Sterben

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Flashback

Ich stand in meiner alten Küche, in meinem alten Haus, meinen alten Zuhause. Jedoch war es für mich nie ein richtiges Heim gewesen. Ich fühlte mich immer fehl am Platz. Es lag nicht minder daran, das meine Mutter so gut wie nie da war, und mein Vater andere Vorlieben hatte. Genauso viel trug dazu bei, das ich keinerlei Freunde hatte, meine Eltern nicht als Parade Beispiel einer perfekten Ehe galten, und ich somit für adoptiert gehalten wurde. Ich verstand es damals. Meine Mutter war eine Schönheit gewesen:
Schwarze, lange, gewellte Haare, Haselnussbraune Augen, hohe Wangenknochen, und eine zarte Gestalt.
Mein Vater war nicht minder hübsch:
Blonde, kurze Haare, blaue Augen und von guter Statur.
Es grenzte an ein Wunder das ich so hässlich war!
Ich verstand auch, das viele mich damit hänselten, meine Eltern würden sich gegenseitig betrügen.
Anfangs ging mir das alles sehr nah. Doch nach und nach, begann ich mich zurückzuziehen. Den Leuten wurde es langweilig, ein Mädchen zu hänseln, welches auf nichts reagierte.

Die Worte prallten an mir ab. Ich wurde stumpf.
Als sich meine Eltern dann scheiden ließen, war ich 14. Wir wohnten noch alle im selben Haus. Es war eher eine Villa als ein Haus. Meine Mutter verdiente viel.
Das schlimmste an der Sache war allerdings, das beide direkt nach der Scheidung, mit ihrem neuen Partner ins Haus zogen.
Las Vegas war eine teure Gegend, mit viel Klatsch und Tratsch. Mit vielen geschiedenen Paaren, und vielen Problemkindern, doch meine Situation fiel selbst dort auf.
Meine Mutter hatte schon seit Jahren neben meinem Vater einen anderen Mann. Er war Banker und gutaussehend. Mein Vater hingegen hatte immer eine andere. Alle nicht besonders schlau, doch es reicht zum ficken. Viele von ihnen waren aber doch so schlau, das sie erkannten, das mein Vater nicht mehr wollte, und verließen ihn meistens nach einer Woche. Er war danach immer total fertig, sauer und deprimiert. Doch ich wusste nicht, auf was er hoffte! Es machte mich fertig, das das mit den Partnern schon genauso lief als sie noch verheiratet waren.

Ich stand also in der Küche, und hörte wie meine Mutter und mein Vater sich wieder einmal stritten.

Auch dies ging mir Anfangs sehr nah. Welches Kind belastete es nicht, wenn die Eltern sich stritten? Die Worte stachen in meine Ohren, bis sie irgendwann zu einem unangenehmen zischen wurden. Doch das war erträglich.

„Das kannst du nicht machen, Amanda!", schrie er meine Mutter an.
„Doch! Ich werde es tun! Du kannst mich nicht zwingen hier zu bleiben!", schrie sie ebenfalls.
„Ich kann ohne dich nicht", sagte mein Vater verzweifelt. Ich wusste nicht um was es ging. Es interessierte mich auch nicht. Nicht mehr.
„Ach wirklich, Joshua? Du brauchst doch nur jemanden, der es dir mal richtig besorgt!"
„Halt dein Maul!"
„Warum? Denkst du wirklich ich krieg nicht mit was du mit den ganzen Frauen abziehst?"
„Ich will dich!"
„Du brauchst mich! Aber du kriegst mich nicht! Ich will weg von hier! Verstehst du das nicht?! Seit Kim auf der Welt ist, will ich einfach nur weg von hier! Ich hab sie nie gewollt!"
Das Treppengeländer an dem ich mich festhielt, knarzte leise, als ich aus Schmerz meine Nägel in das Holz krallte. Ich war ungewollt auf der Welt. Und das wusste ich schon mit 14. Selbst durch meine Schutzhülle die ich mir aufgebaut hatte, kam das hindurch, und verletzte mich nachhaltig.
„Denkst du ich wollte sie? Sie ist wie ein Unfall! Und jetzt willst du das ich die ganze Verantwortung übernehme?", fragte mein Vater sie ungläubig. Beide wollten mich nie!
„Ich gehe jetzt. Mach mit ihr was du willst."
„Nein! Bleib hier! Bitte!", flehte er sie an.
Ich hörte die Tür zu krachen.
Mein Vater schrie, so laut das es mir in den Ohren weh tat. Jetzt war es wieder das stechen, nicht das zischen. Scheiße!!!
„Kiiiiiiiim!"
Das kam von dort an öfter vor. Ich war ungewollt und ungeliebt. Ein niemand in dieser Welt, der es noch nicht mal Wert war, bemitleidet zu werden.
Von diesem Tag an, war ich kaputt.

Vollends kaputt.

Flashback Ende


Es ist dunkel.
Und die erneute Stille unerträglich.
Ich glaub ich sterbe.
Doch ich weiß nicht wie es sich anfühlt, da ich nichts empfinde und wahrnehme, außer die Dunkelheit.
Ich versuche noch nicht einmal, gegen die Strömung oder die Tiefe anzukommen. Ich schaffe es einfach nicht. Ich bin schon immer schwach und erbärmlich gewesen.
Gilt das als Selbstmord? Ich wollte mich nie wirklich selbst umbringen. Nicht wirklich.
Ich kann mich einfach nicht bewegen. Ich weiß das es gleich für immer vorbei sein wird. Doch ich vermisse nichts, und niemand wird mich vermissen.
Leben ist schwer, anstrengend, gefolgt von lauter Enttäuschungen, Misserfolgen, Hass und nutzloser Hoffnung. Früher hab ich auch immer die Hoffnung gehabt, das ich doch noch ein normales Leben führen kann, doch Heute weiß ich es besser.
Sterben ist einfach, friedlich, wenn du niemanden hast, der dich vermissen wird oder je zu schätzen wusste.
Das ist mein Fall. Niemand wird mich vermissen, und niemand weiß mein Leben als solches zu schätzen. Nicht mal ich.

Die Wellen sehe ich nicht mehr. Nur die Dunkelheit die mich umgibt. Dunkelheit. Doch ich fürchte mich nicht. Ich sehe wie ein winziger Lichtpunkt der von einer Laterne scheint, immer kleiner wird. Er wird von der Dunkelheit aufgesogen, und am Ende bleibt nichts mehr vom Licht übrig.
Ich schließe die Augen, da das Licht eh verschwunden ist. So wie all das andere Licht Stück für Stück aus meinem Leben gewichen ist.
Grade als der Tod an meine Augenlider zu klopfen scheint, merke ich, wie ich von einem warmen Körper umfasst werde. Ich fühle die Hitze die er ausstrahlt, und wie die Wellen mich von der Person reißen wollen. Ich spüre den Kampf! Sie möchten mich in der Schwärze behalten. Aber ich werde ans Licht gezogen. Mit aller Kraft reißen Licht und Schatten nach mir!
Plötzlich habe ich Angst zu sterben, doch bevor ich das Licht ein letztes mal erblicken darf, weicht es von mir.


Leere blickt mir entgegen.
Ich merke wie kräftig auf meinen Brustkorb gedrückt wird. Der Schmerz ist furchtbar! Meine Kehle brennt, und mein Kopf pocht. Und dieses hämmern auf meiner Brust will nicht aufhören.
Hat die Dunkelheit mich behalten? Fühlt sie sich so an? Womit habe ich das verdient?! Es tut so weh!
Kälte durchströmt meinen Körper, und ich muss würgen. Ich setzte mich mit einem Ruck auf, und spucke das kalte, dunkle Meerwasser aus.
„Wie geht's dir?", fragt mich eine panische männliche Stimme. Mich hat noch nie jemand gefragt wie es mir geht! Es interessiert jemanden wie mein Befinden ist.
Allein der Klang dieser Stimme, ohne die Worte, bringt mich zum Luft holen. Sie klingt so wunderschön. Tief und leicht rau. Fürsorglich und besorgt.
Ich bin unfähig zu sprechen weshalb die Person noch mal fragt:
„Geht es dir gut?"
Gefühle!
Gefühle!
Ich fühle! Und es überfordert mich! So lange nichts gefühlt, und jetzt kommt es mir wie ein unerträglich großer Schwall vor, darunter welche die ich nicht definieren kann.
Der Junge dreht mich mit einer langsamen und vorsichtigen Bewegung zu sich um. Ich halte den Kopf gesenkt und verkrampfe mich bei der Berührung. Ich spüre seine warmen Hände, auf meiner nackten Haut.
Ich sehe die Hand des Jungen in mein Blickfeld gleiten, zu meinem Kinn. Automatisch hebe ich meinen Kopf, um der Berührung aus dem Weg zu gehen.

Ich sehe dem Jungem der mich gerettet hat in die Augen, und es scheint, als sei es richtig gewesen, mich aus der Dunkelheit zu befreien. Seine Augen sind von so einem warmen braun, das ich nicht wegsehen kann. Ich sehe wie der Mund des Indianerjungen aufklappt, und senke sofort meine Blick. Ich spüre ein leichtes stechen im Herz, als ich den Blickkontakt abbreche, aber es ist mir unangenehm. Ich möchte nicht das er mich ansieht.

Sein Blick liegt so intensiv auf mir, das ich es merke ohne zu ihm zu sehen.
„Hey!", ertönt seine Stimme schüchtern, und leicht verwirrt.
Doch ich will nicht reagieren.
„Darf ich fragen wie du heißt?" Ich kann seiner Frage aus irgendeinem Grund nicht ausweichen, und habe plötzlich keine Bedenken es ihm mitzuteilen. Ist das merkwürdig. Sie klingt so vertraut!
„Kim,", krächze ich ich und höre wie kratzig und zitternd meine Stimme ist. Es klingt furchtbar.
„Ich bin Jared," sagt er weiterhin leicht verwirrt, mit seiner beruhigenden, tiefen Stimme.
Jared.



Du kannst dir nicht aussuchen wie du stirbst. Oder wann. Du kannst nur entscheiden wie du lebst. Und mit wem. Jetzt.

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