| 07. DISLIKE

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Am nächsten Morgen stand ich wieder früh auf, sorgsam darauf bedacht, meinen Bruder nicht zu wecken. Der Ärmste schlief zusammengerollt wie eine Kugel, als ob er sich vor den bösen Mächten von außen schützen wollte.
Wie viele Frauen auf der Welt würden jetzt über Leichen gehen, bloß um für einen Moment mit mir zu tauschen?
Das war das was mir am Berühmtsein Angst machte: Wenn man, wie im Falle meines Bruder, eine Freundin hätte, würden die Fans das sehr schlecht aufnehmen. Ich hatte das ja auch ein wenig mitbekommen, diese kurzen Momente, in denen die Fans meines Bruders noch dachten, ich sei seine Freundin. Tausend hasserfüllte Blicke waren mir entgegengeworfen worden, und es hatte sich angefühlt, als ob diese Blicke Steine gewesen wären. Nachdem Ben ihnen aber eröffnet hatte, dass ich seine Schwester sei, waren auf den wütenden Blicken freundliche geworden, und aus den Steinen rote Rosen.
Ich duschte schnell, und als ich in die Küche kam, um mir etwas zum Frühstücken zu holen, saß mein Bruder auf einem der Barhocker und goss sich trübselig eine Tasse schwarzen Tee ein. Als er bemerkte, dass ich hereingekommen war, lächelte er mir gezwungen zu.
"Guten Morgen, Schwesterchen." Ich ließ mich auf den Stuhl gegenüber von ihm fallen, bevor ich mir ein Jogurt nahm. Dann suchte ich in den Küchenschränken nach Schokostreuseln. Diese fand ich zwar nicht, stattdessen konnte ich ein paar M&Ms ausfindig machen, die zum Glück keine Erdnüsse enthielten. Ich kippte mir den gesamten Inhalt in den viel zu kleinen Becher und dabei verteilten sich alle Schokoperlen in der Küche.
Ben hatte mich aufmerksam beobachtet.
"Jenna, ich hab das Gefühl du warst gestern Abend nicht ganz ehrlich zu mir." Oh, er meinte damit unsere Unterhaltung über ob ich jemanden kennengelernt hatte. Was hatte Jenson bitte mit meiner Tollpatschigkeit zu tun? Trotzdem senkte ich den Blick.
"Du hast recht, Ben."
Ich zögerte. "Ich dachte, ich hasse ihn. Da hab ich mich wohl geirrt."
"Wen meinst du, Jen?" Mein Bruder blickte mich ehrlich verwirrt an. "Kenne ich ihn?"
"Yep", antwortete ich wenig begeistert. "Du hast ihn mir überhaupt vorgestellt."

"Daniel?"
Ich starrte Ben verwirrt an. "Nein, wie kommst du denn auf Daniel? Ich meine Jenson!"
"Warte..." Mein Bruder sah mich ungläubig an, während er in seinem Tee rührte. "Jenson Button, der Formel 1 Pilot? Von McLaren?"
Ich nickte müde. Dann begann mein Bruder auf einmal zu lachen, und nach kurzen Überlegen fiel ich mit ein.
"Wir suchen uns auch wirklich die unpassendsten Leute aus, nicht wahr?", prustete Benedict zwischen zwei Lachern hervor. "Eine verheiratete, sehr berühmte Schauspielerin, und ein beliebter Formel 1 Fahrer, der ebenfalls in festen Händen ist."
Nein, es gab wirklich sehr viel mehr intelligente Wahlen als Jenson für mich.
Jenson würde mein Untergang sein. Ich spürte es.
***
Zwei Stunden später stand ich auch schon wieder in der Garage, und wartete zusammen mit Sergio und allen anderen Technikern auf Jensons Ankunft.
Klar war er wieder der letzte der auftauchte.
Einer der Techniker murrte: "Er könnte schon mal pünktlich kommen. Wir sind ja nicht seine Sklaven, denen es nichts ausmacht, dass wir auf ihn warten müssen."
"Genau!", stimmte ihm ein anderer zu. "Oder seine unsägliche Freundin, die geht mir auch so auf den Geist." Da war ich derselben Meinung. Hofften wir bloß, dass sie nicht länger seine Freundin war!
Doch Hoffnung trügte mich.
Als die große Sicherheitstür endlich von außen geöffnet wurde, begann mein Herz so laut zu schlagen, dass ich die Befürchtung hatte alle im Raum könnten es hören.
Doch im nächsten Moment war es mir egal, ob mich alle hören könnten oder nicht. Das Grauen in Person stöckelte hinter Jenson durch die Tür. Jessica war heute wieder besonders aufgedonnert. Grellster Lippenstift, voluminöse Haare, und enges Etuikleid. Sah aus wie Größe 30.
Unfair!
Jenson mied meinen Blick, als er den Raum betrat. Er sah allen ins Gesicht, außer mir.
Warum quälte er mich so? Ich dachte, er wollte mit Jessica Schluss machen. Doch dann kam mir die Erkenntnis, genau in diesem schmerzvollen Augenblick. Jenson hatte nie behauptet, dass er mit Jessica Schluss machen wollte. Ich hatte es gehofft, weil ich mich in ihn verliebt hatte.
Ich wusste nicht, wie lange ich schon in Jenson verliebt war, ob es seit unserer ersten Begegnung am Roten Teppich war, oder erst später, als er mich vor seiner Freundin gerettet hatte.
Und eben diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Ich wollte verdammt noch mal nicht in Jenson verliebt sein! Dieser Typ würde mein Herz brechen, falls er es nicht schon getan hatte. Spätestens wenn er sich endgültig für Jessica entschieden hatte.
Jenson wurde sofort von Technikern belagert, die auf ihn einredeten. Sie hatten offenbar einige wichtige Fragen zum Auto, die nur er beantworten konnte. Kurz bevor er total in der Menge verschwand, machte er Jessica ein schnelles Zeichen, welche nickte.
Dann kam sie auf mich zu. Oh Gott, was wollte die von mir?
Mit zerknirschten Gesichtsausdruck blieb sie vor mir stehen. Ich konnte nicht umhin, sie misstrauisch anzustarren. Mein Schnitt auf der Wange begann wieder zu pochen.
"Hey, ähm, Jenna."
"Jessica." Verpiss dich, dachte ich nur.
"Es tut mir leid wegen gestern." Sie lächelte reuevoll. Ich dachte weiterhin nur; Verpiss dich!
"Ich hätte dich nicht so angreifen sollen."
Nein, das war wirklich nicht die feine englische Art.
"Kannst du mir verzeihen?"
Nein, definitiv nicht. Finger weg von Jenson.
Stattdessen lächelte ich gezwungen: "Sicher. Jeder hat mal seine schlechten Tage."
Ja, ich hab gerade einen wegen dir, du Tussi.
"Also, dann." Jessica lächelte wieder. "Ich muss gehen. Viel Spaß noch bei deiner Arbeit."
"Danke dir auch."
Kratz ab, Zero-Size-Zicke.
Kaum war Jessica aus der Garage verschwunden, musste ich mich beherrschen, nicht aus Frustration loszubrüllen. Ich war so unglaublich wütend auf Jenson.
Das ließ ich ihn jedoch nicht spüren. Wer war ich, um ihm übelzunehmen, dass er sich wieder mit seiner Freundin vertragen hatte. Also verhielt mich betont freundlich, während wir die Diagramme analysierten, und lachte mit ihm über Sergios Versuch, sich so schnell wie möglich aus dem Cockpit seines McLaren zu befreien. Er blieb dabei an einem Sicherheitgurt stecken, und fiel fast über den Rand des Cockpits. Jenson behandelte mich wie immer, als sei es gestern nicht zu dem Beinahe-Kuss zwischen uns gekommen. Er merkte irgendwie, dass ich distanzierter als sonst war, denn er sah mich immer wieder schnell von der Seite an, als erwartete er, ich würde meine wahren Gefühle zeigen, wenn er nicht hinsah.
Den ganzen Vormittag lang erwähnte keiner von uns Jessicas Entschuldigung, die mich immer noch sehr überraschte. Jessica hatte sich tatsächlich bei mir entschuldigt. Ich hätte nie gedacht, dass sie jemand wäre, der einen Fehler offen zugab. Wahrscheinlich war das die einzige Bedingung gewesen, dass Jenson sie nicht hochkant rauswarf.
Jenson hatte ihr also verziehen.
Somit hatte er bewiesen, dass Jessica ihm mehr bedeutete als ich ihm.
Was hatte ich auch erwartet? Dass er sich in mich verlieben würde, bloß weil wir uns ein bisschen nähergekommen waren? Was für ein Irrtum.
***
Der Donnerstag verging ebenso schnell wie der Freitag, und bevor ich es mir versehen konnte, war Wochenende. Kein Rennwochenende, versteht sich. Dann hätte ich wohl nicht frei gehabt. Doch der Grand Prix von Indien war erst in einer Woche.
Mein Bruder war nicht in der Stadt, er hatte kurzfristig nach Finnland reisen müssen, und so kam es, dass ich den ganzen Samstag und Sonntag frei hatte und nicht wusste, was ich unternehmen sollte.
Am Samstag stand ich um zehn Uhr auf, stiefelte deprimiert durch die Wohnung, schaltete den Fernseher aus und ein, machte Yoga auf dem Teppich, nahm ein Bad, ging joggen, fertigte einen flaumigen Zitronenkuchen an, alles nur mit einem Ziel: Jenson aus meinen Gedanken zu verbannen.
Gegen Abend, ich versuchte gerade eine kaputte Glühbirne auszuschrauben, während ich auf einer sehr wackeligen Leiter balancierte, klingelte es an der Tür.
Bitte mach, dass es Jenson ist, der sich von Jessica getrennt hat!, war mein erster Gedanke, bis mir einfiel, dass ich Pizza bestellt hatte. Ich wurde langsam echt abnormal. Kaum hatte ich mein Essen entgegengenommen, schloss ich die Haustür hinter mir ab, und schleuderte den Pizzakarton auf den Boden vor das Sofa. Es war nicht umbedingt so, dass ich wütend war, aber ich musste manchmal einfach ein paar Aggressionen ablassen.
In der Küche kochte ich mir eine Kanne Tee und machte es mir damit und mit der Pizza auf dem Sofa gemütlich.
Jetzt fehlte nur noch eines für den perfekten Abend. Und damit meinte ich keinen liebevollen Boyfriend, an den ich mich kuscheln konnte. Nein, alles was ich brauchte, war ein Doctor Who Marathon. Nachdem ich mir noch ein paar Popcorn geholt hatte, legte ich die DVD ein. Doctor, ich komme.

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