Kapitel 9

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„Faith? Aber wie? Dein Vater sagte, du wärst tot! Was?", stotterte der sonst so unerschütterliche König ungläubig.
Dann, als er realisierte, dass Faith wahrhaftig vor ihm stand, sprang er schlagartig auf und lief mit bösem Blick auf sie zu. Die junge Frau aber blieb unerschrocken auf der Stelle stehen und verzog nicht einmal ansatzweise das Gesicht. „Wie kannst du es wagen, mich über sechs Yael in dem Glauben zu lassen, du wärst tot? Deinen besten Freund?", hinterfragte Vincent beleidigt.
Auf die Gesichter der Beiden legte sich ein schiefes Grinsen. „Das sollten wir lieber unter vier Augen besprechen. Nicht jeder der hier Anwesenden sollte hören, was ich dir zu sagen habe. Aber bevor wir uns zurück ziehen, solltest du noch mit dem Kronprinzen reden. Anscheinend hat er ein wichtiges Anliegen. Des Weiteren möchte ich dir noch jemanden vorstellen. Die junge Dame, welche mich begleitet hat, ist Ylvi. Eine sehr gute Freundin von mir, fast schon eine Schwester", stellte Faith Ylvi vor.
Die Wölfin stand nur gänzlich fassungslos hinter Faith. Sie verstand nicht, was genau dort gerade vorging. So erging es aber den Meisten der Anwesenden, nur Wenige begriffen das Geschehen. Auch der Prinz gehörte leider nicht zu den Eingeweihten, so dass er nur zwischen der weißhaarigen Schönheit und dem braunhaarigen, hochgewachsenen König mit den Augen, deren Farbe dem kräftigen Grün der Laubblätter im Sommer glich, hin und her sah.

„Sehr erfreut, Ylvi. Freunde der Prinzessin sind auch meine Freunde." Nach diesem Satz trat er zu der Jugendlichen, nahm ihre Hand und hauchte ihr einen Kuss auf diese.
Nicht wissend was sie machen sollte, flehte sie Faith mit Blicken an, ihr zu helfen. Diese tat ihr diesen Gefallen gerne, so konnte sie auch Kilian unterbrechen, welcher die Aussage des Königs verstanden zu haben schien und gerade zum Sprechen ansetzen wollte. „Vincent, spiel dich nicht immer so auf. Ich weiß genau, was für ein Teufel du doch sein kannst, das zeigt allein schon deine Aussage eben."
Vincent wendete sich wieder Faith zu, ein unschuldiges Grinsen schmückte seinen Mund. Seine Augen funkelten spitzbübisch, als er sich dann Faith zuwendete und deren eindringlichen Ausdruck registrierte, machte sich ein schuldiger Zug in seinem Gesicht breit und obwohl Faith ihn eigentlich nicht sehen konnte, breitete sich ein warmes, an Vincent gerichtetes Lächeln auf ihrem Gesicht aus, denn die junge Frau wusste instinktiv, dass dieses Lächeln auf seinen Lippen lag.

„Könnten wir uns vielleicht in einem kleineren Kreis unterhalten? Wir haben einiges zu klären", meldete sich Kilian dann doch noch zu Wort, aus seiner Stimme konnte Faith seine Gedanken nicht erkennen, weshalb sie sich sofort achtsam anspannte.
Sobald Kilian genaueres über sie wusste, was nach diesem Gespräch eindeutig der Fall sein würde, könnte er ihr gefährlich werden. Denn auch, wenn die Wahrscheinlichkeit klein wäre, seitens ihres Vaters ein Mordkommando geschickt zu bekommen, hatte sie auch andere Feinde. Denen fehlte die nötige Vorsicht ihr gegenüber. Sollten diese erfahren, wo sie sich befand, könnte dies überaus gefährlich für sie werden. Denn nachts war auch die unerschrockene Faith nur eine wehrlose, junge Frau. „Natürlich", stimmte Vincent Kilian zu und richtete dann an einen seiner Berater, „Jackson, würdest du Prinz Kilian und Fräulein Ylvi bitte in den Wintergarten im gesperrten Teil des Palastes bringen? Ich werde bald mit Faith nachkommen."
Jackson reagierte auf die höfliche Aufforderung mit einem: „Wie Sie wünschen, Eure Hoheit!"
Danach verließ er gefolgt von der noch immer konfusen Ylvi und dem schwach protestierenden Kilian den riesigen Thronsaal.

„Ich möchte vorerst nicht gestört werden!", verkündete Vincent, ehe er Faith Hand nahm und sie mit sich zog.
Diese wollte sich zuerst dagegen stemmen, erinnerte sich aber daran, dass sie von Vincent nichts zu befürchten hatte. Als sie sich in einem ruhigen Flur befanden, erkundigte sich Faith: „Wo bringst du mich hin?"
„Lass dich überraschen!", forderte Vincent sie eine klare Antwort umgehend auf.
„Aber ich", setzte Faith zu einem Widerspruch an, wurde aber von ihrem besten Freund unterbrochen: „Warte einfach, es wird dir sicher gefallen."
So schnell gab sie sich jedoch nicht geschlagen, also war sie wieder gewillt zu widersprechen: „Ich hasse Übe..."
Jedoch wirbelte Vincent plötzlich zu ihr herum, dabei ließ er ihre Hand los. Mit einer Hand drückte er die Prinzessin an der Schulter leicht an die Wand. Die andere legte er über ihren Mund, wodurch sie gezwungen war, sich zu unterbrechen. Ein empörter Laut entkam ihr, wurde aber von Vincents weicher Hand gedämpft. Wie ein beleidigtes Kind stampfte die junge Frau mit ihrem Fuß auf. Vincent lehnte sich minimal nach vorne, sein Oberkörper streifte sachte den ihren, und flüsterte in ihr Ohr: „Bitte, Faith. Nur ein einziges Mal."
Sein warmer Atem schlug während des Sprechens gegen ihren Nacken und ließ sie wohlig erschauern. Allerdings war sie noch immer durch seine Hand eingeengt, bis ihr eine Idee kam.

Vincent sah, wie ihre eisblauen Augen schelmisch aufblitzten. Beunruhigt beäugte er Faith und in dem Moment, in dem der König ihre Absicht erkannte, leckte Faith mit einem breiten Lächeln seine Handinnenfläche ab. Rasch zog er seine Hand weg und trat, nachdem er sie einmal kritisch beschaut und schließlich aus Rache mit seiner Hand einmal quer über ihr Gesicht gestrichen hatte, lachend einen Schritt zurück. Nun war es Faith, welche angeekelt ihr Gesicht verzog. Mit ihrem schwarzen Umhang wischte sie sich über das Gesicht und blickte Vincent finster an. Nach ein paar Minuten bröckelte ihre Maske und sie fiel in Vincents Lachen mit ein.

Nachdem Beide sich beruhigt hatten, willigte Faith schließlich ein: „In Ordnung, überraschen Sie mich, oh mein edler König!"
Ihre sarkastische Betonung des Wortes König ließ Vincent schmunzeln. Faith war die einzige Person, die außerhalb der Nordlande lebte und wusste, dass in diesem Reich schon lange keine Monarchie mehr vorherrschte. „Dann folgt mir, meine Dame", ahmte Vincent ihre geschwollene Ausdrucksweise nach und betonte das Wort Dame spöttisch.
Denn sowohl Vincent als auch Faith war bewusst, dass der Ausdruck Dame wohl die unpassendste Bezeichnung für die kämpferische Frau war, welche sich immer für ihre eigenen Ansichten einsetzte. 

Blind - Decline of the ShadowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt