Kapitel 7

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Ungeduldig steige ich die Leiter zu meinem Zimmer hoch. Kenma sitzt immer noch auf meinem Bett, allerdings hat er aufgehört zu zocken und starrt stattdessen gedankenverloren aus dem großen Fenster in den Park. Er scheint die dort umherlaufenden Menschen zu beobachten. Erschrocken fährt er zusammen, als ich mich neben ihn fallen lasse.
"Du hast lange gebraucht", überspielt er seinen Schrecken und hat sich sofort wieder gefangen.
"Ja, ich habe deine Mutter getroffen. Sie meinte, du sollst bitte nach dem Essen rüberkommen und Zeit mit eurem Besuch verbringen. Wer ist denn bei euch?"
Ich spüre sofort, wie Kenma sich neben mir anspannt und anfängt zu zittern. Habe ich was falsches gesagt? Ist das vielleicht das Problem? Dass er nicht nach Hause möchte? Woher hat er dann die Verletzungen? Etwa... Nein! Das kann nicht sein! Seine Familie würde das doch niemals tun, sie ist viel zu nett. Oder?
"Alles gut?", frage ich ihn besorgt und lege ihm sanft meine warme Hand auf die Schulter.
"J.. Ja. Verwandte von uns.", sagt er und beruhigt sich langsam wieder. Ich reiche ihm seine Pizza, doch er scheint sie im ersten Moment kaum wahrzunehmen. Während meine innerhalb von 10 Minuten verschwunden ist, rührt er seine kaum an. Gerade einmal 2 Stücke hat er langsam und sichtlich mühsam heruntergeschluckt, bevor er den Rest einfach zur Seite schiebt.
"Kenma, du hast ja kaum was gegessen!", kommentiere ich das Ganze.
"Bist du meine Oma?", gibt er daraufhin zurück und sieht wieder aus dem Fenster. Ich sammele meinen ganzen Mut zusammen, nehme seine Hand zögerlich in meine, drücke sie sanft und sehe ihm fest in seine mir nun doch zugewandten Augen. Überrascht merke ich, dass er den Druck erwiedert. Diese Berührung geht mir durch Mark und Bein und ich erschaudere. Eine leichte Gänsehaut breitet sich auf mir aus. Auch die feinen Härchen auf meinen Armen haben sich aufgestellt und ich ziehe mit meiner freien Hand die Decke enger um mich, damit der Junge neben mir denkt, mir sei nur kalt. In Wahrheit ist mir allerdings sehr heiß. Seine warmen Augen wärmen mich. Sie dringen genau in mein Herz ein und lassen dieses schneller schlagen. Am liebsten würde ich ihn einfach nur anstarren. Oder küssen, das wäre mir sogar noch lieber. Aber das kann ich nicht einfach machen. Ich würde mit so einer Aktion einfach nur meinen besten Freund verlieren, den wichtigsten Menschen, den es für mich gibt. Das würde ich nicht verkraften. Stattdessen sage ich also mit überzeugter Stimme:
"Bitte iss noch wenigstens 2 weitere Stücke, du bist so unglaublich dünn geworden. Ich mache mir Sorgen. Wenn du es schon nicht für dich machen möchtest, dann für mich, bitte Kenma."
Da ist es wieder, sein schiefes Lächeln, das ich so sehr an ihm liebe und es scheint sogar echt zu sein! Mein Herz setzt einen Moment aus, dann lasse ich seine Hand los, weil ich Angst habe, dass er durch meinen plötzlichen Schweiß merkt, wie nervös ich bin und was gerade in mir los ist.
"Aber wirklich nur ein bisschen, ich habe nicht sonderlich viel Hunger im Moment."
Immerhin isst er darauf noch die Hälfte auf und ich sehe ihm schweigend zu. Wieder kann man ihm direkt ansehen, dass ihn das viel Mühe kostet. Dass er es dennoch tut, erfüllt mich ehrlich gesagt mit Stolz.
Als er fertig ist, sagt er nichts und auch ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wir wissen beide, dass ich ihm nicht glaube, dass wirklich alles in Ordnung ist. Nach einer Weile bricht er dann doch das Schweigen:
Ich.. muss gehen."
Ich bin ehrlich, ich will ihn nicht gehen lassen. Ich will sowieso, dass er immer in meiner Nähe ist, aber ich weiß selber, wie unrealistisch dieses Wunschdenken ist. Aber vor allem möchte ich ihn nicht an diesen scheinbar furchtbaren Ort gehen lassen, vor dem er so große Angst hat. Angestrengt denke ich nach und versuche, mir etwas einfallen zu lassen, dass er doch hier bleibt. Aber das wäre ziemlich gemein Kenmas Mutter und vor allem auch seinem Besuch gegenüber. Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle als mir bewusst wird, dass ich Kenma nicht alleine nur für mich beanspruchen kann. Er ist ein freier Mensch und wir sind auch nicht zusammen. Auch wenn ich wünschte, es wäre so. Mir ist bewusst, dass ich ihn gehen lassen muss, auch wenn sich in meinem Inneren alles dagegen sträubt.
"Ok. Wenn irgendetwas ist und du mich brauchst, dann komm sofort rüber oder ruf mich an, ich bin dann sofort bei dir."
"Mach ich", antwortet der Kleinere vor mir mit einem leichten, unwiederstehlichen Lächeln und umarmt mich plötzlich. Ich bin von diesem ungewohnten Beweis seiner Zuneigung total überfordert und erstarre. Doch bevor ich diese Chance verpasse und alles versaue, schließe auch ich meine Arme um ihn. Die Umarmung fühlt sich warm und weich an. Sie hat etwas tröstendes. Ich hoffe nur wirklich, dass er meinen rasenden Herzschlag nicht hören oder spüren kann. Langsam spüre ich, wie etwas Warmes an meiner Brust mein T-shirt durchnässt. Weint er etwa? Ich glaube schon. Sein nun einsetzendes Schluchzen erfüllt viel zu laut den Raum und bricht mir mein Herz. Beruhigend streiche ich über seinen bebenden Rücken.
"Danke, dass du mich damals angesprochen hast.", schnieft er so leise, dass ich es fast nicht verstanden hätte. Wie hätte ich denn bitte nicht? Er war und ist immer noch das bezauberndste Wesen auf dieser Welt. Obwohl ich ihn ewig so halten könnte, löst er sich nach einer Weile von mir, verabschiedet sich und geht einfach. Alleine und einsam bleibe ich zurück. Müde lasse ich mich auf mein Kissen sinken. Es duftet noch nach ihm und das bringt mich um den Verstand. Ich überlege, ob ich noch etwas zocken soll, doch ohne mein Kätzchen macht es keinen Spaß. Durch das Fenster auf der anderen Seite meines Zimmers sehe ich, wie im Nachbarhaus Licht angeschaltet wird. Kenmas Zimmer ist einen Stock tiefer, deswegen kann es nicht von ihm kommen. Ich stehe auf und trete neugierig an die Scheibe heran. Der Raum gegenüber ist der Dachboden des Hauses. Manchmal geht Kenma dorthin, um einen Moment alleine zu sein und in Ruhe zocken zu können. Auch wenn er Hausarrest hat, verschwindet er immer nach oben. Es ist ein Wunder, dass bisher noch keiner herausgefunden hat, dass er dann immer durch die dich beieinander stehenden Fenster zu mir rüber klettert. Doch der dunkle Schatten dort ist zu groß und zu breit für ihn. Der Unbekannte muss wohl der Besucher sein. In diesem Moment sieht er in meine Richtung. Ich weiß nicht warum, aber instinktiv trete ich einen Schritt zur Seite vom Fenster weg. Als ich wieder nach drüber schaue, verdecken hässliche, alte, olivgrüne Vorhänge meine Sicht. Was geht da ab? Nachdenklich gehe ich zurück zu meinem Bett.
Gut angekommen?
Schreibe ich meinem Nachbarn, in den ich schon ewig verliebt bin, eine Nachricht. Es kommt gar keine Antwort, komisch. Sonst hängt er doch immer am Handy und antwortet direkt. Vielleicht ist er schon eingeschlafen? Schulterzuckend, aber mit einem komischen Gefühl, lege ich mich hin. Wir haben schon fast 21 Uhr und es ist eigentlich noch etwas zu früh, um zu schlafen. Beim Durchschalten der Programme finde ich eine komische Gameshow, bei der die Kandidaten durch verschiedene, teilweise sehr schwierige Parcours müssen, damit sie am Ende gegen einen Fürsten antreten können. Aber der wenige Schlaf letzte Nacht zieht mich schon nach kurzer Zeit in eine Traumwelt und ich bin ziemlich schnell weg. Aber das mulmige Gefühl geht nicht weg, es wird stärker.

KuroKen: Sakura Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt