Am nächsten Morgen, gelang es mir ausnahmsweise nicht zu verschlafen, da ich mein iPhone, auf dem ich mir den Wecker gestellt hatte, an meine Stereoanlage angeschlossen hatte. Man kann sich nicht vorstellen, was für einen gewaltigen Schrecken man bekommt, wenn einem gefühlte zweitausend Dezibel ins Ohr dröhnen. Da war fast noch schlimmer als der Motorenlärm der Formel 1 Autos. Mit einem Ruck saß ich aufrecht im Bett.
Apropos Formel 1...
Das erinnerte mich daran, dass ich nicht wie gewöhnlich die Tube zur University nehmen würde, sondern direkt den Schnellzug nach Woking.
Kaum zu glauben, ich hatte tatsächlich einen dreimonatigen Job bei McLaren. Mit frischer Motivation sprang ich aus meinem weichen und warmen Bett, deren Geborgenheit nach mir rief und öffnete die Türen meines Kleiderschranks. Eine Weile starrte ich einfach nur geistesabwesend auf meine Kleidung, ohne irgendetwas wahr zu nehmen, geschweige denn ein passendes Outfit für meinen zweiten Arbeitstag zu finden. Die Zeit, die ich durch meine Aufweckaktion gewonnen hatte, verlor ich schnell wieder durch kleidungtechnische Unkreativität.
Schließlich hatte ich mich für eine dunkle Röhrenjeans und graue Ugg-Boots entschieden, die ich mit einem weiten Kashmerepulli aus dem letzten Herbstschlussverkauf von Bulgari kombinierte. Doch bevor ich in meine zweifellos sehr modebewusste Auswahl hineinschlüpfte, brauchte ich erstmal eine warme Dusche.
Meine rückenlangen Haare föhnte ich auf, anstatt sie wie gewöhnlich zu einem Pferdeschwanz zu binden. Das Rot meiner Haare bildete einen sehr interessanten Kontrast zu dem dunkelrot meines Pullovers. Aber damit würde ich wohl leben können.
Auf Frühstücken bei mir zuhause hatte ich keine Lust, weswegen ich meine Wohnung früher als sonst verließ, um mir im Coffee Bean um die Ecke einen Schokochipmuffin mit Bananenflavor und einen Latte Macchiato zu bestellen.
Doch leider hatte ich meine Rechnung ohne Londons Frühaufsteher gemacht, die alle sowohl bei Coffee Bean, als auch bei Starbucks Schlange für ihren obligatorischen Morgenkaffee standen.
Bitte, dann aß ich halt nichts. Frühstück war meiner Meinung nach sowieso die sinnloseste Mahlzeit von allen.
Das Problem war jetzt aber, dass ich viel zu früh mein Haus verlassen hatte, und jetzt nicht wusste, wie ich mir die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges vertreiben konnte.
Klar, ich war in diesem Viertel zuhause, doch ich hatte keine Ahnung wie man sich in Hyde Park Corner die Zeit vertreiben konnte.
Gerade, als ich schon so tief sinken wollte, mich auf einer eiskalten Parkbank im Hyde Park zu setzten, entdeckte ich zwischen einem Tesco und einem Buchgeschäft, einen kleinen Laden, dessen Gebiet ich auf den ersten Blick nicht einordnen konnte.
Er erregte hauptsächlich deshalb meine Aufmerksamkeit, da er offen zu haben schien und gut geheizt wirkte.
Ich öffnete die Glastür an ihrem Messingknauf, und ein fröhliches Geklimper erklang. Der Laden war sehr vollgestopft, in den Regalen stapelten sich Dinge, von der Decke bis zum Boden.
Alltägliche Dinge, nutzlose Dinge, kaputte Dinge, und Dinge, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Das war wohl der Inbegriff eines Krimskramsladens. Der Laden war menschenleer, nicht mal ein Verkäufer war zu sehen. Da ich noch genug Zeit hatte, begann ich langsam die Regalreihen abzugehen, auf der Suche nach dem sinnlosesten Objekt. Jedoch blieb ich unwillkürlich stehen, als ich einen Schmuckanhänger erblickte, der in ein einer kleinen Box ruhte. Er war eine hauchfein gearbeitete Rosenblüte aus grüner Jade, dessen einzelne Blätter so unglaublich fragil wirkten. Vorsichtig hob ich die Box an, um auf den Preis zu schauen, doch da stand keiner.
"Dieses Schmuckstück ist leider schon vorreserviert", riss mich eine melodiöse Stimme aus den Gedanken.
Ich fuhr erschrocken herum, und erblickte eine ältere chinesische Dame, die um zwei Köpfe kleiner war als ich.
"Ohh", machte ich enttäuscht. Die Frau zuckte nur bedauernd mit den Schultern, und ich sah auf meine Uhr.
Schon Viertel vor Acht und mein Zug ging um Punkt Acht.
Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich in diesem Laden so viel Zeit verbraucht hatte. Also hastete ich in aller Eile an der etwas vedutzten Verkäuferin vorbei, wobei ich einen Anschiedsgruß rief. Das war echt wieder typisch Jenna. Erst zu viel Zeit zu haben, die aber dann sinnlos verbrauchen und dann wieder irgendwohin hetzen.
Ich erreichte den Bahnhof gerade noch rechtzeitig und konnte den Zug gerade noch am Losfahren hindern, indem ich auf den "Tür-Öffnen" Knopf haute. Dabei rutschte ich unglücklich ab, und und ein scharfer Schmerz fuhr durch mein Handgelenk. Wie viel Pech konnte ein Mensch eigentlich haben? Mein Handgelenk schonend, humpelte ich den Zug. Den Fuß hatte ich mir beim Rennen verknackst. Aber der Schmerz ließ zum Glück gerade nach.
Ich kontrollierte jedes Abteil nach einer gewissen Person, doch Jenson schien nicht hier zu sein. Erleichtert und doch ein wenig enttäuscht betrat wahllos ein Abteil und ließ mich auf den Platz am nähersten an der Tür fallen. Wer konnte schon wissen, ob der Zug nicht vielleicht anfing zu brennen. Dann würde ich als erstes draußen sein. Allerdings würde der verrückte Massenmörder mich zuerst erwischen, da ich als erster in seiner Reichweite war. Schwierige Entscheidung.
Schließlich kam ich zum Schluss, das es am besten war, in der Mitte zu sitzen. Leider waren auch schon andere auf diese Idee gekommen, dann alle Mittelplätze waren besetzt.
Die Fahrt nach Woking dauerte fast genau eine Stunde und so stand ich nach dieser Zeit im eiseigen Nieselregen und wartete auf das McLaren Shuttle. Warum hatte ich mir bloß keinen Schirm mitgenommen? Ich meine, welcher Londoner geht ohne Schirm aus dem Haus?
Als der silberrote McLaren Bus endlich um die Ecke rollte, war meine Kleidung komplett durchnässt, und die anderen, die mit mir auf den Bus warteten, warfen mir unter ihren Schirmen mitleidige Blicke zu.
Es versteht sich von selbst, dass im Bus keiner neben mir sitzen wollte. Wer hat schon Lust die Busfahrt neben einem durchnässten Schlammmonster zu verbringen?
Im Center angekommen, wandte ich mich sofort an die Rezeptionistin, die meine Identity Card einscannte, und mir daraufhin mit einem Wink zu verstehen gab, ich sollte mich zur Garage aufmachen.
Ich war mir so was von sicher, dass ich eine Erkältung bekommen würde, meine Nase kitzelte schon unangenehm.
Als ich die Garage betrat, war außer den beiden Fahrern niemand zu sehen.
Sergio schraubte an seinem Auto und Jenson saß weit oben auf einer Werkzeugkiste und -was für eine Überraschung- kritzelte wieder auf seinem Block.
Sergio sah auf, als ich tropfnass wie ich war durch die Garage schlürfte.
"Jenna!", rief er entsetzt aus. "Wie siehst denn du aus? Du holst dir ja noch den Tod!"
"Ja danke, Sergio", brachte ich zitternd hervor. "Das ist mir auch schon eingefallen. Wieso ist es eigentlich so eisig kalt in dieser Garage?"
"Es ist nicht kalt, es kommt dir durch die Verdunstungskälte deiner Kleidung nur so vor. Außerdem tut zu viel Wärme den Autos nicht gut", belehrte Jenson mich von seiner erhöhten Position ohne aufzusehen.
Er hatte ohne Beleidigung in der Stimme mit mir gesprochen. Anscheinend hatte er nicht bemerkt, dass ich diejenige war, der er geantwortet hatte.
"Jense, du hast doch noch die Ersatzkleidung hier irgendwo, oder?"
"Jep. Hier irgendwo, in einer der Kisten", antwortete er, immer noch gleichgültig.
Sergio hatte schon nach kürzester Zeit die richtige Kiste gefunden, und warf mir ein Bündel Kleidung zu.
"Zieh das an. Ich drehe währenddessen die Heizung weiter auf."
"Muss das sein?", kam Jensons ungehaltene Antwort von oben. "Hier ist es sowieso schon so warm. Außerdem, wieso sollten wir Energie auf eine unwichtige Aerodynamikerin verschwenden?"
Okay, jetzt war er wieder der alte.
"Sorry, Jense, aber es muss sein. Also beruhig dich mal wieder", gab Sergio ungerührt zurück.
"Los, Jenna, geh dich umziehen."
Das letzte was ich hörte, bevor ich den Raum verließ, war Jensons entsetzter Sind-das-etwa-meine-Klamotten?-Ausruf.
Sag mal, wo war der mental die letzten fünf Minuten gewesen?

DU LIEST GERADE
Aerodynamics
FanfictionJenson Button, seines Zeichens Formel 1 Weltmeister, Brite, gut aussehend, trifft auf einer Filmpremiere auf Jenna. Jenna Cumberbatch, deren größte Errungenschaft es ist, Benedict Cumberbatchs kleine Schwester zu sein, ist sofort von dem charismatis...