Kapitel 13

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Die Reaktionen der beiden Unwissenden fielen von Grund auf unterschiedlich aus. Während Faith von Ylvi deutlich entrüstete Ausrufe vernehmen konnte, in welchen sie meistens umfassend beklagte, wie sie ihr nur so etwas verschweigen konnte, murmelte der Prinz fassungslos: „Das ist nicht möglich. Die Prinzessin ist gestorben. Ich war auf ihrer Beerdigung. Tot. Sie ist tot."
Stetig wiederholte er diese Worte, wie ein Mantra, um sich einzureden, dass es der Wahrheit entsprach.

Doch irgendwann hielt Faith es nicht mehr aus. „Sei ruhig! Ich lebe, kapiert? Der Schatten soll meinen Vater in die Finger kriegen! Er hat mich ausgestoßen. Hatte Angst, ich könnte seiner Familie etwas antun. Wie er das damals betont hat. Seine Familie. Ich hatte anfangs nicht einmal eine Ahnung, was er damit meinte.
Doch dann wirft er mir an den Kopf, dass ich doch nur die Missgeburt seiner ersten Frau sei. Dieses Monsters, welches sich durch eine Täuschung in sein Herz geschlichen hätte. Er hat mir voller Stolz in die Augen geblickt und erzählt, wie er meine Mutter, ein dreckiges Schwarzblut, so wie er sie nannte, umgebracht hat. Jedes noch so kleine Detail hat er mir in diesem fast schon wahnsinnigen Tonfall erklärt. Als er mir dann alles, was ihm auf der Seele lag, eröffnet hatte, verbannte er mich. Ich solle niemals wiederkommen, sonst töte er mich.
Damals verstand ich noch nicht einmal, weshalb er mich nicht einfach sofort ermordete, doch jetzt ist mir klar geworden, dass er selbst dafür noch zu viel Angst vor mir hatte. Er ist einfach erbärmlich. Nachdem ich verschwunden war, hat er dann auch noch meinen Tod inszeniert, um kein Ansehen bei den anderen Königshäusern zu verlieren", sagte Faith verachtend.

Tränen der Trauer, aber auch der Wut brannten in ihren Augen. Doch ihr Stolz verbot es ihr, wegen dieses Mannes auch nur eine einzige Träne zu vergießen. Er war es nicht wert. Diesen Sieg würde die Kämpferin ihm niemals lassen. Schon lange hegte Faith einen tiefen Groll gegen ihren Erzeuger. Und doch brachte sie es nicht übers Herz, ihn zu stürzen.

Ylvi, die in der Zwischenzeit ihre Fassung wiedererlangt hatte, fand in ihrem Ausbruch die perfekte Grundlage für einen gehässigen Kommentar: „Wow, da wünsche ich mir doch gleich, dass ich selbst Eltern gehabt hätte. Hört sich echt nach dem schönsten Erlebnis überhaupt an, diese Familiensache."
Zwar freute sich Faith darüber, dass Ylvi so gut mit diesen Informationen umging, aber Vincents steigende Anspannung bereitete ihr Sorgen. Vincent konnte ihren Vater noch nie ausstehen, dessen war sie sich bewusst. Sollte er jetzt aus seiner Wut heraus etwas Unüberlegtes tun, könnte das schwerwiegende Folgen mit sich bringen.

Allerdings lenkte Ylvi ihre Aufmerksamkeit auf sich, indem sie überraschend ihre Arme um die sonst so beherrschte Faith schlang und nur für diese hörbar wisperte: „Ich hasse dich, weißt du das? Ich hasse dich dafür, dass ich dich einfach nicht hassen kann, egal, was du machst. Ich hab dich lieb, Schwesterherz! Aber das muss jetzt sein."
Kicherte das Mädchen am Schluss und haute ihrer Freundin leicht auf den Hinterkopf. Ein seliges Lächeln löste Faith ernsten Gesichtsausdruck ab und behutsam erwiderte sie die Umarmung. Dabei merkte sie, wie auch Vincent sich allmählich beruhigte. Dann ließ die halb auf Faith liegende Ylvi diese zögerlich los, um wieder rechts von Kilian Platz zu nehmen. Daraufhin zog Vincent seine beste Freundin wieder enger an sich und legte sein Kinn auf Faith Schulter. Kitzelnd strichen seine weichen Haare an ihrer Haut entlang. Die junge Frau genoss das ungewöhnliche, in ihr aufkeimende Gefühl in vollen Zügen.

Doch Kilian unterbrach diesen wundervollen Moment, indem er mal wieder eine seiner Faith zur Verzweiflung treibenden Fragen in den Raum stellte: „Also, ich will euch ja nicht stören, aber könnte mir eventuell einer erklären, was ein verdammtes Schwarzblut ist? Ylvi hat in ihrem gegen mich gerichteten Beleidigungsfluss auch schon so etwas in der Art erwähnt. Ich habe keine Ahnung, was das sein soll."
Von den Anderen folgte erst einmal ein genervtes Stöhnen, dann richtete sich Faith an Ylvi, in der Hoffnung, das wäre nur ein schlechter Witz: „Hast du ihm die Geschichte nicht weiter erzählt? Ihr habt mehr als zwei Dinocis fast durchgehend aufeinander gehockt und miteinander geredet. Du kannst mir nicht erzählen, dass er dich nicht um weitere Erklärungen gebeten hat!"
Voller Erwartungen setzte sie sich gerade auf und brachte damit ungewollt wieder etwas Abstand zwischen sich und Vincent, der darauf folgend ein leises, enttäuschtes Seufzen ausstieß.

Ylvis darauf folgende Antwort aber zerschmetterte ihre Hoffnung, trotz des entschuldigenden Tonfalls, wie ein Schlag einen Spiegel in abermillionen Scherben. „Nun ja, dieses Thema ist, wie sage ich das am besten, etwas untergegangen in dem Versuch sich besser kennen zu lernen?"
Sofort fielen die Erwartungen der jungen Frau wie ein Kartenhaus, dessen unterste Karte man herauszog, in sich zusammen. Unmotiviert lehnte sie sich zurück an Vincent und überlegte angestrengt, wo sie mit ihren Erzählungen geendet hatte.
Dabei nahm sie auch wieder ihre Umgebung wahr, die sie während diesem aufwühlendem Gespräch nicht beachtet hatte. Das melodische Zwitschern der Singvögel ließ ihr Inneres friedlich ruhen und die schwachen Schwingungen der an den Eisboden schlagenden Wellen verdeutlichten ihr das mit der Natur im Einklang stehende Leben. Auch über dieses seltsame Seelenband, was normalerweise kein Magier besaß, spürte sie die entspannend wirkende Ausgeglichenheit der Natur.

Von ihrer anfänglichen Verzweiflung war zur Verwunderung aller Anwesenden nichts mehr zu spüren, als die zu tiefst zufriedene Faith sich gedanklich langsam abschweifend vergewisserte, an welcher Stelle sie mit der Geschichte würde ansetzen müssen: „Entschuldigt, aber wann unterbrach die Lumbridenta unser Gespräch, Prinzchen?"
„Hm, ich glaube der Prinz in strahlender Rüstung hat gerade das Herz der wunderschönen Prinzessin gewonnen, was seinem Bruder höchstwahrscheinlich nicht ganz so gepasst hat", schnaubte Kilian eingeschnappt.
Faith ignorierte sein Verhalten jedoch geflissentlich. Auf diese Provokation seinerseits ginge sie keinesfalls ein, wollte sie doch kein Wortgefecht in Gange setzen, sondern lediglich diesen ahnungslosen Mann aufklären, welche ihm unbekannten Gefahren vor den Toren der Stadt lauerten. Um dies zu verstehen, musste Faith ihm vorerst aber darlegen, wie es zur Entstehung eben dieser kam. Denn wie sollte er den Grad der von den Bestien ausgehenden Bedrohung beurteilen können, solange er nicht den Hauch einer Ahnung in Bezug auf die Hintergründe hatte.

Blind - Decline of the ShadowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt