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• Sleeping At Last - Resolve

Nachdem Yashar seinen Teller abgewaschen hatte, nahm er seine Tasche und wollte gerade nach oben gehen, als jemand nach ihm rief.

Sein erster Impuls war es, es zu ignorieren und einfach nach oben auf sein Zimmer zu gehen. Das war alles, was er nach diesem schrecklichen Tag wollte. Einfach nur auf sein Zimmer und sich ins Bett werfen.

Sein Fuß war bereits auf der ersten Treppenstufe, als Miguel rief: »Ich weiß, dass du mich gehört hast, Arschloch!«

Yashar verdrehte die Augen. Er wollte nicht ins Wohnzimmer zu den Jungs. Er wollte auf sein Zimmer und alleine sein, denn alleine mit seinen Erinnerungen zu sein, war immer noch besser als mit Alexej Nowoczin in einem Zimmer zu sein.

Gerade als er auf die nächste Stufe steigen wollte, hörte er Miguel betteln: »Komm schon, man, ich brauche deine Hilfe!«

Er wusste, dass er seine Entscheidung bereuen würde, bevor er überhaupt das Zimmer betreten hatte. Dennoch ging er ins Wohnzimmer und blieb misstrauisch am Türrahmen stehen.

Alexej schaute als Erster auf. Er musterte Yashar kurz, bevor sein Blick wieder zum Bildschirm glitt. Neben ihm saß Yashars Cousin Miguel, der ihn inzwischen ungeduldig zu sich winkte. Miguels schwarze Locken standen in alle Richtungen ab, als hätte er soeben in eine Steckdose gegriffen.

Widerstrebend stieß Yashar sich vom Türrahmen ab und ging auf ihn zu. Miguel sprang auf und drückte ihm seinen Controller in die Hand. »Übernimm mal für mich. Ich muss kurz aufs Klo.«

Yashar blieb wie angewurzelt mit dem Controller in der Hand stehen, während Miguel an ihm vorbeirannte, ohne eine weitere Erklärung.

Yashar verstand nicht viel von Videospielen, aber er fragte sich, ob die Jungs nicht einfach für einen Augenblick auf Pause drücken und warten konnten bis Miguel wieder zurückkam? Miguel wusste doch, dass Yashar eine Niete in diesen Videospielen war. Er hatte nie verstanden, was der Spaß daran sein sollte, den ganzen Tag auf irgendwelche Tasten zu drücken.

Plötzlich griff jemand nach seinem Arm und zog ihn aufs Sofa.

Verwirrt drehte Yashar den Kopf und sah Alexej an, dessen Blick immer noch am Spiel hing. »Du sollst für Miguel spielen, nicht blöd dastehen.«

Yashars verblüffter Gesichtsausdruck verzog sich zu einem beleidigten, doch gerade als er etwas Schnippisches erwidern wollte, legte Alexej eine Hand auf sein Bein - immer noch ohne ihn anzusehen -, und erstickte somit jedes Wort, das Yashar auf der Zunge gelegen hatte, in Keim. Er konnte nicht nur nicht mehr reden, sondern sich auch nicht mehr bewegen. Stattdessen riss er den Blick von Alexejs Gesicht und starrte die Hand an, die auf seinem Bein lag. Es war keine liebevolle Geste oder Liebkosung, die Hand lag einfach nur da, und dennoch fiel es ihm mit einem Mal unglaublich schwer, zu denken. Oder überhaupt zu atmen. Als läge Alexejs Hand nicht auf seinem Oberschenkel sondern an seiner Kehle. Als drückte Alexejs Daumen direkt auf Yashars Halsschlagader.

Er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Ihm war klar, dass er irgendetwas tun musste - etwas sagen oder tun oder wenigstens aufhören, diese verdammte Hand anzustarren -, aber er schaffte es nicht. Stattdessen bemerkte er die langen, schönen Finger und die Adern auf Alexejs Handrücken. Es hätte ihm nicht auffallen sollen. Genauso wenig wie diese nichtssagende Berührung Yashars Herz zum Pochen bringen sollte.

Yashar wollte seine Hand vom Controller lösen und sie auf Alexejs legen. Ihre Finger ineinander verschränken und seine Haut an seiner eigenen spüren. Er wollte so vieles und tat doch nichts davon.

»Du musst schon auf die Tasten drücken«, sagte Alexej auf einmal und riss Yashar damit aus seiner Trance. Er blinzelte mehrmals, hob den Blick und sah in zwei klare blaue Augen, die ihn musterten. Alexejs Blick hatte etwas Seltsames, fast, als wüsste er, was in Yashar vorging, als hätte er eine Ahnung, dabei war das unmöglich. Er konnte es nicht wissen. Niemand konnte das. Dieses Geheimnis hatte er viel zu gut verborgen. Dafür hatte er gesorgt.

In einer schnellen Bewegung legte Alexej seinen eigenen Controller zur Seite, schnappte sich den von Yashar und drückte ein paar Knöpfe. Nach nur einer Sekunde war der Bildschirm voll mit virtuellem Blut. Ein paar Leute griffen sie an. Sie kamen so plötzlich aus dem Nichts, dass Yashar leicht zusammenzuckte, aber Alexej drückte einfach weiter auf die Tasten bis einer nach dem anderen auf dem Boden lag.

Genau in dem Moment in dem Miguel zurückkam, drückte Alexej Yashar seinen Controller wieder in die Hand und nahm seinen eigenen an sich. Yashar starrte auf den Bildschirm. Er starrte die am Boden liegenden Angreifer an. Er konnte nicht genug Mut zusammenkratzen, um den Blick zu heben und Alexej anzusehen.

»Wo bist du so lange gewesen, Alter?«, hörte Yashar Alexej neben sich sagen. »Hast dir auf dem Klo einen runtergeholt, oder was?«

Yashar verzog angewidert das Gesicht. Auch, wenn das nur ein Witz gewesen sein sollte, wollte er sich nicht vorstellen müssen, was sein Cousin so auf der Toilette trieb.

Miguel hob den Mittelfinger. »Ja klar, man. Auf dich.«

Alexej lachte neben ihm. »Steck dir den Finger lieber in den Arsch.«

Yashar erstarrte. Er wäre am liebsten aufgesprungen und weggerannt. Ihm war sowieso nicht klar, wieso er überhaupt auf Miguel gehört hatte und nicht einfach auf sein Zimmer gegangen ist. Er konnte den Alkohol riechen, der den gesamten Raum umgab. Ihm wurde mit einem Mal unglaublich schlecht.

Miguel sah von den Jungs zum Bildschirm und wieder zurück. »Hast du schon wieder verloren, Yashar? Man, ich-«

Alexej, der sich inzwischen auf dem Sofa zurückgelehnt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte, seufzte neben ihm. »Wir haben gewonnen. Er hat die anderen fast komplett alleine fertig gemacht. Die hatten keine Chance gegen uns.«

Miguel fielen beinahe die Augen aus dem Kopf und Yashar war sich sicher, dass er nicht besser aussah.

»Er hat was? Verarsch mich nicht.« Miguel kam auf die beiden zu und nahm Yashar den Controller aus der Hand, um den Spielstand aufzurufen. Alexej griff mit der einen Hand nach seinem Bier, während die andere wieder auf Yashars Bein landete. »Kannst mir ruhig glauben. Der Typ hat mehr drauf, als man zuerst glauben mag.«

Und dann, kurz bevor er die Flasche an seine Lippen setzte, schenkte Alexej Yashar ein Grinsen.

Behind His Smile | boyxboy [PAUSIERT] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt