3. "Schwesternliebe"

14 2 0
                                    

Alles um Benjaka herum wurde schwarz und sie bemerkte, wie sich ein flaues Gefühl in ihr ausbreitete. Sie wäre fast gefallen, doch schon war Teniel da und hielt sie fest, ließ sich mit ihr auf den Boden sinken und bettete ihren Kopf auf seinem Schoß: "Ganz ruhig, Benni. Alles ist gut. Hörst du mich?", vorsichtig strich er ihr über die Wange und beobachtete, wie sich ihre Augenlider schwer hoben und senkten. Sie keuchte leicht und zitterte, aber eine feine Röte stieg ihr wieder ins Gesicht.
"Wisst ihr eigentlich, was ihr da von mir verlangt?", ihre Stimme war leise und kaum hatte sie sich wieder aufgesetzt, schlang sie ihre Arme um sich, als würde sie frieren. "Nein, wisst ihr nicht.", sagte sie zu sich selbst. "Ihr wisst es nicht. Ihr habt keine Ahnung."
Mit geröteten Augen sah sie zwischen Sadun und Teniel hin und her. "Ich habe Lillibeth seit unserer Kindheit nicht mehr gesehen und das hat einen Grund. Nicht nur, dass sie daran Schuld war, dass ich von Zuhause rausgeworfen wurde, weil meine Eltern dachten, ich wäre auch besessen. Nein, noch dazu hat sie mir vorgeworfen, dass ich an ihrem Leid schuld wäre, dass sie nur wegen mir ins Kloster musste. Ich habe seit Jahren nichts mehr von ihr gehört und ich hatte es auch nicht vor das zu "
Mittlerweile klang sie nicht mehr ängstlich, sondern nur entschlossen und fast schon wütend.
"Benni, keiner von uns beiden wird dich zwingen, aber versteh das bitte: Wir brauchen Lillibeth. Erstens ist sie die beste Ansprechpartnerin dafür und zweitens ist sie als Klosterschwester und als dein Zwilling für den Kaiser am vertrauenswürdigsten.", Teniel wollte noch etwas hinzufügen, aber verwirrt runzelte Benjaka die Stirn und unterbrach ihn. "Wieso soll Lillibeth die Richtige für diese Vorfälle sein? Was ist denn überhaupt passiert?"
"Dämonen, Benjaka. Dämonen. Sie haben sich ausgebreitet, immer mehr Menschen fordern Exorzismen und scheinbar vermehren sich die Zufälle. Die fehlgeschlagenen Exorzismen werden mehr, bei jedem zweiten sterben Priester. Irgendetwas hat die Höllentore passiert und treibt nun sein Unwesen in unserer Welt."

Von einem zu dem anderen Moment wurde es kalt in dem Raum, das Feuer knisterte ganz leise und von draußen hörte man, wie ein Gewitter aufzog.
"Dämonen?", fragte sie mit zittriger Stimme.

