Ropa schrak auf, griff sich Margarethas Gesicht und starrte ihr fest in die Augen, als würde sie etwas suchen, tief in ihrer Iris. Sie zog das Gesicht des jungen Mädchens zu sich herunter, drehte und wendete es, um es von allen Seiten anzusehen. Dann nahm sie ihre Hände, betrachtete sie, aber sah scheinbar nichts. Trotzdessen traf sie einen Entschluss, schloss ihre Hand fest um Margarethas Handgelenk und zog sie hinter sich her. Auf dem Flur sah sie sich erst um, bis sie mit einer Kerze in der rechten Hand und Margaretha an der linken den Gang hinunterlief. Immer wieder raunte Ropa dem jungen Mädchen zu, dass sie ruhig sein solle, obwohl diese nur verwirrt der Alten folgte.
Zusammen liefen sie bis zu einer engen Wendeltreppe, der sie bis nach unten folgten. Wenn Margaretha richtig gezählt hatte, hatten sie zweiundreißig Treppenstufen und zwei Stockwerke bis in den Keller hinter sich gelegt.
In diesem Teil des Klosters war Margaretha bisher nicht gewesen. Es war noch stickiger, die Luft feucht und schwer. Die Wände waren aus grob geschlagenen Steinen und die Decken wurden von dicken Säulen getragen, die sich um sich selbst wandten. Hier und da waren in gleichmäßigen Abständen hohe Kerzenständer aufgestellt, die wild flackerten.
"Was hast du vor, Ropa?", Margaretha stand immer noch neben sich und zitterte, weshalb sie gereizter war. Sie wusste, sie würde Ropa vertrauen können, trotzdessen wurde ihr mulmig zumute.
"Sei still.", zischte ihr Ropa zu, in einem für sie ungewöhnlich rauen Ton.
Durch einen weiteren, viel verzweigten Gang kamen sie in einen Saal mit einer hohen Decke und einigen Gemälden an den Wänden. Darauf waren ältere Männer in Kutten mit finsteren Blicken abgebildet, scheinbar die vorherigen Priester des Klosters. Am Ende des Saals war eine große, zweitürige Pforte mit schweren, leicht verrosteten Klinken.
"Das ist die Alte Bibliothek. Die Neue Bibliothek kennst du bereits, mein Kind. Diese hier aber ist nur für unsere Priester, die Mutter Oberin und unsere Heilerinnen gedacht.", flüsterte Ropa fast schon ehrfürchtig, als sie auf die Tür zutrat.
"Und was wollen wir hier?"
"Wir wollen zu Schwester Lillibeth. Sie ist die Einzige, der wir in deinem Fall vertrauen können, bis wir Gewissheit haben.""Ja, herein."
Verdutzt hielt Lillibeth in ihrer Arbeit inne und sah zur Tür. Wer sie um diese Uhrzeit störte? Sie war gerade damit beschäftigt Rosmarin in einem Mörser zu zerstoßen, während sich auf ihrem Tisch etwa zehn Bücher stapelten und neben ihr eine Tasse voll Tee dampfte. Der Duft von Kräutern und Essig übertünchte das Modern im Raum. Fast wie in Benjakas Haus hingen überall getrocknete Kräuterbüschel. In hohen Regalen reihten sich dicke Bücher mit alten Stoffeinbänden auf und hin und wieder wurde ein Buch durch ein Glas ersetzt. In diesen Gläsern waren die verschiedensten Dinge eingelegt: Abgetrennte Gliedmaßen unterschiedlicher Tiere, in sich verschlungene, kleine Schlange oder Eidechsen, etwas, das an ein Gehirn erinnerte oder auch kleine Hautgewebestücke.Die Ähnlichkeit zwischen Lillibeth und ihrer Zwillingsschwester Benjaka war verblüffend: Sie besaß dieselben grünen Augen, die verspielten Sommersprossen und auch die vollen Lippen. Ihre Locken schienen genauso wild, nur dass sie etwas dunkler waren. Lillibeths Figur unterschied sich ebenfalls von Benjakas. Sie war nicht so sehnig, etwas zierlicher und kleiner.
Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als sie versuchte in dem Licht der Kerzen die zwei Gestalten zu erkennen, die zu dieser späten Stunde zu ihr kamen. Verwundert erkannte sie Ropa, eine der Nonnen, und ein schlankes Mädchen.
"Schwester Ropa, wie kann ich Euch helfen?", fragte sie mit leichter Besorgnis in der Stimme, während sie das junge Mädchen betrachtete.
"Schwester Lillibeth... ich komme mit Sorge zu Euch und hoffe, auf Euer Stillschweigen vertrauen zu können.", endlich ließ sie Margarethas Handgelenk los und stellte ihre Kerze auf einen nahestehenden Tisch ab. Mit vorsichtiger Bestimmtheit schob sie Margaretha vor sich, sodass ihr Gesicht nun genau im Schein des Kerzenlichtes war und begann ihre Sorge Lillibeth zu schildern: "Ich weiß, es ist spät, aber Ihr müsst als unsere Heilerin mir helfen und eventuell kommt Ihr auch dazu ein weiteres Wunder zu vollbringen. Ich hoffe so sehr, dass meine Angst unbegründet ist...", sagte sie wie zu sich selbst.Die Verwirrung in Lillibeths Kopf wurde größer bei dem Anblick der aufgewühlten Ropa und des Mädchen, das einfach nur dastand und dem langsam Tränen über die Wangen liefen. "Ropa, ich verstehe nicht... welches Wunder meint Ihr?"
"Ich spreche von dem Wunder, welches Ihr selbst bereits als junges Mädchen vollbracht habt." Mit einem durchdringenden Blick wartete Ropa, bis es Lillibeth dämmerte. Als sie verstand, schluckte sie schwer.
Ropa bestätigte Lillibeths Gedanken: "Sagt mir, hat ein Dämon von Margarethas Seele Besitz ergriffen?"
DU LIEST GERADE
Rattenjagd
FantasíaBenjaka und ihre Zwillingsschwester Lillibeth werden in ihrer Kindheit von einem Dämon heimgesucht, der sie von ihrer Familie trennt. Nach Jahren der Trennung erfährt Benjaka, dass der Dämon namens Ly immer noch sein Unwesen in der Welt der Menschen...