uns und als ich gerade wieder die Tür schließen will, fährt ein Auto in unsere Auffahrt. Die Pizza, na endlich!

KuroKen: Sakura Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt