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Nachdem ich mich umgezogen hatte, ging ich zu den anderen nach oben. Alle, mit Abstand alle, Agents und Mitarbeiter schauten mich schräg an und tuschelten untereinander, als ich vorbeilief. Als ich oben ankam, lief alles schon auf Hochtouren. Auf dem Bildschirm waren mehrere Gesichter, Führerscheine und Karten. „Hannah da bist du ja. Wir wollten dich gerade fragen, ob du einen von denen schonmal gesehen hast?", fragte mich Hetty und zeigte dabei auf den Bildschirm. Einer dieser Männer kam mir tatsächlich bekannt vor, aber ich wusste nicht woher. „Den da kenn ich.", fing ich an und zeigte auf ein Bild mit einem ausländisch-aussehenden Mann mit einem Vollbart, „Ich weiß aber nicht woher." „Denk nochmal nach. Es ist wichtig, weil wir dadurch herausfinden können, in welcher Verbindung sie zueinander und zu dir stehen.", versuchte mir Hetty auf die Sprünge zu helfen. Mir fiel es blitzartig wieder ein. „Ich glaube ich weiß wo ich das Gesicht schonmal gesehen habe. Ich habe letzte Nacht von ihm geträumt." „Was hat er gemacht?" „Er hat mich umgebracht..." Ich starrte stumm auf den Bildschirm und ging aus dem Raum raus. Das wurde mir zu viel. Erst werde ich von einem Kartell gesucht. Dann erfahre ich im Krankenhaus nach meiner ersten Entführung wer mein Vater ist. Und jetzt taucht irgend so ein Typ aus meinem Traum in Wirklichkeit auf und ist auch noch hinter mir her. Und zu allem Überfluss hat dieser Typ mich auch noch in meinem Traum umgebracht! Ich ging aus dem Gebäude, die Rufe ignorierend. Ich lief weiter und setzte mich an den Straßenrand zwei Blocks weiter. Ich vergrub meinen Kopf in meinen Händen und ließ die Tränen einfach laufen. Ich brach innerlich zusammen. Es war einfach zu viel. Welches 16-jähriges Mädchen muss sich den schon in so kurzer Zeit so vielen Problemen stellen? Und dann auch noch ohne Eltern? Ohne Familie? Ohne wirkliche Freunde? Allerdings hatte ich die vorher auch nicht so wirklich. Zumindest nicht so wie andere. Ich hatte wieder so eine Phase, in der ich viel nachdachte. Zu viel. Zu viel nachzudenken ist nicht immer gut. Man macht sich über Sachen Gedanken, die eigentlich keine große Rolle spielen. Puschen sie auf. Und plötzlich sind so wichtig, dass man nicht mehr ohne sie leben konnte. So war es bei mir. Ich machte mir zu viele Gedanken darüber, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich eine normale Familie haben würde. Mit der ich zu Hause in Kiel leben würde. Mit ich der zusammen essen würde. So etwas hatte ich noch nie. Ich würde es auch nie haben. Stattdessen saß ich hier auf dem Bordstein in einer der größten Städte der Welt. Alleine. Wie immer. Es war niemand für mich da. Niemanden kümmerte es auch nur ein bisschen, wie es mir geht. Ich schaute auf und in die Ferne. Ich sah etwas schemenhaft auf mich zukommen. Es war kein Mensch. Es war aber auch kein Auto. Plötzlich leckte etwas Weiches, feuchtes mein Gesicht ab. Ich wischte meine Tränen aus meinen Augen und erkannte es. Es war eine kleine Katze. Sie sah so fröhlich aus und schaute mich liebevoll an. Sofort schlich sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Wieso konnten Menschen nicht genauso wie Tiere sein? Sie waren immer im richtigen Moment am richtigen Ort. Sie spürten, wenn etwas nicht stimmte. Etwas nicht in Ordnung war. Jemand sich schlecht fühlte. Sie schmiegte sich an mich. Auf einmal fühlte ich mich geborgen. Sie war mir ähnlicher als ich wahrhaben wollte. Sie war allein. Auf sich gestellt. Und suchte jemanden, der sich um sie kümmerte. Und dennoch bewunderte ich sie. Um ihren Instinkt. Sie wusste immer was sie machen musste. Ich nicht. Ich konnte nur hoffen, dass mir nichts passiert. Dass das was ich mache das richtige ist. Mich weiter bringt. Plötzlich zuckte sie zusammen, fauchte kurz und rannte davon. Erschrocken drehte ich mich um. Da war er. Der Mann von dem Foto. Aus meinem Traum. Der, der meinen Vater und mich erschossen hatte. Ich schrie auf. In der Hoffnung, dass mich jemand aus den umliegenden Häusern hören würde. Doch es war zu spät. Er spritzte eine bläuliche Flüssigkeit in meinen Hals. Wenige Sekunden später erschlaffte mein Körper, meine Augen fielen zu und ich fiel in die Arme des Mannes.   

"Von der Schüchternen zum Verbrecherziel"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt