Kapitel 5

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Ylvi fing sich als erste wieder: „Ein echter Prinz? Wow! Können wir ihn gefangen halten und dann Lösegeld vom Königshaus fordern? Dann wären wir reich!"
Ihr amüsiertes Gelächter erfüllte die Hütte mit einer beschwingenden Leichtigkeit und ließ sie alle kurz die ernsthafte Situation ausblenden. „Was? Wer? Woher?", stammelte Kilian entsetzt und sprang sofort auf, bereit, sich im Notfall zu verteidigen. Dies erheiterte Ylvi und Faith noch weiter. Als Faith Kilians missliche Lage bemerkte, bemühte sie sich jedoch ihm zu antworten: „Ich habe erkannt, dass du ein Mitglied des Hochadels sein musst. Der Stoff deiner Kleidung und dein Geruch haben dich verraten. Als du mir dann deinen Namen nanntest, wusste ich, wen ich vor mir hatte. Mir stellt sich aber noch die Frage, was zum Teufel der Prinz von Ignis alleine im verdammten Terra Tenebris zu suchen hat! Wären Sie also so gnädig, eure Hoheit, mir eine Antwort darauf zu geben?"
Ihre Stimme klang wie der Gesang eines Vogels, so klar und glockenhell. Die unausgesprochene Drohung und den offenen Spott konnte man aber nicht ignorieren. „W..wer sind Sie?", brachte er stotternd hervor und seine Augen suchten verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit.
„Was wollt ihr von mir?", fragte Kilian, obgleich dies eigentlich schon deutlich gesagt wurde.
„Eine Antwort!", knurrte Faith ungeduldig, während sie langsam zur Tür ging, diese öffnete, um die abgestandene Luft aus der Hütte zu vertreiben, und sich provokant vor Kilians einzige Rettungsmöglichkeit stellte. Ihre weißen Haare flogen in der leichten Brise wie ein Schleier um ihr Gesicht. Das tiefe Einatmen Kilians verriet Faith, dass sie in wenigen Augenblicken ihren Wusch erfüllt bekommen würde. „Ich bin auf der Reise in die Nordlande. Dort werde ich von König Vincent von Pagris erwartet. Leider griffen uns unbekannte Wesen an und nur ich konnte entkommen, verirrte mich dann allerdings in diesem verfluchten Wald. Also werdet ihr mich in die Nordlande bringen", befahl der Prinz am Ende seiner Antwort übermütig.

Kilians Arroganz widerte Faith an, sie konnte nie verstehen, wie Leute nur aufgrund ihres Standes zu anderen herabblickten und der Meinung waren, sie müssten nur mit dem Finger schnippen und die Welt läge ihnen zu Füßen.

„Ein Dreck werden wir für Ihre königliche Hoheit tun! Faith, könnten wir nicht meine Idee in Betracht ziehen? Bitte?", bettelte Ylvi sie mit kindlicher Stimme.
„Nein, ich schließe die Erpressung des ignischen Königshauses lieber von Anfang an aus. Ich bin nicht sonderlich scharf darauf, wieder einen Palast südlich des Landes der Finsternis zu sehen, vor allem nicht mit dem Anlass meiner eigenen Hängung."
Der kleine Schlagabtausch brachte den Prinzen wiederholt aus der Fassung, konnte er doch nicht nachvollziehen, wie zwei so junge Frauen auf solche Gedanken kamen. Schmollend ließ sich Ylvi am Feuer nieder, währenddessen wandte Faith sich wieder Kilian zu: „Zuerst einmal, mein Name ist Faith, weitere Informationen zu meiner Person sind für dich irrelevant. Zum Zweiten, ich bin weder deine Dienerin noch eine Ignianerin, folglich werde ich keinem einzigen deiner Befehle gehorchen. Wenn du uns ganz lieb bitten würdest, könnten wir dich vielleicht sogar nach Marum begleiten, denn ich habe geplant weiter in den Norden zu ziehen. Darüber hätte ich dich auch noch informiert Wölfchen."
Am Ende ihres Monologs richtete sie sich warnend an Ylvi, die protestierend Luft geholt hatte, um Faith zu widersprechen. „Als würde ich von einer Einsiedlerin Befehle annehmen", hielt Kilian dagegen, was ihm nur einen scharfen Blick von Ylvi einbrachte.
„Wenn du nicht gleich deine Fresse hältst, werfe ich dich eigenhändig den 'Wesen', wie du sie nennst, zum Fraß vor", konterte die Wölfin trocken.

Angestrengt seufzte Faith auf. „Wie unwissend kann man bitte sein."
Die Verzweiflung in ihrer ungläubigen Stimme ließ die Streitenden aufhorchen. „Diese 'Wesen' waren wahrscheinlich Noctalupa, eine in dieser Region angesiedelte Unterart der Skugga, die vor der von dem Schatten herbeigeführten Mutation Wölfe waren. Eventuell könnten es aber auch Lumbridenta oder Silvecta gewesen sein. Warte, bitte sag mir, dass du weißt, was Skugga sind", flehte sie schon fast.
„Ehrlich gesagt habe ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung, was für eine Scheiße du mir da erzählst."

Sich selbst gut zuredend fing sie an, wie eine in einem Käfig gefangene Katze im Raum umher zu laufen. „Was denkt sich der König eigentlich dem Thronfolger vorzuenthalten, dass es in dieser Welt Bestien gibt, die immer mehr Land einnehmen. Sollte Ignis einmal vom Schatten angegriffen werden, wäre es vollkommen wehrlos! Wie unvorsichtig und rücksichtslos!" Mit jedem Wort steigerte sich Faith Wut auf die Königshäuser.
Das eine bestand nur noch als Schein, das zweite verstieß aus Angst vor der Macht sein eigenes Kind und das dritte war der Ansicht das Informieren des Thronfolgers über die größte Gefahrenquelle in dieser Welt sei keine Notwendigkeit.

„Okay, wir werden dich nach Marum bringen, im Gegenzug wirst du uns mit Vincent von Pagris bekannt machen. Solltest du dieses Angebot ablehnen, werde ich dich ohne zu zögern niederschlagen und dann irgendwo im Wald aussetzen, wo du als Futter der Skugga enden wirst. Also, wie entscheiden Sie sich, Eure Hochwohlgeborenheit?", stellte Faith Kilian vor eine Entscheidung, deren Ergebnis Faith bereits wusste.
„Da ich dir das vollkommen zutraue, nachdem ich dich gestern beim Kämpfen beobachtet habe, werde ich euch wohl mit dem König der Nordländer bekannt machen", stimmte er Faith Bedingung zu, „dann komme ich zumindest lebend in Marum an." 

Ein paar Diconis später liefen die Drei geführt von Faith durch den Wald. Sie hatten nur überlebensnotwendige Gegenstände und Unersetzbares, wie Faith' Katana, mitgenommen, den Rest ließen sie in der Hütte zurück. Unnötiger Ballast hätte sie nur behindert oder ihnen vielleicht sogar das Leben gekostet. Jeder Trug eine prall gefüllte Tasche. Auch Kilian hatte nach einer schier endlosen Diskussion eine der Taschen genommen, nachdem Ylvi ihm androhte, dass sie ihn immer noch problemlos den Skugga überlassen könnten.

Wieder waren ihre dumpfen Schritte das Einzige, was diese Stille mit etwas Leben füllte. Dazu kamen, zum Leidwesen von Faith, auch noch die ständigen Beschwerden Kilians, welcher, sich keine Mühe gebend ruhig zu sein, ein paar Meter hinter Ylvi und Faith stapfte. Dies beruhigte Faith nicht gerade, da die Gefahr eines Skuggaangriffs somit um das Zehnfache stieg und nur Faith im Ernstfall etwas gegen die Bestien anrichten könnte. Normalerweise würde das für sie kein Problem darstellen, aber in diesem Gebiet war sie klar im Nachteil.
Zusätzlich musste sie gleich zwei Personen schützen, was das ganze erschwerte, genau so wie die Tatsache, dass Kilian sich unbedacht in den Kampf stürzen würde, weil sein Stolz es nicht zuließ, sich von einer Frau beschützen zu lassen. Dabei würde er nicht nur sich, sondern auch sie und Ylvi gefährden.

„Wenn du nicht gleich deine Fresse hältst, werde ich dich knebeln und fesseln, um dich dann wie Jagdbeute an einem Strick hinter mir herzuschleifen", zischte Faith Kilian zu.
In den wenigen Diconis, die sie bereits gemeinsam verbracht hatten, hatte sie schon gelernt, dass man genau so unhöflich und beleidigend sein musste, um bei ihm etwas zu bewirken. Deshalb setzte sie bei Gesprächen mit ihm meist auf Bauernsprache, welche hauptsächlich aus Beleidigungen, Spott und Herablassungen bestand. „Dürfte ich dich dann wenigstens etwas über diese Skuggas ausfragen? Ich würde gerne etwas mehr darüber erfahren", lenkte Kilian ein.
Sein Blick brannte in ihrem Nacken, während sie geschickt zwischen den dicht aneinander stehenden Bäumen durch huschte und eine Weile schwieg, um ihn etwas auf die Folter zu spannen. Sie war der Meinung, er könnte sich ruhig auch etwas aufregen.

„Also gut. Frag mich, was du wissen möchtest."

„Am besten Alles, die ganze Geschichte von Anfang an. Ich möchte verstehen, was hier passiert ist und wieso diese Bestien so gefährlich sind", sprach Kilian seine Bitte aus, ohne sich über deren Umfang im klaren zu sein.
„Es ist eine sehr lange Geschichte und ich habe nicht das Gefühl, dass du ein guter Zuhörer wärst", versuchte Faith das ganze zu umgehen, denn sie wollte es Ylvi nicht zumuten, sich diese grausame Geschichte noch einmal anhören zu müssen.
„Bitte, du meintest selbst, dass ich dies wissen muss, falls es mal zu einem Angriff kommt. Auch wenn ich noch nicht verstehe, weshalb uns wilde Tiere gezielt angreifen sollten."

Faith wusste nicht, was sie machen sollte, weshalb sie Ylvi fragen wollte, was sie darüber dachte: „Wölfchen?"
Jedoch merkte sie schnell, dass die Angesprochene mit den Gedanken an einem weit entferntem Ort war, als sie keine Reaktion von ihr vernehmen konnte. Wenn Ylvi nicht einmal mitkriegte, worüber sie mit Kilian sprach, dann musste sie dem Prinzen sein Anliegen nicht ausschlagen. „Also gut, dann lass mich mal überlegen, wo ich am besten anfange", gab Faith schlussendlich nach.

Blind - Decline of the ShadowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt