Kapitel 5

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In meinem Traum sind Kenma und ich zusammen. Hand in Hand gehen wir in dem Park hinter unseren Häusern spazieren. Wir bleiben stehen, er sieht mich an, mit seinem wunderbar goldenen Blick. Er leuchtet so hell und ist so voller Leben. Ich hebe meine freie Hand und streiche ihm sanft eine schwarzblonde Strähne hinter sein Ohr.
"Versteck doch dein hübsches Gesicht nicht.", flüstere ich sanft und seine Wangen werden leicht rosa. Ich habe diesen Traum oft, es gibt unterschiedliche Varianten. Manchmal füttern wir die Tauben im Park, manchmal essen wir ein Eis und manchmal gehen wir eben einfach nur spazieren. Doch eines ist immer gleich: Ich streiche ihm die Strähne aus dem Gesicht, er wird rot und dann beugt er sich vor und küsst mich. Ich wache jedes mal mit heftigem Herzklopfen auf, aber dieses Mal ist es anders. Kenma beugt sich nicht vor, er bleibt einfach regungslos stehen.
"Ah!", höre ich seine zauberhafte Stimme, doch sie scheint nicht von dem hübschen Jungen mit den halblangen Haaren vor mir zu kommen.
"Aahh!"
Nun höre ich es deutlicher. Das ist wirklich die Stimme meines besten Freundes! Plötzlich schiebt sich ein Schatten über meinen Traum. Es wird dunkel und sein schönes Gesicht verschwimmt vor meinen inneren Augen. Verzweifelt klammere ich mich fest. Ich möchte noch nicht gehen, wir haben uns doch noch nicht geküsst! Doch ich kann den Prozess des Aufwachens nicht verhindern, der Traum verfliegt bereits. Seufzend schlage ich die Augen auf, doch was ist das für eine Unruhe? Mein müder und vom Schlaf noch leicht verschwommener Blick wandert durch mein Zimmer und bleibt an meinem Bett hängen, wo Kenma sich unruhig hin und her wirft. Zwischendurch höre ich seine Schreie, er hat wohl schon wieder so einen schlimmen Traum. Hellwach springe ich auf und beeile mich zu meinem Freund. Es tut so weh, ihn so zu sehen! Seine Augen hat er fest zusammengekniffen und sein verhältnismäßig kleiner Körper ist verkrampft und fest zu einer Kugel zusammengerollt. Man kann nicht nur sehen, dass er schreckliche Schmerzen leidet, man kann es auch spüren. Ich kann es spüren. Wie dunkle Wolken dringen seine negativen Gefühle in mich ein und vernebeln mein schmerzendes Herz. Ich wusste schon immer, dass er viel sensibler ist, als er vorgibt. Er zeigt den meisten Menschen gegenüber nicht gerade viele Emotionen, dabei läuft er fast über. Die Menschen müssten ihm einfach mal in seine sanften Augen schauen! Sie würden so viel mehr in ihm sehen, als sie vermuten würden. Es kann doch nicht sein, dass ich der Einzige bin, der in seine Seele sieht!?
"Kenma, Kätchen, wach um Gottes Willen bitte auf!", rufe ich laut und versuche ihn wachzurütteln. Es dauert zwar ein paar Minuten, doch schließlich reißt er seine Augen weit auf. Sein schönes, goldenes Leuchten ist überschattet von Panik und... Angst?
"Kuroo", schluchzt er und Tränen laufen über sein weiches, rundes Gesicht.
"Was ist denn los?", Frage ich und lege ihm sanft meine Hände auf die Oberarme.
"Alles.. i.in Ord..nung", weint er weiter.
"Und ich bin gar nicht Kuroo, sondern Oikawa Tooru", erwiedere ich ironisch. Vielleicht war das gerade etwas unsensibel von mir, doch da waren die Worte schon raus. Skeptisch schaue ich mein kleines Kätzchen an. Sein Tränenfluss hat bisher nicht nachgelassen, also halte ich ihn einfach weiter fest. Ich weiß nicht so wirklich, was ich machen soll. Ich möchte ihn in meine Arme nehmen, ihn gegen meine Brust weinen lassen, ihn trösten. Ich will für ihn da sein. Ich will ihm Halt geben, aber vor Allem möchte ich einfach nur dafür sorgen, dass es meinem geliebten Kätzchen besser geht. Nach einer Weile verebbt das schluchzen des Jungen neben mir und eine unerträgliche Stille legt sich über das plötzlich viel zu groß wirkende Zimmer.
"Bleibst... du bei mir? Bitte...", vernehme ich seine nun etwas ruhigere Stimme. Sofort schlägt mein Herz schneller. Er will wirklich, dass ich mit ihm in einem Bett schlafe? Eine freudige Erwartung macht sich in mir breit, doch ich bekomme sofort ein schlechtes Gewissen. Meinem Freund geht es nicht gut und ich freue mich, dass ich deswegen mit ihm ein Bett teilen kann, ohne dass es komisch ist. Manchmal kotze ich mich wirklich selbst an. Aber was, wenn ich doch die Kontrolle verliere? Was, wenn ich mich wirklich nicht zurückhalten kann?
"Kuroo?", fragt Kenma und sieht mich bittend an. Wie könnte ich da 'Nein' sagen? Ich nicke und mein Freund rutscht etwas zur Seite, sodass ich mich neben ihn legen kann. Sein leichter Duft steigt in meine Nase und ich spüre seine Wärme an meiner Seite. Während ich angestrengt darüber nachdenke, was wohl mit ihm los ist und wie ich ihm helfen kann, höre ich, wie sein Atem neben mir langsam ruhiger wird. Hoffentlich bekommt er nicht noch einen Alptraum. Auch ich bin langsam dabei in den erneuten Schlaf wegzudriften, da raschelt es neben mir und etwas Weiches kitzelt mich an meinem Hals. Perplex drehe ich meinen Kopf und sehe, wie Kenma seinen Puddingkopf an meine Schulter geschmiegt hat.
"Danke", flüstert er und sein Atem streicht über meinen Oberarm. Ich will gerade fragen, wofür genau er sich bei mir bedankt, da höre ich auch schon wieder sein leises Schnarchen.
Was ist nur mit dir los, huh?", flüstere ich ihm zu und streiche vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, über seinen Rücken. Ich erschrecke, wie gebrechlich dieser ist. Kenma hat ja noch nie sonderlich viel gegessen (abgesehen von Apfelkuchen natürlich), aber er ist dennoch viel dünner als sonst. Viel zu dünn für sein Alter. An einer Stelle zuckt er jedes Mal leicht zusammen, wenn meine Hand darüber gleitet. Murrend krallt er sich an meinen Arm und mir bleibt fast das Herz stehen. Wow, er ist unglaublich! Ich habe so ein Glück, dass ich der Freund sein darf, der nun hier neben ihm liegt. Auch wenn wir leider nicht zusammen und die Umstände schrecklich sind. Meine Hand kehrt zurück zu der Stelle, an der er jedes Mal zuckt und bleibt dort liegen. Soll ich? Ich fühle mich schlecht, mich so an ihm zu vergreifen, wenn er schläft, aber zählt das wirklich zu 'vergreifen', wenn ich nur kurz sein Hemd ein Stück hochziehe? Ich möchte ja schließlich nur sehen, was ihm dort Schmerzen bereitet. Ich... Ich denke nicht, oder?
"Vergib mir, Süßer.", sage ich leise und ziehe sein Oberteil ein paar Zentimeter hoch. Meine Hand streicht sanft über seine Haut und eine Gänsehaut überkommt mich, als er sich mit einem leisen Geräusch fester an meinen Arm drückt.
"Nein, Kuroo! Konzentrier dich!", weise ich mich selbst zurecht und und schiebe sein Oberteil noch ein Stück höher. Sein Rücken liegt nun ungefähr zur Hälfte frei und ich reiße die Augen auf, als ich sehe, dass der obere Teil seines Rückens mit vielen kleinen und auch größeren blauen Flecken übersäht ist. Vor Schock verliere ich ich all meine Hemmungen und ziehe ihm das T-Shirt nun bis zum Hals hoch. Voller Panik starre ich auf Kenmas Oberkörper. Auch sein Bauch und seine Brust sind voller Flecken. Manche davon sind bereits älter und fast verschwunden, Andere hingegen sind frisch und dunkel.
"Was ist nur mit dir passiert!?", bringe ich mit erstickter Stimme und feuchten Augen hervor. Ich lasse sein Hemd zurückgleiten und ziehe ihn vorsichtig näher zu mir. Es ist mir egal, was er morgen denkt, wenn er eventuell in meinen Armen aufwacht.  Ich will ihn einfach nur sicher in meinen Armen wissen. Ich will ihn am liebsten niemals wieder loslassen. Irgendein Problem hat er und ich verstehe nicht, wie er sich nur alleine damit rumschlagen kann. Ist es sogar zu schlimm, um mit mir, seinem besten Freund, darüber zu reden? Oder vertraut er mir etwa garnicht so sehr, wie ich immer dachte? Sanft streiche ich über seinen Oberkörper. Sehr vorsichtig, ich möchte ihm keine Schmerzen zufügen. Nicht noch mehr. Leise schnarchend liegt Kenmas Kopf nun an meiner Brust. Wenn ich nicht immernoch so geschockt wäre, würde ich nun absolut durchdrehen. Seufzend lege ich meine Stirn an seinen Kopf und seine Haare kitzeln mich im Gesicht. Ich muss ebenfalls versuchen zu schlafen, mittlerweile ist es bereits 6 Uhr morgens. Ich schließe die Augen und konzentriere mich voll auf Kenma. Auf seinen Atem, auf seine ruhigen Bewegungen im Schlaf und auf seinen unglaublichen Duft. Morgen werde ich ihn nach seinen Verletzungen fragen. Ich hoffe nur, dass er nicht gemobbt wird. Plötzlich kommt mir ein furchtbarer Gedanke: Was, wenn ihn einer der Teammitglieder so zugerichtet hatte!? Jetzt ist wohl gar nicht mehr an Schlaf zu denken.
"Oh, mein armer Kenma. Wer hat dir das nur angetan?"

KuroKen: Sakura Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt