#12 Nostalgie

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Es ist die Aussicht vom Gipfel aus, so wie Hinata es nannte, welche ich wohl nie zu sehen bekommen werde. Meine einzige Aufgabe ist es, den Ball im Spiel zu halten. Darauf vertraut mein ganzes Team, nicht nur ich. Für jemanden, der immer bodenständig ist und jeden Ball auch noch kurz vor seinem Aufprall retten kann, ist die Sicht über das Netz fast unmöglich. Und das Gefühl, dass sich ein großer, breiter Block vor mir aufbaut, kenne ich nicht. Wie soll man also diese Aussicht erreichen, wenn sich eine große und eiserne Mauer vor einem aufbaut?
Ich konnte lediglich dabei helfen, dass die Angreifer viele weitere Chancen bekommen, den Gipfel zu erreichen. Denn nicht nur die besagte Aussicht von diesem ist atemberaubend, sondern auch dieses Gefühl, wenn du zu dem nächsten Ball fliegst. Wenn jede noch so kleine Bewegung leicht ist, wenn dein Körper sich selbst schon fast so anfühlt, als wäre er Wasser und wenn deine Augen nur noch auf eine Sache fokussiert sind - auf den Ball. Es ist das unbeschreibliche Gefühl von Leichtigkeit, so als wäre man eine Feder, die vom Wind getragen wird. Es ist das Gefühl von Freiheit, als könnte nichts und niemand meinen Körper bändigen. Und diese Grenzenlosigkeit erlaubt es mir, mich so leicht und frei bewegen zu können.
Aber dennoch.. wie mag diese Aussicht vom Gipfel aus sein? Als Libero ist es nicht meine Aufgabe, diese zu erreichen, aber ich möchte sie mindestens einmal sehen. Wie dieses Gefühl wohl ist, größer als alles andere auf dem Feld zu sein? Höher als jeder andere zu springen und die andere Seite des Netzes sehen zu können?

"Chanceball!", rief Yahaba und spielte Kunimi den Ball zu. Mit aller Kraft, die er noch hatte, sprang Kunimi einige Meter vor dem Netz ab und fokussierte seine ganze Kraft auf den Ball. Es war seine Chance, uns den nächsten Punkt zu holen. Vor ihm baute sich jedoch ein Block auf. Eine hohe Mauer, kaum zu überwinden. Wie er sich dabei wohl fühlt? Lässt er sich abschrecken oder schlägt er dennoch mit ganzer Kraft zu? Egal was er vor hat, er hat uns alle als Rückendeckung. Sollte er abgeblockt werden, wird der Ball trotzdem nicht zu Boden gehen. Irgendjemand aus unserem Team wird den Ball zurück in die Luft befördern, in den Himmel. In den Himmel, der ganz allein ihm gehört. Ganz alleine ihm zum angreifen. Immer und immer wieder, bis er die Mauer durchbricht.
Aber.. sein Gesicht zeigte Zweifel. Er glaubt nicht daran, dass er den Ball durch den Block schlagen kann. Aber auch wenn er es nicht alleine schafft, er hat uns, sein Team. Das wichtigste darf er nicht vergessen - Volleyball ist ein Teamsport.
"Kunimi!", schrie ich und sah ihn dabei genau an.
"Es gibt keinen Grund zu zweifeln, du hast ein Team! Du bist nicht alleine auf dem Spielfeld!"
Meine Stimme war laut und fest und drang mit Wirkung zu ihm. In der letzten Sekunde, bevor er den Ball über das Netz beförderte, wich sein unsicherer Blick zu einem entschlossenen und er schlug mit aller Kraft zu. Der Ball aber wurde abgeblockt und flog zur linken Seite. Yahaba, der dort bereit stand, spielte den Ball in die Mitte, direkt zu mir. Das war meine Chance.

"Bring mir das auch bei, Noya! Bitte!", bettelte ich den kleinen Libero an. Seit dem Spiel gegen Seijoh übte er nämlich an einem Libero-Zuspiel. Es war zwar nicht einfach, aber um mich selbst als Libero zu verbessern, wollte auch ich diesen Angriff unbedingt beherrschen.
"Also wenn du mich so anflehst, kann ich ja wohl nicht nein sagen.", lachte er, warf mir einen Ball zu und stellte sich in die Mitte des Feldes, hinter die weiße Linie, die das vordere und hintere Feld trennt.
"Spiel den Ball gleich etwas höher vor die weiße Linie und schau dann genau, was ich mache. Verstanden?", erklärte er und sah mich fragend an. Ich nickte.
Kaum eine Minute später spielte ich den Ball so, wie Noya es mir vorgeschrieben hatte. Meine Augen ließen dabei keine seiner Bewegungen außer Acht. Sobald ich den Ball nämlich spielte, sprintete er los, hielt vor der weißen Linie kurz an und sprang mit aller Kraft leicht nach vorne in die Luft. Sein Körper drehte er dabei nach links. Vermutlich würde er den Ball also nach links spielen, weswegen er seinen Körper so in der Luft ausrichtete.
Schließlich berührten seine Hände den Ball und spielten ihn in die Luft des linken Teiles des Feldes. Mit einem leichten Knall landete er wieder auf dem Boden und sah mich auffordernd lächelnd an.
"Jetzt bist du dran!", sagte er und zeigte mit ausgestrecktem Arm dabei auf mich. So simpel das Zuspiel aber aussah, so einfach war es nicht. Um das zu meistern, wird es mich vermutlich einige Wochen kosten.

Liberty [Oikawa x OC] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt