Jolly wachte auf weil ihr kalt war. Als sie sich aufsetzte und die Augen öffnete, stellte sie verwundert fest, dass sie im blauen Meerwasser saß. Erschrocken sprang sie auf. Die sanften Wellen waren nicht besonders hoch und das Wasser nicht tief aber trotzdem fand sie sich ein ganz schönes Stück von der Stelle entfernt an der sie eingeschlafen war. Sie überlegte, was wohl passiert wäre, wenn sie aufs offene Meer geschwemmt worden wäre und schauderte. Seit Jolly klein war, hatte sie panische Angst, wenn sie im Wasser weder stehen, noch den Grund sehen konnte, da sie im Urlaub einmal fast ertrunken wäre, als sie sich zu weit in das Seewasser gewagt hatte. Ihr Vater hatte sie grade noch retten können. Langsam watete sie aus der Brandung und erst jetzt bemerkte sie, dass die Nixe verschwunden war. Sie blickte sich um und entdeckte Allan einige hundert Meter von ihr entfernt im Sand liegend. Er schien noch zu schlafen. Schnell rannte sie auf ihn zu. Als sie ihn erreichte weckte sie ihn unsanft und rief: „Al! Sie ist weg!" „Wer is weg?", nuschelte Al verschlafen in den Sand. Das hatte allerdings die Nebenwirkung, dass er sich sofort hellwach und prustend aufsetzte, da er eine ganze Portion Sand in den Mund bekommen hatte und nun hustend und würgend versuchte, ihn wieder los zu werden. Als er das endlich geschafft hatte, wiederholte er seine Frage. Im selben Moment schien ihm wieder einzufallen, warum er hier im Sand in der Sonne und nicht auf seinem Lager aus Blättern lag und dass er ja eigentlich sauer auf Jolly war und antwortete sich selber mit hochmütigem Unterton: „Deine liebe Nixe natürlich, wer denn sonst. Meiner Meinung nach ist das nur besser für uns und du brauchst gar nicht so zu schauen!" Jolly hatte ihn fassungslos angeblickt und tat es auch immer noch. Wie konnte er nur so unberührt über das Verschwinden des Wesens reden? Wenn Jolly sich nicht irrte war sogar ein bisschen Freude in seiner Stimme zu hören, die ganz bestimmt nicht davon herrührte, dass die Meerjungfrau glücklich in die Freiheit zurückgekehrt war um nun ein schönes Leben bis ans Ende ihrer Tage führen konnte. Er war einfach froh, dass sie weg war, da war Jolly sich sicher. „Also ich gehe jetzt zum Lager, da gab es bis jetzt wenigstens keine Verstand fressenden Monster!", spukte er ihr entgegen. Jolly brodelte. Für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, Al würde sie verstehen. Zumindest hätte er ja so tun können als ob. Aber seit sie dieses Wesen entdeckt hatten, war er so abweisend ihr gegenüber und er schien sich in den Kopf gesetzt zu haben, seine Meinung zu dem Meereswesen nicht zu ändern oder etwas optimistischer zu werden. Früher hatten sie sich öfters gestritten und es hatte Jolly nie groß etwas ausgemacht, da sie immer gewusst hatte, dass sie sich spätestens nach ein paar Tagen wieder gut verstanden. Aber jetzt war das etwas ganz anderes. Auf dieser Insel war Al der einzige Mensch, mit dem sie reden konnte. Damals waren die Eltern und Freunde da gewesen und sie war nicht ständig auf ihren Bruder angewiesen. Erst in diesem Moment viel ihr auf, wie viel Al hier für sie getan hatte und wie wenig sie ohne ihn geschafft hätte. Sie wäre gleich am ersten Tag vermutlich völlig orientierungslos gewesen und wäre in ihrer Verzweiflung nie auf den Gedanken gekommen, sich ein Lager zu bauen, geschweige denn einen Sonnenschutz. Sie hätte niemals alleine ein Feuer entzünden, oder eine Kokosnuss öffnen können. Bei all dem hatte Allan ihr geholfen. Nun merkte sie, dass Al schon ein gutes Stück gegangen war und nach kurzem Zögern lief sie ihm nach. Auch als sie im Lager angekommen waren, schenkte er ihr keinerlei Beachtung. Jolly war verzweifelt und so erzählte sie all ihre Sorgen ihrer Puppe Emma, wie sie es schon immer getan hatte wenn sie das Gefühl verspürte, dass niemand in der Welt sie verstehen könnte.
