„Nein."
Das Wort legte sich wie ein Gewicht auf Blairs Schultern. Sofort spürte sie, wie ihre Augen feucht wurden. Aber sie durfte jetzt nicht nachgeben. „Warum nicht?", fragte sie leise.
„Dass Ihr überhaupt fragen müsst!" Veera hob ruckartig ihre Arme in die Luft. Eine unerwartet harsche Geste, die nicht recht zu ihrem beherrschten Wesen passen wollte. Ein Funken Hoffnung glomm in Blairs Herzen. Vielleicht ließ sich ihre Leibwächterin doch überzeugen. „Ich kann Euch unzählige Antworten liefern", erklärte Veera weiter, bevor sie ans Fenster trat, um einen Blick hinaus zu werfen. Sicherheit ging vor. Eine Routine, die in diesem Moment besonders an Blairs Nerven zerrte.
„Weil ich eine Prinzessin bin? Oder weil du keine Frau lieben kannst?" Jetzt hatte sie es endlich in Worte gefasst. Die Wände des Raumes schienen sich zu nähern, während sie unbewegt in der Mitte des Zimmers stand. Kein Donner, keine Blitze. Eine leise Stimme in ihr wünschte sich mehr Melodramatik, während ein anderer, nicht unwesentlicher Teil einfach nur weglaufen wollte. Nein, dies war ihr Zimmer. Ihr Reich. Sie würde nicht fliehen. Schon gar nicht vor Veera.
„So einfach ist das nicht!" Ein routinierter Blick zur Tür, doch offenbar lauerten auch dort keine versteckten Attentäter.
Veera tat ihr fast ein bisschen leid. Es gab nichts, das sie vor diesem Gespräch retten konnte. „Ich höre."
Veera seufzte laut, ein Ausdruck purer Frustration. „Du bist eine Prinzessin. Es ist deine Aufgabe zu heiraten, damit du viele kleine Prinzen und Prinzessinnen in die Welt setzen kannst. Das ist doch der königliche Lebenszweck. Warum muss ich dir das überhaupt erklären?" Blair versteckte ein Lächeln. Veeras Wechsel zur persönlichen Anrede wurde von ihrem Akzent untermalt, der deutlich hervortrat und den majinesischen Hintergrund offenbarte. Ohne Innezuhalten wandte sich Veera dem Badezimmer zu, um dort nach dem Rechten zu sehen. Wieder.
„Weil es rückständiger Blödsinn ist. Aber bitte, fahre fort."
Für einen Moment blieb Veera stehen, um ihr einen erbosten Blick zuwerfen zu können. Ihr ganzes Missfallen wurde nur durch die verengten Augen transportiert. Wenn Blair nicht so angespannt gewesen wäre, hätte es sie beeindrucken können. Veera ging auf die Knie, um ihren Standort zu wechseln. „Um auf deinen zweiten Punkt zu kommen. Ist dir klar, wie andere mit dir umspringen werden? Das sie dich verurteilen werden? Vielleicht sogar hassen?"
„Das sind alles keine Gründe, sondern Ausflüchte." Selbst Blair war bewusst, wie naiv sie klang. Aber sie meinte jedes Wort. Was zählte Reichtum, Rang oder Ansehen schon, wenn man einsam war?
Wie eine Wildkatze streifte Veera weiter durch das Gemach. Dem Bett gönnte sie nur einen misstrauischen Blick, bevor sie sich zum Schrank drehte. Blair verdrängte ihren verletzten Stolz. Es war nicht so, dass sie mit Veeras Zustimmung gerechnet hätte. Die Majinesin war seit der Anschlagreihe vor zwei Jahren ihre Leibwächterin. Von ihr hatte Blair das Schwimmen und Kämpfen gelernt, wie man auf Bäume kletterte und wieviel Alkohol sie vertrug. Gemeinsam waren sie über den Nachbarkontinent gereist und hatten dabei einen elenden Krieg beendet. Auch wenn Blairs eigener Beitrag zugegebener Maßen eher klein gewesen war. Doch sie kannte Veera, liebte sie still und heimlich seit den ersten Tagen. Es war gerade Veeras Verlässlichkeit, ihre Ruhe und Fürsorge, die sie ausmachten. Blair wollte mehr.
Über dem Schreibtisch hing ein riesiges Gemälde, das die königliche Familie zeigte. Es war zum Anlass ihrer Volljährigkeit entstanden, kurz vor den ersten Anschlägen. Veera hob den Kopf und sie tat es ihr nach. Blair liebte das Bild wegen seiner kräftigen Farben. Es war auch das letzte, das ihren Bruder zeigte, bevor er dem Krieg zum Opfer gefallen war. Sie stand neben ihm, ihre Mutter saß im Vordergrund. Selten gewordene Stunden, die sie gemeinsam verbracht hatten. Alle drei teilten sie das scharf geschnittene Gesicht, die blasse Haut und braune Augen. Serabin hatte den athletischen Körperbau ihrer Mutter, den er auch an seine Kinder weitergegeben hatte. Blair war hagerer, ihr blondes Haar glich eher dem Mondlicht als der Sonne. Auch wenn ihr das Kunstwerk schmeichelte war offensichtlich, dass ihr etwas fehlte. Vielleicht war es Adel oder Förmlichkeit, jedenfalls passte sie wie immer nicht ganz ins Bild. Wieder brannten ihre Augen. Sie musterte Veera, die immer noch gebannt die Wand anstarrte. Veera war perfekt. Ihre dunkelblonden Haare trug sie zu einem praktischen Zopf zusammen gebunden. Auf ihrer Haut waren überall die Narbenkunst der Majinesen zu finden. Feine Linien, Punkte oder Formen bedeckten sie. Die Bedeutung war Blair fremd, aber das Mysteriöse machte Veera selbst zu einem Kunstwerk. Doch die Narben waren soviel mehr, sie gaben ihr Stärke, Beweglichkeit und was auch immer sonst noch.
Veera seufzte leise, so dass Blair zuerst dachte, sie hätte sich das Geräusch nur eingebildet. „Warum jetzt? Warum hier?" Instinktiv erkannte Blair, dass es eine andere Frage gab, die Veera auf der Zunge brannte: Warum ich?
„Weil wir überlebt haben. Gemeinsam. Außerdem, was stört dich an meinem Zimmer? Wie man sieht, kennst du jeden Zoll davon."
Ruckartig blieb Veera stehen. „Dann ganz einfach, Blair. Nein. Weil es gefährlich ist." Ungestüm warf sie beide Hände in die Luft. „Weil ich gefärlich für dich bin."
„Schwachsinn. Als ob du jemals zulassen würdest, dass mir etwas passiert! Du nennst es Gefahr? Ich nenne es Liebe. Davor fürchte ich mich nicht. Wird es schwierig? Wahrscheinlich. Wird man uns anfeinden? Möglicherweise. Aber wir können es schaffen." Eine Träne, die sie einfach nicht zurückhalten konnte, rollte über ihre Wange. Sie konnte die Feuchtigkeit spüren. „Ich brauche dich, Veera."
Blair konnte sehen, wie etwas in Veera zerriss. Langsam hob die Majinesin eine Hand, legte die Finger an ihre Wange, um mit dem Daumen über die Tränenspur zu wischen. „Was soll ich nur mit dir machen?"
Ihr eigenes Lächeln war etwas zittrig, sie konnte es spüren. Aber sie erkannte ihre Chance und trat einen Schritt näher an Veera heran. „Gut, dass du fragst. Ich hätte einige Vorschläge." Sie hob ihre eigene Hand und legte sie über Veeras Herz. „Nein, wirklich. Du bist Sareen Veerapol. Die größte Kriegerin aller Zeiten. Du bist eine lebende Legende, das weißt du ganz genau. Welche Gefahr kann mir drohen, wenn du mich beschützt?"
Mit der Hand zog Veera ihren Kopf näher zu sich heran, drückte ihre Stirn gegen Blairs. „Und wer wird mich vor dir beschützen?", flüsterte Veera.
„Niemand, wenn die Götter uns gnädig sind."
Veeras Lachen wirkte befreiend. Es kostete Blairs ganzen Mut, um ihr Kinn zu heben und Veera anzuschauen. Dort fand sie alles, auf was sie je gehofft hatte. Endlich würde alles gut werden. „Manchmal sind die Fragen kompliziert und die Antworten einfach", erklärte die Majinesin und Blair fand, das es das ziemlich gut auf den Punkt brachte.
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