5. Ein neuer Morgen

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Spät, sehr spät erst, als die Sonne bereits ganz oben stand, wurde Benjaka von den Sonnenstrahlen geweckt, rieb sich verschlafen die Augen und zog sich die dicke Federdecke ganz zur Nase hoch. Kalte Luft drang durch das weit geöffnete Fenster in den Raum und ließ sie frösteln. Kurz wunderte sie sich, wie sie in ihr Schlafzimmer gekommen war und wieso das Fenster geöffnet war, aber dann fiel es ihr ein, und dieser Gedanke verströmte Wärme in ihrer Bauchgegend. Sadun und Teniel waren hier.
Sie lächelte, schob sich ein paar der wilden Locken aus dem Gesicht und stieg dann, einen nackten Fuß nach dem anderen, aus ihrem Bett.
Nur mit einer dünnen Decke um die Schultern - ihre Kameraden kannten sie auch schon anders, deshalb war ihr egal, wie stark sich ihre Figur unter der Decke zeigte - tapste sie die Treppe hinunter in die warme Küche, wo bereits Sadun vor einem dampfenden Kessel am Ofen saß und einen Kräuterbüschel darüber zerdrückte. Teniel saß in dem Sessel in der Ecke mit einem Buch auf dem Schoß und einer Pfeife im Mund. Er bließ Ringe aus Rauch in die Luft und erfüllte dadurch den Raum mit einem Apfelgeruch.
Auf der letzten Stufe blieb Benjaka stehen, sog den Duft des Tabaks ein und wurde dann als erstes von Sadun bemerkt. Ein feines Lächeln setzte sich auf sein Gesicht: "Guten Morgen, Benjaka."
"Guten Morgen.", begrüßte sie die beiden und ging zu ihnen. Sadun hatte seine Kochutensilien beiseite gelegt und schob nun stattdessen ein weiteres Holzscheit unter den Kessel. Sein oben geöffnetes Hemd ließ den Beobachter einen Blick auf eine Kette mit Lederband und bernsteinfarbenen Anhänger erhaschen, wobei auch seine Stiefel einen besonderen Anblick boten: Das dunkelgrüne Leder sah so gut gepflegt aus, als wären es einfach nur zwei lebendige Echsen, die sich an seinen Füßen festhielten. Im Gegensatz dazu waren seine Haare und das Gesicht unscheinbar, fast schon leicht zu vergessen, denn die dunklen Haare fielen ihm nur sanft in die Stirn und verbargen dadurch die haselnussbraunen Augen. Seine fein gezogenen Lippen und die leichten Bartstoppeln rundeten das Gesamtpaket ordentlich ab. Alles in allem schien Sadun genauso unscheinbar und unauffällig wie seine Bücher, die er bei sich in seiner Bibliothek aufbewahrte und in denen er Nächte lang irgendwelche fremdartigen Themen studierte, bei denen jeder andere sagen würde, dass er noch nie etwas davon gehört hatte und dies wahrscheinlich auch nie würde. Aber für Sadun war alles Neue und Außergewöhnliche der Schatz, nach dem er sein ganzes Leben lang gesucht hatte.

Teniel war das komplette Gegenteil von ihm: Er hatte kurz geschorenes, krauses Haar, dunkle Augen und eine lange, schräge Narbe vom linken Auge bis zum Kinn runter. Sein braunes Hemd und der bestickte Wams ließen ihn fast schon stadtlich aussehen. Er war breit gebaut und die Axt, die neben ihm an der Wand lehnte, unterstrich seine Stärke nur all zu gut. Wenn man Teniel einfach so begegnen würde, würde einem sofort ein Gedanke in den Sinn kommen: Ein Fürst oder Graf, der sich auch ohne Wachen zu verteidigen vermag.

Damit lag man aber bei ihm ganz falsch.

Teniel war als junger Bursche zum Adler gegangen, um dem Staat seine Dienste anzubieten. Denn als einfacher Bauernjunge hatte er nichts anderes - den Hof des Vaters wollte er nicht übernehmen und eine Lehre konnte er nicht annehmen, da er wegen seines Hauttons, der für viele Dorfbewohner noch neu war, verachtet wurde. Viele Menschen stellten sich Dämonen oder Teufelsanbeter mit dunkler Haut vor, weshalb einige, vor allem die Alten, Angst oder Abscheu für Teniel und seines gleichen verspürten. Dass dies totaler Unfug war, ließen sie sich aber natürlich nicht sagen. Für Teniel war das alles unwichtig: Er hatte die Menschen gefunden, die ihn mochten, die ihre Hand für ihn ins Feuer legen würden und die ihn so kannten, wie er wirklich war. Seinen Charakter und vor allem seine Stärke zeigte er in seiner Ausbildung beim Adler. Statt genauso wie Benjaka zur Schwertmeisterei zu gehen, beschloss er sich mit der Streitaxt fortzubilden. Und damit war er einer der Besten. Seine Ausbilder lobten ihn und auch unter seinen Kameraden war er beliebt, denn wer Teniel kannte, wusste, dass er nicht nur auf ihn im Krieg vertrauen konnte, sondern auch in jedem anderen Lebensabschnitt. Benjaka fiel ein Szenario ein - als sie damals von ihrer ersten Lektion bei ihrem Schwertmeister zurück zur Kaserne kam und dort zum Weinen begann, da ihr Meister sie angeschrien hatte und sie nicht weitergewusst hatte. Ehe sie sich versah, war dort Teniel neben ihr gesessen und hatte ihr gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Und wenn man es genau betrachtete, hätte jeder diesen Satz aussprechen können, sie hätte es aber in diesem Moment nur Teniel geglaubt.

Schmunzelnd ging sie zu ihm, setzte sich auf die Sessellehne und betrachtete das Buch in seiner Hand: "Die Mordaxt und ihre Anwendung. Du trainierst für deine Meisterprüfung?"
Teniel hatte von Anfang an beim Adler davon gesprochen, irgendwann selber einer der Lehrmeister zu sein. Er wollte nicht auf's Schlachtfeld, sondern stattdessen den Menschen zeigen, wie sie sich und das, was sie liebten, verteidigen konnten.
"Ja, mein Meister sagte, ich kann nach unserer Mission, wenn alles gut geht, zur Prüfung zugelassen werden." Ein leichter Glanz lag in seinen Augen und Benjaka freute sich darüber, ihn so sehen zu können. Allgemein war Teniel meist von frohen Gemüt, aber sie kannte ihn auch schon anders: mit Blut über dem ganzen Körper, fest entschlossenen Ausdruck im Gesicht und mit der Streitaxt in der Hand. Das war der Anblick, den sie von ihm gewöhnt war, den sie Tag täglich im Krieg miterlebt hatte.

Sadun riss sie mit einem Räuspern aus ihren Gedanken: "Wir können all dies gerne auf der Reise besprechen," begann er, während er eine große, zerknitterte Landkarte auf dem groben Holztisch ausbreitete und die Ecken mit Steinen beschwerte, "wir müssen uns aber langsam ranhalten. Wenn ich richtig gerechnet habe, brauchen wir zu Fuß gut fünf Tage bis zu dem Kloster, bei dem deine Schwester stationiert ist. Wir könnten zwar auch auf Otho reiten, aber ich glaube, wir erregen zu viel Aufmerksamkeit auf seinem Rücken." Er winkte die beiden auf, sich zu ihm an den Tisch zu stellen. "Benjaka, ich denke, du kennst dich hier am besten aus, welchen Weg sollen wir nehmen? Gibt es einen schnelleren, als den, den ich gefunden hab?"
Teniel griff sich einen Kerzenständer von der Kommode neben der Tür und stellte diesen auf die Karte, um diese besser zu beleuchten, denn außer dem warmen Kaminfeuer, gab es keine Lichtquelle, da die Fenster von Efeu überwachsen waren und damit das Licht aussperrten.

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