1. Wiedersehen

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"Benni? Benni!", er schwang sich von dem Rücken des Reittiers und lief zu dem Waldrand, sah sich verwirrt und suchend um, fand sie aber nicht. "Benni?"

Von demselben Tier stieg nun auch ein anderer Mann herunter, tat es aber sehr viel eleganter und ruhiger. Das Gepäck ließ er am Sattel des Tieres hängen. "Beruhige dich, Teniel. Benjaka wird schon auftauchen."

Teniel drehte sich noch weitere Male um die eigene Achse, sah aber weit und breit keine Benni, also sah er zu seinem Freund herüber: "Ich verstehe nicht, wie du so ruhig sein kannst, Sadun. Ich verstehe es einfach nicht." Schulterzuckend drehte er sich wieder weg und lief in den Wald, um dort nach Benjaka zu suchen. Kopfschüttelnd widmete sich Sadun wieder dem Reittier, einem riesigen Braunbär, der auf den Namen Otho hörte. Dieser hatte sich bereits auf dem Boden zusammengerollt, ohne weiter auf das Gepäck zu achten, welches noch an seiner Seite befestigt war.

"Otho!", hastig lief Sadun zu ihm, um zu überprüfen, ob der riesige Bär etwas unter seinem Gewicht zerdrückt hatte, was aber glücklicherweise nicht der Fall war.
"Otho.. du bist aber auch solch ein Tollpatsch!", Sadun begann zu lachen, kraulte dem verwirrt dreinblickenden Bären hinter dem Ohr und sah sich dann suchend auf der Lichtung um.

Jetzt ist nicht nur Benjaka weg, sondern auch noch Teniel, dachte Sadun erheitert.
Der Gelehrte öffnete seinen langen, dunkelgrünen Mantel und verstaute diesen in seinem Rucksack. Nun war er nur noch in ein einfaches Leinenhemd und eine schwarze Hose gekleidet, sowie die gepflegten Lederstiefel, bei denen er immer behauptete, sie wären aus echtem Eidechsenleder gemacht.

Sadun ging langsam auf der Lichtung hin und her, betrachtete aufmerksam seine Umgebung und versuchte zu lauschen, ob er neben dem Rauschen des Waldes und Otho's Schnarchen etwas hören konnte.
Und tatsächlich war dort etwas - mit geschlossenen Augen und hinter dem Rücken verschränkten Armen stand Sadun locker da und hörte etwa vier oder fünf Mannslängen von sich entfernt etwas: ein regelmäßiges, ruhiges Atmen.

"Benjaka, komm von diesem Baum herunter. Teniel sucht dich und hat sich wahrscheinlich bereits verlaufen.", kaum hatte er dies ausgesprochen, ließ sich eine schlanke Frau von einem der Bäume fallen, kam wie eine Katze auf allen Vieren am Boden an und richtete sich schließlich langsam und elegant auf. Ein feines Lächeln lag auf ihren vollen Lippen und wilde, rötliche Locken hingen ihr ins Gesicht, sodass ihre grünen Augen hinter den Strähnen hervorblitzen.

"Grüße dich, Sadun, wir haben uns lange nicht mehr gesehen, mein alter Freund." In flüssigen Bewegungen verbeugte sie sich tief, ehe sie zu sprinten begann und in die offenen Arme Sadun's sprang. Lachend umarmten sie sich und waren für einen Moment wieder Kinder. Sie waren wieder die Spielkameraden, die sie einst in jungen Jahren gewesen waren, waren wieder gut gelaunte Gesellen am Lagerfeuer und waren wieder Verbündete in einer grausamen Schlacht.

Noch ein letztes Mal hob Sadun Benjaka hoch, schleuderte sie in der Luft umher, als wäre er wieder 20 Jahre jung, ließ sie dann auf den Boden zurück und betrachtete sie eingehend: Ihre Sommersprossen waren immer noch da, genauso wie die Stupsnase. Ihre Augenbrauen stattdessen waren noch wilder und die Augen noch größer. Kurzgesagt, sie war noch schöner geworden.
Auch das Lachen hatte sie nicht verlernt, wovon feine Lachfalten zeugen konnten. Ja, es stimmte tatsächlich, dachte Sadun bei sich, sie war noch immer derselbe Sonnenschein, der sie schon immer gewesen war.

"Was betrachtest du mich so aufmerksam, Sadun? Sehe ich denn so verändert aus, alter Kamerad?", fragte sie mit ihrer weichen Stimme.
"Nein, das tust du eben nicht, Benjaka. Du siehst noch genauso schön aus wie vor ein paar Jahren. Du hast dich kein bisschen verändert, und genau das wundert mich ja eben so. Sieh' dir mich an, Benjaka, sieh' dir deinen alten Freund an. Ich bekomme graue Haare, trotz meiner jungen Jahre noch. Und von Teniel's Falten wollen wir gar nicht erst anfangen!" Beide begannen zu lachen, wobei Benjaka schnell innehielt.
"Warte, Sadun. Wo ist denn Teniel überhaupt hin? Sag mir nicht, er ist ganz alleine los. Du weißt doch, wie schrecklich schlecht sein Orientierungssinn ist!"
Besorgt riss sich Benjaka aus seinen Armen und sah sich um, aber egal wie gut ihre Augen auch sein mochten, sie hätte Teniel wegen seiner dunklen Hautfarbe und auch seinem Talent, sich selbst gar unscheinbar zu machen, gar nicht sehen können in der mittlerweile dämmrigen Abendstimmung des Waldes.
Nun gut, sie hatte so oder so keine Chance ihn zu sehen, da er sich mittlerweile still und leise hinter sie geschlichen hatte, sie nun so schnell er konnte von hinten um die Taille griff und sie hoch in die Luft schmiss, um sie dann aufzufangen.

Wieder erfüllte Lachen die Luft. "Teniel! Du alter Schuft!" Spielerisch schlug sie ihm gegen die Brust, während er sie noch auf den Armen trug, als würde sie nichts wiegen. "Lass mich runter, du alter Schwachkopf!"
Teniel dachte gar nicht daran auf sie zu hören, sondern lachte nur lauthals los: "Ich konnte dich nun so lange nicht mehr in der Luft herumwirbeln, Benni, da musst du dir das jetzt gefallen lassen, ob du nun willst oder eben nicht."

Nach einem weiteren Wirbeln, setzte er sie vorsichtig auf dem Boden ab. Benjaka strich sich ihr dunkles Kleid glatt, richtete ihre Haare - obwohl sie trotzdem in alle Richtungen abstanden - und sah zwischen Sadun und Teniel hin und her. "Es ist so schön euch in Echt und nicht nur in meiner Erinnerung wiederzusehen. Eure Briefe haben mein Fernweh auch nur leicht gemildert."

Sadun bildete sich ein, in ihrem Augenwinkel etwas glitzern zu sehen, aber lächelte nur: "Ja Benjaka, wir sind wieder vereint. Nur der Grund dafür ist etwas  - ", die Frau hob ihre Hand und unterbrach ihn damit.
"Lass uns erst einmal in meine Hütte zurück, mein lieber Sadun. Ich möchte im Moment noch eure Gegenwart genießen und an nichts anderes denken, als an dieses warme Gefühl, welches sich in meinem Herzen ausbreitet, wenn ich euch beide hier vor mir stehen sehe. Bitte." Ihre Stimme klang etwas wehmütig, was die beiden Kameraden sehr verwunderte. So kannten sie Benjaka nicht, aber scheinbar hatte auch sie Narben davongetragen.

Gemeinsam holten sie Otho, der freudig aufsprang, als er Benjaka sah. Mit dem Bären im Schlepptau liefen sie tiefer in den Wald hinein.

Der Wald selbst war am Rande einer großen Stadt und trennte dadurch die Stadt und einen breiten Schnellstrom, welcher sich durch das ganze Land zog. Benjaka's Hütte lag am Rand des Waldes zwischen Stadt und Wald, und war für viele Stadtbewohner daher der offizielle Waldbeginn. Das bedeutet für viele der Kinder, dass sie nicht weiterlaufen durften, als bis zu Benjaka's Hütte, da sie sich ansonsten im Forst verlaufen könnten.

Die Hütte war überwuchert von Efeu und scheinbar das Heim einiger Vogelnester, denn Zwitschern erfüllte die Luft. Bunte Fensterscheiben zierten ihr Heim und der hohe Zaun säumte ihren Vorgarten, der voll war mit großen Kräuterbüschen, Rosensträuchern, Lavendel und verschiedenen Blumen und Gemüse. Eine große Eiche stützte das Haus an der linken Seite und bedeckte mit den mächtigen Ästen das Dach. Wie ein kleines Kind ging Benjaka voran, drehte sich einmal während dem Laufen und lächelte erfreut. "Willkommen in meinem Heim."

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