"Es hat sich nichts verändert. Nun haben wir uns so lange nicht mehr gesehen, aber alles ist unverändert." Teniel sah sich staunend in ihrem Heim um, betrachtete die Kräuterbüschel, die von der Decke hingen, den kleinen Ofen, der gerade einen Topf mit Suppe zum Kochen brachte, den langen, grob gefertigten Holztisch und die vielen Bilderrahmen, die verschiedenste Szenarien zeigten, angefangen bei gemalten Portraits bis hin zu getrockneten Blumen. Selbst der Holzhaufen neben der Eingangstür sah noch genauso ungeordnet geschichtet aus, wie er vor einigen Jahren war.
Benjaka rührte kurz in dem Topf mit der Suppe um, drehte sich dann zu ihren Kameraden, zuckte mit den Schultern und legte ihren Kopf auf die Seite: "Weißt du, Teniel, ich habe mich in den paar Jahren nach dem Krieg zur Ruhe gesetzt. Ich habe hier einen Tag nach dem anderen vorbeistreichen lassen, ohne etwas zu ändern oder zu bewegen. Hin und wieder habe ich in meinem Garten gearbeitet und versucht neue Kampftechniken zu erlernen, um nicht ganz aus der Übung zu kommen, aber sonst habe ich mich nur von meinen Jahren auf dem Schlachtfeld erholt." Plötzlich schien sie um Jahre gealtert, denn ohne ihr kindliches Lächeln auf den Lippen, kamen Falten zum Vorschein, die sie noch nicht haben dürfte. Mit ihren 23 Jahren hatte sie zwar schon einiges mitgemacht und erlebt, aber so sah sie Jahre älter aus. Der Krieg und all das Leid hatten Narben in ihr Gesicht gefressen, die sie trotz ihres frohen Gemüts nicht so einfach verschwinden lassen konnte.Erschöpft ließ sie sich auf die Holzbank fallen und sah dann wieder unschuldig zu ihm und Sadun auf: "Ich hab euch sehr vermisst. Oft habe ich mir die Zeit mit euch zurückgewünscht und mir gedacht, dass ich nicht für immer alleine am Rande eines Waldes leben könnte. Ich will wieder mit euch in die Welt hinausziehen, ich will wieder etwas erleben. Zwar weiß ich ganz genau, dass ich meinen Soll bereits erfüllt habe, aber das reicht mir nicht." Vehement schüttelte sie den Kopf und bekam dadurch eine gewisse kindliche Trotzigkeit. "Ich habe meinen Schaden von der Zeit als Kriegerin wegstecken müssen und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es erneut aushalten würde, aber ich langweile mich hier zu Tode."
Lange sagte keiner etwas, stattdessen sahen sie sich einfach nur an. Irgendwann meldete sich Teniel erneut zu Wort: "Benni, hast du den Brief gelesen?"
Verwirrt runzelte sie die Stirn, stand dann zögernd auf und öffnete die erste Schublade einer Kommode, die sich neben der Eingangstür befand. Daraus holte sie einen Umschlag dessen Siegel noch ungebrochen war. "Nein, ich wollte auf euch warten. Habt ihr ihn schon gelesen?"
Beide nickten.
"Oh.. nun gut.", Benjaka bemerkte wie seltsam sich ihre Kameraden auf einmal verhielten. Sie hatte eigentlich erwartet, als sie die Botschaft erhielt, dass sie sich treffen mussten, dass es ein Wiedersehen aus Interesse sein sollte, aber scheinbar sollte dieses Treffen eine größere Bedeutung haben.
Vorsichtig brach sie das Siegel, entfaltete den Brief und las laut vor: "Benjaka, Tochter der Lilli und des Benjamin, aus dem Hause des Herbstes, Geborene des Sonnenuntergangs und Schwertmeisterin des Adlers,
der Rat unseres Kaiserreiches hat einstimmig beschlossen, dass es erneut an der Zeit sein wird, die Adler fliegen zu lassen. Es ist wieder so weit."
Verdutzt drehte sie den Brief einmal, aber sonst stand nichts darauf geschrieben. "Was soll das?"
"Der Kaiser will die oberste Schicht der Adler wieder zum Kampf ordnen lassen. Scheinbar gibt es verwirrende Vorkommnisse in dem Kaiserreich. Ich war letztens erst vor Ort," begann Sadun zu erzählen, während er sich an dem Holztisch niederließ, "um mir das alles Mal anzusehen. Der Kaiser sagte, dass beängstigende Dinge geschehen, aber mehr ist nicht bekannt. Ich habe meinen Lehrling dort gelassen, er protokolliert momentan alles und befragt die Menschen. Benjaka, das hier sollte ein schönes Wiedersehen werden, aber es gibt einen Grund, weshalb wir Drei ausgewählt wurden." Kurz wechselte er einen Blick mit Teniel, der wieder ruhiger geworden war. "Wir müssen zu Lillibeth. Am besten heute noch."
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Rattenjagd
FantasyBenjaka und ihre Zwillingsschwester Lillibeth werden in ihrer Kindheit von einem Dämon heimgesucht, der sie von ihrer Familie trennt. Nach Jahren der Trennung erfährt Benjaka, dass der Dämon namens Ly immer noch sein Unwesen in der Welt der Menschen...