Splitterndes Herz

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Kapitel 8
Splitterndes Herz

Jungkook

Vier Tage hatte ich Taehyung nicht gesehen und ihn jetzt vor mir stehen zu sehen, löste eine Flut an Gefühlen in mir aus. Ich war schon lange nicht mehr auf ihn wütend, viel mehr vermisste ich ihn und hatte Mitleid. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen und er trug nicht mehr, als ein ausgeleiertes, dreckiges Shirt und eine Boxershorts. Glanzlos blickten mir seine sonst so strahlenden Augen entgegen, seine Lippen waren aufgerissen und seine Haare hingen ihm fettig in die Stirn. Ich konnte nur erahnen was er in den letzten Tagen durchgemacht hatte und plötzlich tat es mir Leid, ihn so lange hingehalten und ignoriert zu haben.

Kein Wort wollte mir über die Lippen kommen und ich schluckte schwer, als Taehyung sich von mir abwendete und stolperte. Mit einem dumpfen Geräusch schlugen seine Knie auf dem Boden auf, woraufhin ein schmerzerfülltes Keuchen an meine Ohren drang. Umständlich kämpfte er sich wieder auf die Beine und stützte sich schwankend an der Wand neben sich ab. Begleitet mit einem schmerzhaften Ziehen in meiner Brust, betrat ich die Wohnung und schloss die Tür hinter mir. Vorsichtig griff ich nach Taehyungs Arm und erschrak, als ich bemerkte wie dünn er geworden war. Er reagierte nicht auf mich und ließ sich widerstandslos in sein Wohnzimmer führen. Eine dünne Decke, die halb von der Couch herunter hing und ein zerknautschtes Kissen, deuteten darauf hin, dass er wohl hier geschlafen hatte. Kraftlos ließ Taehyung sich in die Polster sinken und starrte apathisch vor sich an die Wand. Es tat weh ihn so zu sehen und um mich ein wenig abzulenken, ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Durch die zugezogenen Vorhänge sah man nur dünne Lichtstrahlen, in denen Staubpartikel tanzten und es roch muffig, so als hätte er seit Tagen nicht mehr gelüftet.

„Hab kein Mitleid mit mir", riss mich Taehyungs heisere Stimme aus meinen Gedanken. „Das habe ich nicht verdient."
„Tae." Völlig in sich zusammengesunken, schien ihn jeglicher Lebenswille verlassen zu haben und das machte mir genauso viel Angst, wie sein emotionsloser Blick.
„Hast du dich mit Jimin vertragen?", fragte er leise und überraschte mich damit.
„Nein, noch nicht", antwortete ich zögernd. „Ich bin noch nicht bereit ihm zu ver-"
„Verzeih ihm!"
„Was?", stieß ich hervor und wunderte mich ein wenig über Taehyungs Stimmungswechsel. Durchdringend sah er mich an und bescherte mir damit eine unangenehme Gänsehaut.
„Verzeih ihm", wiederholte er seine Worte, dieses Mal sogar noch ein wenig lauter als zuvor. Sprachlos sah ich ihn an und spürte plötzlich Wut in mir aufkommen. Wut darüber, dass er mich zu etwas zwingen wollte.
„Warum sollte ich? Was ist dein Problem?", fauchte ich und verspannte mich, als Taehyungs Blick sich schlagartig verdunkelte. „Was gibt dir das Recht so mit mir zu sprechen?", zischte ich aufgebracht und erschrak, als er plötzlich aufsprang.

„Jimin soll verdammt nochmal für dich da sein, wenn ich sterbe!"

Schwer atmend und zitternd stand Taehyung vor mir, bis er sich wieder in die Polster sinken ließ. Das Blut rauschte mir in den Ohren und eisige Kälte schoss durch meine Adern.
„Sterben?", kam es mir tonlos über die Lippen.
„Ich bin krank." Taehyungs Stimme kam nur seltsam verzerrt bei mir an. „Unheilbar."
„Wie... Was... Warum...", stammelte ich überfordert und blinzelte mehrmals, als meine Sicht verschwamm.
„Ich wollte es dir so oft sagen", begann Taehyung leise zu sprechen. Verschwommen konnte ich erkennen, wie er fassungslos seine Hände anstarrte, die in seinem Schoß lagen. „Ich wollte, konnte aber nicht. Immer wenn ich dein glückliches Lächeln gesehen habe, hat mich der Mut verlassen", sagte er mit dünner Stimme. „Mir war klar, dass ich dir damit das Herz brechen würde."

„Wie lange?", stieß ich hervor und dabei war es mir völlig egal, dass ich ihn unterbrach.
„Ich halte dich davon ab, dein Leben zu beenden und sterbe irgendwann selbst. Ich komme mir so schäbig vor", ignorierte er mich einfach und lachte freudlos.
„Verdammt Taehyung, wie lange?", unterbrach ich ihn ein weiteres Mal und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zum Schluss etwas schrill wurde. „Wie lange bleibt dir noch?"
„Ich weiß es nicht", brüllte er plötzlich und schlagartig war nur noch mein keuchender Atem zu hören. „Der Arzt kann es nicht genau sagen", fügte er flüsternd hinzu.

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