Schreie waren im ganzen Haus zu hören und ein lautes Klopfen kam von der Eingangstür. Wie in Trance lief sie zur Tür und öffnete vorsichtig mit ihren kleinen Kinderhänden, um erstaunt in die bösen Augen eines Priesters zu sehen, der dort stand und hereinkommen wollte. Von hinten kam gerade ihre Mutter, die sie beiseite schob, um den Mann hereinzulassen. "Kommen Sie bitte hier entlang. Sie sind in dem Kinderzimmer.", ihre Mutter führte den Priester, der ein schweres Buch in dem Arm hielt, die Treppe hoch und in das Kinderzimmer ihrer Schwester. Benjaka folgte ihnen, verstand aber nicht, was los war. Die Schreie wurden lauter, je näher sie zu dem Kinderzimmer kamen.
Bevor sie in das Zimmer am Ende des langen Flurs gingen, machte der Priester das Zeichen seines Gottes und trat dann mit dem offenen Buch in der Hand herein. Ohne Umschweife begann er seine Verse zu intonieren. Benjaka versuchte hinter ihm etwas zu sehen, doch konnte sie nur kurz ihren Vater sehen, wie er auf dem Bett saß und Lillibeth hielt. Sie erschrak bei dem Anblick, den sie erhaschte, denn das, was sie da gesehen hatte, war nicht ihre Schwester. Lillibeth hatte Schaum vor dem Mund und geweitete Augen. Lautes Knurren kam aus ihrer Kehle und sie wandt sich in den kräftigen Händen ihres Vaters, der versuchte sie festzuhalten. Lillibeth hatte Benjaka bemerkt und starrte sie nun böse an, sie fauchte wie ein wildes Tier und drückte ihren Rücken durch, sodass man ein paar Knochen knacken hören konnte.
Vor Schreck wich Benjaka zurück, fiel dabei hin, aber krabbelte weiter. Sie wollte einfach nur weg, wollte das Knurren ausblenden, den Priester, der noch immer inbrünstig seine Texte vorlas, und auch ihre Eltern; ihre Mutter, die weinend daneben stand, und ihren Vater, der entschlossen war, seine Tochter festzuhalten, sodass sie sich selbst und niemand anderen verletzen konnte. Währenddessen knurrte Lillibeth alles und jeden an, schrie, wimmerte und versuchte sich aus dem Griff ihres Vaters zu lösen. Das Gerede des Priesters taugte ihr nicht, denn nun beschimpfte sie ihn mit Worten, welche ein Kind in ihrem Alter gar nicht kennen sollte. Aber der Priester ließ sich davon nicht beirren. Mit lauter und fester Stimme las er einen nach dem anderen Vers vor, blätterte zwischenzeitlich immer wieder, hörte aber nicht auf.
Benjaka hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sie beobachtete alles mit schrecklicher Angst, konnte aber nicht wegsehen, sondern beobachtete weiterhin, wie sich langsam alles steigerte: Die Stimme des Priesters wurde lauter und Lillibeth wurde immer aggressiver. Kurz versetzte sich Benjaka in die Situation ihrer Eltern. Wenn das eigene Kind zu einem Monster wird, man aber weiß, dass irgendwo hinter dieser Fratze noch die Seele eines unschuldigen Kindes existierte. Ein grausamer Stich in ihrer Brust brachte Benjaka dazu, laut aufzuschreien. Erschrocken griff sie sich an die schmerzende Stelle, keuchte vor Angst und sah panisch zu ihrer Mutter, die sofort bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Diese griff nach der Robe des Priesters und schrie etwas, was Benjaka nicht verstand. Sie war so sehr auf den Schmerz und die Schreie ihrer Schwester im Hintergrund konzentriert, sodass alles sonst um sie herum verschwand. Wie der Mittelpunkt eines Tornados fühlte sie sich, hin und wieder kam ein anderer Eindruck dazu, aber sonst bekam sie nur die unmenschlichen Laute und ihr eigenes Keuchen mit.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass der Priester verwirrt zwischen ihr und Lillibeth hin und her sah, dann den Kopf schüttelte und irgendwas von Opfer sprach, doch ihre Mutter schrie ihn an, er solle sofort aufhören, er würde ihre andere Tochter sonst auch umbringen.

Und plötzlich war alles leise. Alles klar. Benjaka's Schmerzen waren weg, sowie die Schreie und das Schluchzen.. und das stetige Intonieren des Priesters. Zögerlich ging dieser auf das Bett zu, auf dem Lillibeth in sich versunken dalag, von ihrem Vater noch immer an den Handgelenken festgehalten, und zu schlafen schien. Er suchte nach ihrem Puls und prüfte mit einem Zeichen seines Gottes, ob alles geglückt war, und tatsächlich: Er drehte sich zu ihrer Mutter und nickte zufrieden. Danach widmete er sich Benjaka, ging langsam zu ihr, kniete sich nieder und sah ihr tief in die Augen. Schweißperlen lagen auf seiner Stirn, er zitterte vor Anstrengung, aber nickte auch bei ihr zufrieden, als er das Zeichen ausführte.
Und damit sollte der Schrecken eigentlich beendet sein, dachte Benjaka, als sie ihre Schwester ängstlich in Augenschein nahm.

RattenjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt