Kapitel 12

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Während alle Anwesenden Faith fordernd ansahen, erklärte sie mit belegter Stimme: „Alles begann eigentlich schon, als ich sechs Yael wurde, denn an diesem Tag zeigte sich das Ausmaß meiner magischen Fähigkeiten. Vorher dachte man, dass ich wie jedes Stammmitglied nur der Luftmagie fähig wäre. Doch an meinem Gedinocis wurde mir alles zu viel. Jeder wollte mir gratulieren, alle bedeutenden Hochblüter kamen und redeten auf mich ein. Aber ich war noch immer ein kleines Kind, das nur an seinem Vergnügen interessiert war."

Immer weiter riss der bedrohlich in ihr aufkommende Strudel der Erinnerungen an ihr. Halt suchend drückte sie sich stärker an Vincent, der als Einziger zumindest den Auftakt ihres Leidenswegs miterlebt hatte. Der König erkannte ohne Weiteres ihr stilles Flehen nach Halt, weshalb er beschützerisch seine Arme um seine beste Freundin, welche für ihn doch so viel mehr war, legte.

Obwohl die penetranten Blicke seitens Kilian und Ylvi, welche sie stur auf sich gerichtet spürte, ein Gefühl des Ausgeliefertseins in Faith aufkommen ließen, setzte sie ihren Monolog fort: „Nach einer Weile bin ich einfach von der Feier in das Schlosslabyrinth verschwunden, wodurch ich einen riesigen Aufruhr verursacht habe. Als man mich schließlich nach stundenlanger Suche gefunden und zu meinem Vater gebracht hatte, wies dieser mich aufgebracht zurecht. Ich war einfach überfordert.
Und dann überkam mich ohne eine Vorwarnung eine ungeheure Wut, weil sie mich so sehr einengten. Ich verlor die Kontrolle über meine Magie. Erst wurde es immer windiger im Thronsaal, dann platzten alle gefüllten Gläser und Karaffen, weil ich die Flüssigkeiten schlagartig gefrieren ließ. Danach setzte ein Beben ein, welches immer stärker wurde. Die Wände bröckelten leicht und nichts hatte mehr einen festen Stand. Als meine Eltern mir näher kommen wollten, um mich zu beruhigen, schoss auf einmal ein Flammenring um mich herum aus dem Boden.
Während mein Vater mich immer lauter und wütender anschrie, ich solle aufhören, zerrissen mich meine Gefühle innerlich. Die immense Wut kämpfte mit der Angst um das Wohlergehen der von mir geliebten Menschen und meiner Furcht vor dem, was ich da gerade tat. Egal wie sehr ich auch versuchte, das alles zu stoppen, nichts half. Es war, als würde mein Körper nicht mir gehören und ich wäre nur ein Zuschauer. Irgendwann blendete ich alles um mich herum aus, zu schwer war es, sich auf meinen inneren Kampf und die Personen gleichzeitig  zu konzentrieren.
Doch plötzlich merkte ich, wie sich jemand von hinten an mich heran schlich, so weit es die Flammen eben zuließen. Es war einer der obersten Offiziere der caelischen Wehrmacht. Einer der wenigen Wassermagier, die sich in Caeleo niedergelassen hatten. Er sollte das Feuer löschen. Das konnte ich unter keinen Umständen zulassen."
Mit jedem ihrer Worte wurde der Rückblick für Faith realer und sie drohte, darin zu versinken. Doch wie ein Rettungsanker hielt Vincent sie durch zarte Berührungen und unverständlich in ihr Ohr gemurmelte Worte in der Gegenwart.
Plötzlich redete Kilian verständnislos dazwischen: „Was wäre denn so schlimm daran gewesen? Es waren doch nur ein Paar Flammen."
Der höhnische Klang am Ende seiner Äußerung veranlasste Faith zu einem gereizten Schnauben. Bissig erwiderte sie: „Wäre es dir denn Recht, wenn man einen Teil deiner Seele einfach zerquetschen würde? Du solltest wissen, dass ich mit allen Elementen verbunden bin. Es ist wie ein unsichtbares Band, was mich alles genau spüren lässt. Meist ist es ein wundervolles Gefühl. Du spürst das Leben um dich herum, all die Freude und positive Energie.
Doch es ist auch sehr gefährlich für mich, denn sobald beispielsweise ein von mir ausgehendes Feuer gelöscht wird, empfinde ich einen unbeschreiblichen Schmerz. Es ist so, als würde man ertrinken und gleichzeitig auch verbrennen. Außerdem flehen mich die Elemente in solchen Situationen regelrecht um Hilfe an.
Damals wusste ich dies intuitiv, es war wie ein Schutzmechanismus, ich hob meine Hand und drehte meine Handinnenfläche nach oben. Eins der als Wanddekoration verwendeten Schwerter flog auf den potenziellen Angreifer zu und blieb abrupt mit der Spitze an seiner Kehle vor ihm in der Luft stehen. Scheppernd fiel es zu Boden und verursachte in der entstandenen Totenstille ein fast ohrenbetäubendes Echo. Ich hätte ihn fast getötet, doch in dem Moment erlangte ich die Kontrolle zurück. Sofort war jede noch so kleine Spur der Magie verschwunden, als wäre das alles niemals passiert. Nur das vorherrschende Chaos erzählte von dem zuvor Geschehenen. Nach diesem Abend schwieg jeder über dieses Thema."

Beklemmt schwieg die vierköpfige Gruppe. Faith brauchte etwas Zeit, bevor sie weiterreden könnte. Vincent war aufgewühlt durch die wieder hervorgeholten Gedanken an ihre Vergangenheit. Kilian konnte nicht fassen, was er da hörte. Mittlerweile hatte er eine dunkle Ahnung, wer genau hier vor ihm saß, doch glauben wollte er es nicht. Ylvi hingegen hatte noch nicht verstanden, wer genau die junge Frau, von welcher sie dachte, sogar die vertraulichsten Geheimnisse zu kennen, in Wirklichkeit war. Sie ging die neuen Informationen noch einmal Schritt für Schritt im Kopf durch. Angestrengt suchte sie nach einer Antwort auf die große Frage, mit wem sie schon seit knapp einem Yael unter einem Dach lebte. Ganz langsam fügte sie die Fakten zusammen und wollte nicht wahrhaben, auf welches Ergebnis sie letztendlich kam.
„Du bist auch ein Hochblut?", kam es ihr schließlich über die Lippen.

Zögerlich nickte Faith, unsicher, wie viel sie ihren Freunden verraten konnte. Denn auch wenn sie nicht annahm, dass einer der Teilnehmer dieser Geschichtsstunde ihr Vertrauen missbrauchen würde, könnte allein das Wissen über sie die Anderen in Gefahr bringen.
Doch was bedeutete dieses kleine Wort heute denn schon. Gefahr war relativ. Es war auch gefährlich, einfach nur für einen kleinen Augenblick dem Druck dieser Welt zu entfliehen und die sicheren Stadtmauern zu verlassen, wo doch jeden Moment der Schatten angreifen könnte. Eigentlich war man nirgendwo sicher, egal wie viele Sicherheitsmaßnahmen auch getroffen wurden. Was machte da schon etwas vergleichsweise so Unbedeutendes aus?
Gar nichts, es machte schlicht und ergreifend keinen Unterschied. Also konnte sie problemlos mit offenen Karten spielen.

„Ich bin Prinzessin Faith von Caeleo, Erstgeborene König Tians von Caeleo und somit die rechtmäßige Thronerbin", gab sie ihren Titel förmlich preis.

Blind - Decline of the ShadowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt