"Benni?", vorsichtig griff Teniel ihr an die Schulter, schüttelte sie leicht, um sie aus ihrer Trance zu befreien. Er hatte sich zu ihr auf den Boden gesetzt und hielt sie in den Armen, während sich leichte Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten und er verwirrt zu Sadun schaute, der von seinem Stuhl aufgesprungen war und sich eines der Kräuterbüschel schnappte, welches von der Decke hing. Dieses - ein Melissebund - hielt er Benjaka unter die Nase und hoffte, dass es half.
Nur langsam kam sie in die Realität zurück, spürte Teniel's warme Hand und Sadun's aufmerksamen Blick auf sich. Tränen rannen über ihre Wangen und ihre Augen brannten. Kaum war sie wieder ganz da, versuchte sie den Albtraum wegzuschieben - hauptsache ganz weit weg, dachte sie.
Erst dann bemerkte sie die besorgten Blicke ihrer Freunde, die natürlich nicht verstanden, was eben passiert war. Es war ihr peinlich, dass ihre Freunde sie in diesem Zustand sahen. Sonst war sie die Entschlossene, die Mutige - nicht ein kleines, verängstigtes Mädchen. Sie wischte sich mit diesem Gedanken die Tränen aus dem Gesicht und sah trotzig zu Sadun auf: "Ich bin nicht davon begeistert, Lillibeth aufzusuchen. Aber wenn es sein muss, dann begleite ich euch. Ihr seid meine Freunde, meine Kameraden. Ich werde euch unterstützen, da ich glaube, dass euch Lillibeth nicht helfen wird. Mir allerdings vielleicht schon. Mal sehen..", sie stand vorsichtig, noch etwas zittrig auf und ordnete erst einmal ihr Kleid, atmete dann tief durch und nickte entschlossen.
Sie wollte sich gerade hektisch abwenden, um ihren Gefühlsausbruch zu überspielen, als Teniel sie an der Hand griff und festhielt. "Bleib.", sagte er und zog sie zu sich an den Holztisch. "Was war das eben? Mh? Auf einmal klappst du fast zusammen, starrst ins Leere und fängst an zu weinen." Ein Hauch von Vorwurf lag in seiner Stimme, was verständlich war, dachte Benjaka. Diese hatte sich zu ihnen an den Tisch gesetzt, wechselte einen Blick mit beiden und schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals runter.
"Hör mir zu, Benjaka, meine liebe Benjaka. Wir sind doch nun so lange Freunde, haben so viele Dinge miteinander erlebt." Sadun hatte sich ihr gegenüber gesetzt, griff zögernd nach ihrer zitternden Hand und versuchte ihr fest in die glasigen Augen zu sehen, die in diesem Moment, die eines Kindes hätten sein können. "Meinst du nicht, dass wir über das reden sollten? Schließlich wurde Teniel und mir nur gesagt, dass Lillibeth uns helfen könnte, aber noch nicht einmal wie, geschweige denn, was so schlimmes zwischen euch beiden vorgefallen ist, dass du direkt anfängst zu weinen, wenn wir nur ihren Namen aussprechen." Damit sah er zu Teniel, der wieder den Arm um Benjaka gelegt hatte. "Du kannst mit uns doch über alles reden, Benni. Oder?"
In ihrem Kopf begann es zu rattern. Die beiden hatten Recht, das wusste sie. Und ja: Irgendwann musste sie es ihnen eh erzählen. Und zwar alles. Die ganze Geschichte."Lillibeth war von einem Dämon besessen. Es hatte ganz harmlos angefangen," begann sie zu erzählen, während sie noch immer Sadun's Hand hielt und von Teniel's Arm umschlungen wurde, "anfangs haben wir gar nichts davon gemerkt. Manchmal war sie Nächte lang im Wald unterwegs gewesen, bis mein Vater sie nach Stunden langer Suche fand. Sie verzog sich im Kleiderschrank und sprach mit sich selbst. Von mir hatte sie sich auch distanziert, von mir, ihrer Zwillingsschwester. Sonst spielten wir immer, wir machten alles zusammen, aber sie wurde nach und nach immer aggressiver. So häufig hatte sie sich mit meinen Eltern gestritten, weil sie sich wegen allem aufgeregt hat.
Nach einem Monat hatte sie am ganzen Körper Kratzspuren, blaue Flecken, die sie sich selber zugefügt hatte. Manchmal hat Mutter sie mit einem Messer in der Hand erwischt, wie sie sich damit selbst weh tat. Lillibeth und ich waren erst sieben Jahre alt, aber sie verhielt sich so unglaublich ernst, so emotionslos." Während Benjaka erzählte, beobachtete Sadun ihre Mimik. Nicht nur, dass sie wieder einen Punkt in der Ferne fixiert hatte, nein, es standen wieder Tränen in ihren Augen. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. Dasselbe empfand scheinbar auch Teniel, denn er wechselte einen unsicheren Blick mit Sadun.
"Lillibeth veränderte sich so radikal von meiner liebenden Schwester zu einem bösartigen Monster. Ich hatte wirklich Angst vor ihr. Manchmal stand sie sogar vor meinem Bett, wenn ich schlief. Gott, ich bin immer so erschrocken, als ich sie dort stehen sah und sie mich nur angestarrt hatte. Das war nicht mehr Lillibeth. Nach fast einem halben Jahr dieser Tortur für uns alle, ließen meine Eltern einen Priester bringen, der einen Exorzismus vollziehen sollte. Ich habe es noch so genau vor Augen: Wie er mit diesem strengen Blick in unser Haus kam und sie mit seinen Versen einlullte, bis das Knurren in ihrer Kehle erstarb."
Wieder schluckte sie, konzentrierte sich auf das Knistern der Flammen im Ofen und auf ihren Puls. Trotzdessen flossen jetzt die Tränen über ihre Wangen, aber sie hatte nur wieder dieses Szenario im Kopf - nichts anderes, nur dieses Gefühl von Verzweiflung und Angst. "Ich weiß noch, wie ich ihre unmenschlichen Augen vergaß, weil ich diesen schlimmen Schmerz in der Brust gespürt habe. Mutter meinte im Nachhinein, dass es so eine Zwillingsverbindung wäre. Der Priester stoppte, um mir nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. Gott sei Dank, war zu diesem Zeitpunkt der Exorzismus bereits fast fertig." Schulterzuckend saß sie da und sah fast schon entschuldigend auf. "Wir dachten, dass alles wieder normal wäre, aber wir irrten uns. Sie begann wieder aggressiver zu werden. Meine Eltern hatten genug von alledem, sie wollten nicht als die mit den Dämonenkindern dastehen, besonders nicht in den hohen Kreisen, in denen sie sich bewegten.. Sie warfen uns beide raus, weil sie meinten, dass wir wahrscheinlich beide irgendwann betroffen wären. Lillibeth ging ins Kloster, um sich selbst irgendetwas zu beweisen, und scheinbar hat es funktioniert. Sie hat den Dämon endgültig abgeworfen, sie hat sich im Kloster von ihm befreien können. Und ja, ich ging zum Adler, um Schwertmeister zu werden."
"Da hast du uns kennengelernt und diesen Albtraum vergessen können.", fügte Sadun dazu. Sie nickte und sah ihn mit diesen großen, grünen Augen an. "Vielleicht können wir mit Lillibeth's Hilfe manche Menschen vor dieser Dämonenplage beschützen. Vielleicht.", nachdenklich starrte sie in das Feuer, während Teniel die Spiegelung der Flammen in ihren Augen beobachtete. "Wir kriegen das schon hin, Benni. Ein Schritt nach dem anderen." Er strich ihr sanft über den Rücken.
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Rattenjagd
FantasyBenjaka und ihre Zwillingsschwester Lillibeth werden in ihrer Kindheit von einem Dämon heimgesucht, der sie von ihrer Familie trennt. Nach Jahren der Trennung erfährt Benjaka, dass der Dämon namens Ly immer noch sein Unwesen in der Welt der Menschen...