Wenigstens konnte der Tag nicht mehr viel schlimmer werden, dachte Eden. Ein besonders aufmunternder Gedanke jedoch, war das nicht. Die Kälte, die durch die Ritzen im Holz drang lies ihre Hände und Füße bereits taub werden und in der Dunkelheit aufzustehen und umher zu laufen, war keine gute Idee. Sie wusste nicht, wie viele andere hier waren, aber bei ihrem ersten Versuch, aufzustehen, war sie über mehrere Gestalten gestolpert. Eden konnte nur raten, aber sie musste sich wohl in einem Wagen befinden. Das poltern der Pflastersteine war das einzige Geräusch, das neben gedämpften Gesprächsfetzen bis zu ihr drang. Dünne Lichtbahnen fielen durch die Lücken im Holz des Verschlags und erlaubten ihr, zumindest einen kleinen Blick nach draußen. Sie fuhren durch eine Straße, an deren Rand sich Blockhütten vor dem grauen Himmel abzeichneten. Die schweren Holzbalken waren mit Schnitzereien verziert und trugen hier und dort auch Schriftzeichen, die ihr jedoch wenig sagten.
Schnee lag als feine Schicht auf Dächern und Gehwegen und in der Ferne konnte die Gejarn Berge erkennen. Zum Himmel hoch aufragende Granitgipfel, deren Spitzen mit Eis bedeckt waren.
Geister, wo war sie bloß? Ihr Verstand war wie leergefegt. Aber eigentlich war die Antwort auf diese Frage ganz simpel... es hatte sie nicht zu interessieren, wo sie war. Sie waren alle verkauft worden, so einfach war das....
Als der Wagen langsamer wurde, konnte sie Mauern erkennen. Eine Stadt und offenbar durchfuhren sie im Augenblick grade einmal die Außenbezirke. Sie hielten an. Eden konnte einen Blick auf eine Reihe Wächter erhaschen. Männer in, mit Pelzen besetzten Uniformen, die vor den Stadttoren auf und ab liefen, um sich warm zu halten. Ein paar hatten ein Feuer in einem Kohlebecken entzündet und wärmten sich daran. Einer jedoch musste sich mindestens mit dem Fahrer des Wagens unterhalten. Eden versuchte, zumindest einen Teil des Gesprächs, aufzuschnappen.
„..schon wieder?" , wollte grade eine der Stadtwachen wissen.
„Ihr wisst, wie Lord Andre ist. Dem sterben die Leute weg wie nichts, wenn es ihm passt."
„Das ist schon fast gesetzwidrig und Ihr wisst das genau so gut wie ich. Ich kann für de Immerson nur hoffen, das in Silberstedt nie ein kaiserlicher Agent rein schneit."
Silberstedt... Das musste wohl der Name der Stadt sein. Sie wusste wo sie sich befand. Das war immerhin schon mal etwas.
„Keine Sorge, der Kaiser hat momentan andere Probleme, als die Rechte von Sklaven. Und selbst wenn... in dem Moment wo Konstantin Belfare hier einen Beobachter hinschickt, verfüttert der alte Herr seinen gesamten Hausstand, vermutlich an sein Schoßtierchen. Apropos Schnee, sieht aus, als bekommen wir heute Nacht einen Sturm."
„Und ich muss oben an den Minen Dienst schieben. Ich verlier noch meine Füße bei der verdammten Kälte."
Eden schlich vorsichtig durch das Halbdunkel, um über niemanden zu stolpern. Jetzt konnte sie zumindest die Wache sehen, mit der sich der Kutscher unterhielt. Er trug eine hellblaue Uniform, die am Hals und an den Ärmeln mit Pelz verbrämt war. Der Kutscher warf ihm irgendetwas zu und der Mann fing es mit einer behandschuhten Hand auf. Eine kleine, silberne Flasche.
„Sollte Euch warmhalten. So was jetzt? Lasst Ihr uns jetzt durch, ich hab's eilig."
„Ja, klar, seht schon zu, dass Ihr verschwindet." Der Wachmann hatte die Flasche bereits geöffnet und nahm einen tiefen Schluck.
„Alter Bandit...", konnte Eden den Kutscher murmeln hören, bevor der Wagen sich mit einem Ruck wieder in Bewegung setzte. Violette Banner fielen vom Torhaus herab, darauf zu sehen, das Abbild einer silbernen Spinne. Sie konnte sich definitiv schönere Wappentiere vorstellen.
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Eden
FantasyNachdem sie grade der Sklaverei entkommen ist und dabei unfreiwillig den jüngsten Spross einer mächtigen Adelsfamilie entführt hat, findet sich Eden nach einigen Wirren in der Crew des grausamen und berüchtigten Piratenkapitäns Vance Livsey wieder...