„Waschtag!", rief Jolly einige Tage später. Die Geschwister hatten ausgemacht, dass sie sich alle paar Tage im blauen Meer wuschen. Heute war es wieder soweit und Jolly ließ ihr mittlerweile arg zerschlissenes Kleid am Körper um es etwas zu reinigen. Immer wenn sie im Waser war fühlte sie sich trotz ihrer Angst frei und sie liebte es sich einfach treiben zu lassen und in den immer blauen Himmel zu blicken. So machte sie es auch heute und ohne es zu merken trieb sie ab und auf einmal packte eine Hand ihren Arm. Jolly schrie auf. Der Schreck saß ihr tief in den Knochen. Dann ahnte sie, wer sie festhielt. Einen Augenblick später rief sie laut: „Al lass das! Das ist nicht witzig!" Aber Al tauchte nicht auf, sondern seine Stimme klang vom Strand herüber: „Was gibt's denn jetzt schon wieder, was ich falsch mache?" In diesem Moment packte Jolly rasende Angst, aber sie hatte keine Zeit mehr darüber nachzudenken, was da ihren Arm umklammerte oder um Hilfe zu schreien den diese Hand zog sie nun unter Wasser. Unter der Oberfläche wurde Jollys Angst nur noch größer, denn schon nach kurzer Zeit spürte sie, wie ihr die Luft ausging. Sie versuchte etwas zu erkennen aber sie konnte nichts wahrnehmen, was sie hätte zuordnen können. Auf einmal, als sie kaum noch die letzte Luft anhalten konnte die ihr blieb, öffnete jemand oder etwas gewaltsam ihren Mund. Jolly wand und wehrte sich so gut sie konnte, aber das Wesen war stärker als das geschwächte Mädchen und sie spürte, wie ihr etwas in den Mund und immer weiter in den Hals geschoben wurde. Das war so unangenehm, das Jolly das Zeug schließlich wiederwillig schluckte. Nun hielt sie es nicht mehr aus. Sie holte tief Luft, sie spürte wie Wasser in ihre Lungen strömte. Jetzt ist es vorbei, dachte Jolly, aber zu ihrer Verblüffung spürte sie kein Schwindelgefühl, sondern es fühlte sich an, als nähme sie einen tiefen und befreienden Luftzug. Jetzt war Jolly komplett verwirrt, aber für längeres Nachdenken blieb wieder keine Zeit, da die Hand sie weiter zog. Sofort wurde das Glücksgefühl, das sie für einen Moment erfüllt hatte, wieder von der Panik abgelöst, die sie schon einmal verspürt hatte, seit sie untergetaucht wurde. Dieses Gefühl ließ sie nicht wieder los. Sie wurde immer weiter gezogen und sie merkte wie es langsam immer dunkler wurde und sie überlegte wie weit es noch runter gehen würde. Nach einer Weile stellte sie aber fest, wie es langsam heller wurde und sie dachte, gleich würde ihr Kopf wieder durch die Wasseroberfläche stoßen und sie würde wieder zu Al gelangen. Im selben Moment kam ihr aber in den Sinn, dass dieses Wesen oder was auch immer sie zog, sich wohl nicht die Mühe gemacht hätte ihr etwas zu geben, was sie unter Wasser atmen ließ, nur um mit ihr eine Runde zu drehen und sie anschließend wieder dort abzusetzten, wo sie untergetaucht waren. Nach einigen weiteren Minuten, die Jolly wie Stunden vorkamen, wurde das, was sie zog immer langsamer, bis es endlich zum Stillstand kam. Noch einmal wuchs Jollys Angst so, dass sie das Gefühl hatte, sie würde zerspringen. Was würde nun geschehen? Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was auf sie zukam, aber sie konnte vor lauter Furcht ohnehin kaum denken. Dann legte sich etwas über ihre Augen.
Dafür, dass sie sich unter Wasser befand, fühlte es sich seltsam trocken und warm an. Sie wurde von einem wohligen Gefühl durchströmt und all ihre Ängste schienen verschwunden. Nach einer Weile wurde dieser Gegenstand wieder von Jollys Augen genommen, die angenehme Empfindung hielt allerdings an. Langsam öffnete sie ihre Augen. Doch das, was sie sah, ließ sie aufschreien. Vor ihren Augen stand, nein, schwamm ein halbes Dutzend grünhäutiger Nixen. Die kleinste Meerjungfrau fing ebenfalls an zu kreischen, die anderen stimmten ebenso in ihre Schreie ein, bis schließlich allen sämtliches Wasser aus de Lungen gewichen war. Jolly sah sich in panischer Angst um. Fünf dieser Meereswesen starrten sie neugierig an, während eine sechste langsam auf sie zukam. Sie werden mich fressen!, dachte Jolly. Mehr als diesen Gedanken brachte sie im Moment nicht zustande. Nun sprach zur Verwunderung Jollys eins dieser Ungeheuer zu ihr: „Vielen Dank für die überaus herzliche Begrüßung." Ein Scherz. Anders konnte Jolly sich diesen Satz einfach nicht erklären. Einen kräftigen Lacher vor dem Mahl. Doch niemand feixte. Nur die kleinste der Nixen gluckste. „Lach nicht Wani! Was soll unser Gast denn von uns denken?" Sprach die Nixe neben der Kleinen zu ihr. „Aber das Terrea Mädchen guckt uns so verwirrt an!" kicherte Wani. Endlich hatte Jolly sich wieder ein wenig gefasst. So wie es gegenwärtig aussah, stand ihr nicht ein Ende als Fischfutter bevor. Sie besah sich die Wesen genauer: Sie sahen alle in etwa so aus, wie die Nixe, die sie am Strand gefunden hatte, mit ihren langen grünen Haaren, den kräftigen Fischschwänzen und ihren spitzen Zähnen. Alles in allem sehr anmutig. Nun redete wieder die Nixe die schon zu ihr gesprochen hatte mit Jolly. Sie war die hübscheste von allen und kam ihr irgendwie bekannt vor, aber sie konnte sie ja unmöglich kennen: „Kannst du mich verstehen?", fragte sie. „Ach nein, was für eine dumme Frage, natürlich kannst du es nicht. Wie unüberlegt von mir." Nun kicherten die Wesen im Hintergrund.
„Doch" hauchte Jolly. Die Züge der Nixe versteinerten. „Wie bitte?", flüsterte sie entgeistert. „Doch, ich verstehe jedes Wort.", murmelte Jolly etwas lauter. Alle starrten sie an. Jolanda erkannte nicht genau, was sich in den großen Augen der erstarrten Nixen wiederspiegelte. Sie meinte Furcht, Glück und Überraschung gleichzeitig zu sehen. „Du verstehst tatsächlich was wir sagen?", wisperte Wani. „Ja, wie ich schon sagte.", betonte Jolly nun etwas mutiger. „Ich hab euch ja gesagt, dass sie besonders ist, ich hab's euch ja gesagt!", kreischte die Nixe die Jolly am nächsten war in freudiger Erregung in Richtung der anderen Wesen. „Ich hab's schon in dem Moment gewusst, als ich vom Strand weggeschwommen bin. Ich wusste es, ich wusste es, ich wusste es! Schaut euch doch nur ihre Augen an!", jubelte sie und deutete auf Jollys Gesicht. „Meine Augen? Was ist mit meinen Augen?" fragte Jolly verständnislos. Dann viel ihr etwas auf: Vom Strand weggeschwommen. Jetzt wusste sie, warum ihr die eine Nixe so bekannt vorgekommen war! Sie selbst hatte sie eingehend betrachtet und den Drang verspürt, ihr zu helfen. Vor lauter Überraschung entfuhr ihr ein kleiner Schrei, doch niemand beachtete sie. Die Wesen tuschelten aufgeregt und nur ab und zu warfen sie einen Blick auf das verwirrte Mädchen. „Gimbrani" ergriff die hübsche Nixe wieder das Wort. „ Du bist am schnellsten. Schwimm nach Teyloa und sag Rarrosh, dass die Prophezeiung eintreffen wird und beeil dich. Wir kommen so schnell es geht nach!" Eine feingliedrige Nixe nickte und schwamm mit kräftigen Schlägen ihres Schwanzes los, in einem Tempo, welches Jolly ihr niemals zugetraut hätte. Eine der anderen Nixen, ein muskelbepackter Nix, packte Jolly an der Hand und begann zu schwimmen. Zuerst sträubte sie sich, doch nach einiger Zeit gab sie auf. Sie war unglaublich müde. Zudem schwirrten ihr tausende Fragen durch den schmerzenden Kopf: Was war Teyloa und wer war Areywa? Was meinte die Nixe mit einer Prophezeiung und was, zum Teufel, hatte das alles mit ihren Augen zu tun? Und das wichtigste: Was war mit Al?
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Bermuda *on hold*
Fantasy• Jolly trieb durch ein Meer. Sie spürte wie das angenehm warme Wasser ihren Körper umspülte. Sie schwamm unter der Oberfläche und doch konnte sie atmen. Sie war gänzlich entspannt und lauschte mit geschlossenen Augen den Fischen. • Jolly, das Mädch...