Kapitel 1

155 15 35
                                    

Es war mitten in der Nacht und der Halbmond hatte gerade seinen höchsten Stand erreicht, als Faith in den Baumkronen durch das Land der Finsternis eilte, welches die Grenze zwischen den Nordlanden und dem Wüstenreich Ignis bildete. Alles war beunruhigend still, denn auch, wenn in diesem Gebiet bis auf Umbras und Skuggas nichts mehr lebte, war normalerweise immer etwas zu hören. Doch in dieser Nacht hörte man nur das gespenstige Pfeifen des durch die kahlen Bäume fegenden Windes.
Faith hatte das Gefühl, dass in dieser Nacht noch etwas schreckliches passieren würde. Sie war an dem vorherigen Dinoci in den Nordlanden gewesen, um dort ein paar Lebensmittel für Ylvi und sich selbst zu besorgen, da man im Terra Tenebris, wie dieses Gebiet offiziell genannt wurde, keine Nahrung mehr finden konnte.
Alles Leben, das hier früher existiert hatte, gab es schon lange nicht mehr. Denn der Schatten hatte diesem Ort schon vor hunderten Yael alles Leben geraubt. Schon mehrere Dinocis hatte sie die kleine Ylvi alleine in der marode scheinenden Holzhütte gelassen, um Besorgungen in den Nordlanden und in Ignis machen zu können. Der Plan war gewesen, nur einen Dinoci zu brauchen, aber Faith wurde von mehreren Bestien und ein paar Grenzwachen aufgehalten. Dazu kam auch noch, dass auf dem kleinen Markt in Ignis nicht alles vorhanden gewesen war, was sie und Ylvi brauchten.

Ihr einziger Gedanke galt in diesem Moment Ylvi, denn Faith spürte Ylvis steigende Unruhe und Panik deutlich.

Sie beschleunigte ihr Tempo, um schneller zu ihrer Hütte zu kommen. Faith wurde nervös, als sie in der monotonen Stille plötzlich die Schritte mehrerer Männer vor ihr hörte. Ihre Hand wanderte automatisch zu ihrem Schwert, bereit, ihre geliebte Schwester zu beschützen. Sie war nur noch ein paar Demanicem von der Hütte entfernt. Noch 10 Demanicem, dachte sie sich und sprang auf den nächsten Baum. Der Wind peitschte ihr aufgrund ihres Tempos ins Gesicht, doch dies war Faith egal. Nur Ylvis Sicherheit zählte für sie. Genau in dem Moment, in dem Ylvis angsterfüllter Schrei ertönte, weil einer der breit gebauten Männer sie mit seinem Katana angreifen wollte, sprang Faith mit erhobenem Langschwert vor ihre Schwester und parierte den Schlag problemlos. Die Klinge ihres Katanas spiegelte das schwache Mondlicht. Für einen Moment hielt jeder inne. " Lauf, meine kleine Wölfin", flüsterte Faith leise.
Einzig Ylvi hörte ihre Worte. Daraufhin drehte diese sich um und wurde nach wenigen Schritten von der Finsternis des Walds verschluckt. Dann hörte Faith, wie einer der anderen Angreifer einen Schritt in die Richtung setzte, in die Ylvi vor wenigen Sekunden verschwunden war. Sie wirbelte blitzschnell herum, zog dem perplexen Mann, dessen Schwert sie bis vor wenigen Sekunden blockiert hatte, die Beine weg. Hart fiel er auf den staubigen Boden. Faith hielt dem Zweiten ihr Katana an die Kehle. Erschrocken wichen sie alle zurück, selbst der benommen am Boden liegende Pagriser kroch am Boden von ihr weg. " Ich würde nicht versuchen, ihr hinterher zu laufen", zischte Faith in die Stille.
Endlich erkannte sie, dass es sich nur um drei Männer handelte, was ihr einiges an Zeit sparte. Faith nahm aber erschrocken wahr, dass sich im Wald hinter ihr ein weiterer Mann versteckte. In dieser Umgebung hatte sie den Nachteil, dass sie sich nur auf ihr Gehör verlassen konnte. Faith konnte nicht ihre Umwelt nutzen, um sich ein verschwommenes Bild der Umgebung zu machen, da hier alles Leben verschwunden war. Und wo es kein Leben gab, konnte sie nicht die Natur nutzen, um ihre Umgebung besser wahrzunehmen. Deshalb atmete sie zur Beruhigung tief durch und konzentrierte sich ganz genau auf die Geräusche um sie herum. Ein Zischen ertönte rechts neben ihr. Faith beugte sich gespielt gelangweilt gähnend nach hinten. Sie wollte ihren Gegner provozieren.

Der Luftzug, der über ihren Kopf hinweg zischenden Klinge wehte ihre kurzen Haare, die im Mondlicht wie flüssiges Silber schienen, aus ihrem Gesicht. Sich wieder gerade hinstellend hob sie ihr Katana und setzte zum Angriff an.
Zuerst würde sie den am Boden liegenden Mann ausschalten, entschied Faith sich, woraufhin sie ohne Zögern zu ihm eilte, und mit einem einzigen Schlag schnitt sie ihm die Kehle auf. Der schwere Geruch von Blut verbreitete sich in der Luft, als die junge Frau sich den beiden Begleitern des Toten zuwendete. Keiner gab einen Laut von sich. Zu geschockt waren sie über den Verlauf dieses Aufeinandertreffens. Keiner der Anwesenden hatte gedacht, dass an diesem bis dahin so friedlichen Dinoci jemand von ihnen sein Leben verlieren würde. Doch nach einigen Sekunden, in denen die Männer das Mädchen nur ausdruckslos angestarrt haben, verzerrte der Zorn die Gesichter der Beiden zu einer scheußlichen Fratze und sie stürzten sich gemeinsam auf Faith.
Die meisten Menschen würden bei solch rachsüchtigen und mordlustigen Blicken ihrer Gegenüber wohl das Weite suchen. Doch zum Einen war Faith nicht in der Lage, diese zu erkennen, und zum Anderen war sie sich bewusst darüber, dass sie den Männern um Längen überlegen war. Also schloss Faith nur zufrieden lächelnd ihre Augen und wartete, bis die Pagriser sie erreichten. Denn wenn sie sich von ihrer Wut leiten ließen, erleichterten sie ihr ihre Aufgabe um einiges.

Als Faith bemerkte, dass die Gestalt, die im Glauben unbemerkt zu sein im Dickicht des Waldes hockte, aufspringen wollte, fesselte sie ihn mit einer fast nicht wahrnehmbaren drehenden Handbewegung mit Wurzeln an den Boden. Der dumpfe Laut und das geflüsterte Fluchen berichteten ihr über den Erfolg ihres Handelns.
Dann richtete Faith ihre Konzentration wieder auf die Pagriser. Diese hatten sie schon fast erreicht. Als sie nur noch zwei Demanicem entfernt waren, schnipste sie mit der rechten Hand. Verwundert hielten alle inne, auch der sich zu befreien versuchende Mann im Wald. Sie blickten in ihr voller Überlegenheit strahlendes Gesicht. Selbstsicher hob sie ihr Kinn ein wenig höher und bewegte ihre Lippen, ohne dass ein Ton diese verließ. Doch die Pagriser wussten genau, was sie ihnen sagte.

Ihr seid tot.

Plötzlich schossen Eisspitzen aus dem Boden und durchbohrten die Männer. Ihr Blut färbte die Eisspitzen rot. Die letzten den Tod verkündenden Schreie ihrer Opfer hallten laut in dem Wald wieder. Das alles passierte in weniger als fünf Sekunden, man könnte denken, dass das alles nur ein Albtraum gewesen wäre, aber dies alles war wirklich geschehen. Nach einigen Sekunden schnipste Faith ein weiteres Mal, daraufhin verschluckte der Boden die im Mondlicht rot glitzernden Zapfen und die Leichen der drei Pagriser und löschte somit jeden Beweis für das Geschehene aus. Einen Augenblick stand Faith regungslos inmitten der Lichtung, bevor sie sich kraftvoll umdrehte. Bestimmt schritt Faith auf einen Baum am Rand der Lichtung zu.

Blind - Decline of the ShadowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt