Erstes Kapitel

371 19 2
                                    

Draußen herrscht ein wahnsinniges Unwetter. Von der einen auf die andere Sekunde ging plötzlich die Welt unter. Leute rannten kreuz und quer über Gehwege und Straßen um nach Hause zu kommen, oder sich wenigstens Unterstellen zu können. Vereinzelt hörte man auch Tiergeräusche, etwa das Bellen eines Hundes oder der Schrei einer Katze, die sich ebenfalls ein Versteck suchen. Während ich mir die Haare föhne, war ich doch erleichtert ziemlich zügig meine Wohnung erreicht zu haben. Ich bin zwar klatschnass, hatte aber den Luxus mich sofort umzuziehen und trocknen zu können, der den meisten, die sich jetzt irgendwo verstecken, verwehrt blieb. Nachdem ich meine warmen Socken angezogen hatte, war auch mein Wasser, das ich gleich nach dem Trocknen meiner Haare aufgesetzt hatte, fertig gekocht und wies mich mit einem lauten zischen darauf hin. Immer noch zitternd goss ich mir einen Tee auf und bettelte innerlich mich nicht erkältet zu haben. Das konnte ich mir in der momentanen Situation nicht leisten. Mein Blick glitt wieder zurück aus dem Fenster. Ein lauter Donnerschlag erschreckte mich, aber konnte mich nicht davon abhalten, es mir dicht vor dem Fenster bequem zu machen. Ich war noch nicht lange hier in der Stadt und ehrlich gesagt bereute ich es jeden Tag mehr mein kleines Dorf verlassen zu haben. Aber dort gab es keine Möglichkeiten sich eine vielversprechende Zukunft aufzubauen, außer man wollte einen Bauernsohn heiraten und ein Leben lang Kühe melken. Ich möchte damit wirklich niemandem zu nahe treten, wirklich nicht. Für mich wäre es nur nicht das Leben, das ich führen möchte. Naja. Wenn ich so darüber nachdachte, waren die Bauern wenigstens treu. Hier in der Stadt erfährt man beinahe an jeder Ecke, wie unmöglich diese Männer hier sind. Ein seufzen entwich meiner Kehle, manchmal war es wirklich zum Verzweifeln. Zwar habe ich jedes Mal die Kurve bekommen, aber die Erkenntnis nur benutzt und belogen zu werden, sofern man doch einmal Schwach werden sollte, schmerzt. Als ich hierher zog, halfen mir die Männer in meiner Wohnung beim Renovieren und Ausladen meiner Möbel. Nicht, das ich die wenigen Teile nicht alleine geschafft hätte. Ich wollte nicht unhöflich sein und lies mir helfen, worauf hin es fast stündlich an meiner Tür klingelte und mir irgendein Kerl seine Hilfe anbieten wollte. Am Anfang war es ja noch ganz nett, aber mit der Zeit wurden sie immer aufdringlicher und somit unerträglich. Mittlerweile gelte ich als Mauerblümchen, was noch nett ausgedrückt ist, bis hin zum 'prüden Miststück', wie mich einige hier gerne betitelten. Seit dem können mir diese Städter gestohlen bleiben. Ein paar dieser Idioten fand ich durchnässt auf der Straße und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Jedem das, was er verdient. 
Durch ein Klingeln wurden meine Gedanken unterbrochen. Ich stellte meine Tasse auf das Fensterbrett und lief zur Haustür. Als ich diese öffnete schaute mir ein eher unbekanntes Gesicht entgegen. Ich wusste, dass ich diesem Gesicht schon öfter im Hausflur begegnet bin. Braune, nasse Haare, die in alle Richtungen standen. Vermutlich hatte das Wetter mit Regen und Wind die Frisur so hergerichtet. Helle, grün-braune Augen und ein verstohlenes Lächeln. Insgesamt ein schönes Gesicht. Das Lächeln meines Gegenüber wurde Größer, je länger ich starrte. Als ich das bemerkte stieg mir die Röte ins Gesicht und ich schüttelte schnell den Kopf um meine Verlegenheit abzuschütteln. Er streckte mir seine Hand entgegen: „Ich bin Rhys und wohne über dir, ich weiß nicht ob du dich noch an mich erinnerst, aber ich hab dir beim Umzug geholfen und wir sind uns mit Sicherheit das ein oder andere Mal im Treppenhaus begegnet.“ Während er sich vorgestellt hat, nahm ich seine Hand und schüttelte diese. „Ah, ja, natürlich. Wie kann ich dir helfen?“, nachdem ich wusste das es einer dieser Idioten sein muss, fühlte ich mich um einiges sicherer. „Ich habe meinen Schlüssel in der Wohnung liegen lassen und mein Bruder kommt erst heute Abend, ich kann ihn auch nicht erreichen. Also, eh.. Ich wollte fragen, ob ich mich vielleicht bei dir trocken machen könnte, ich bin ziemlich nass und mir ist ziemlich kalt und...“ - „Ja, schon in Ordnung. Komm rein. Das Badezimmer ist gleich dort hinten auf der rechten Seite.“ Mit einem schnellen „Danke“ huschte er an mir vorbei und verschwand im Bad. Wieso ich ihn reingelassen habe, liegt wahrscheinlich an meiner Hilfsbereitschaft, die auf dem Dorf ziemlich groß geschrieben wurde. Er sagte, er habe beim Umzug geholfen, aber anscheinend gehörte er nicht zu denen, die hier täglich aufgelaufen sind. Die kenne ich nämlich alle, und könnte sie wahrscheinlich sogar mit verbundenen Augen, anhand ihres aufdringlichen After Shaves identifizieren. Aus dem Bad ertönte das Rauschen des Föhns. Weil ich jetzt doch ein bisschen Mitleid bekam, entschloss ich mich dazu, auch ihm einen warmen Tee zu machen. Er hat wirklich von oben bis unten getropft. Nach einer halben Ewigkeit öffnete sich die Badezimmertür. Einigermaßen trocken aber dennoch durchfroren blieb er unsicher vor der Tür stehen. Ich zeigte auf den kleinen Abstelltisch neben ihm, wo ich seinen Tee abgestellt hatte. „Der ist sicherlich schon fast kalt.“ Er schaute leicht verwirrt, trank einen großen Schluck und schüttelte dann den Kopf: „Ne, lauwarm.“Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus und er zeigte Richtung Fenster. „Richtiges Sauwetter, oder?“ Small-Talk also. „Ja, da hast du Recht. Ich sah vor eine Weile nicht anders aus als du. Hatte ziemlich Glück das ich in der Nähe war, als es anfing.“ Wir nippten beide an unseren Tassen und verfielen in Schweigen. Nicht, das es unangenehm war, es war nur irgendwie komisch. Hier, mit einem Kerl in meiner Wohnung, den ich so gut wie nicht kannte, während wir beide Tee tranken und uns anschwiegen. Er räusperte sich und ich sah zu ihm auf. „Danke für den Tee. Ich wollte keine Unannehmlichkeiten bereiten. Hättest dir die Mühe nicht zu machen brauchen. Aber dennoch, Danke. Jetzt ist mir etwas wärmer.“ Wieder schenkte er mir ein Lächeln, was seinen Dank bestärkte. Ich rang mir ebenfalls ein Lächeln ab und antworte lediglich mit einem Kopfnicken. Mein Blick blieb auf ihm, als er sich am Kopf kratze und sich abermals räusperte. Er sah zu Boden und machte den Eindruck als wollte er etwas sagen. Ich wartete. Im selben Moment sah er auf, war sich meiner Blicke bewusst und schluckte hörbar. „Ehm.. wie wäre es, wenn ich dich.. also ich meine nur wenn du möchtest, als.. nun ja, kleines Dankeschön auf einen Kaffee einlade?“ Zuerst war ich wie vor den Kopf gestoßen, dann musste ich doch lachen. „Nett.“ sagte ich. Ich dachte daran, wie gut diese Masche bei den Damen funktionieren musste. Zuerst einen auf Mitleid machen und dann als 'Dankeschön' die Nummer mit dem Kaffee trinken. So nannte man das also hier in der Stadt – einen Kaffee trinken gehen. Er schaute mich mit einem Blick an, den ich nicht genau zuordnen konnte und leerte seine Tasse. „Ich denke, dein gesprochenes Dankeschön reicht mir.“ Diesmal war es an ihm zu nicken. Er lief an mir vorbei, sagte noch einmal ein leises Danke und verließ meine Wohnung.Beinahe kam es mir vor, als wäre ich zu hart gewesen, doch dann dachte ich wieder an diese Stadt, an diese Männer mit diesen Taktiken. Alles Idioten, vergess' das nicht.

Finger weg, von den Städtern!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt