04.

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Einen Monat später und ich habe eine neue Freundin. Sie geht in eine meiner Vorlesungen, hat ja gesagt als ich sie zum Essen eingeladen habe und küsst besser als jedes andere Mädchen, das ich je geküsst habe. Und glaubt mir, ich habe einen Haufen Mädchen geküsst. Ihr Name ist Mila. Ihre Haare sind weich unter meinen Fingern, ihre Haut blass. Ich könnte mich vielleicht in sie verlieben.

Es wird kälter draußen und ich bin froh jemanden zu haben, mit dem ich den ganzen Tag eingekuschelt auf dem Sofa sitzen kann, jemanden der mir durch die Haare streicht und mir sagt, was für ein toller Mensch ich bin. Ich stelle mir vor, wie wir heiraten und Kinder kriegen. Oder vielleicht als ersten Schritt, ich sie meinen Eltern vorstelle. Okay, zugegeben, das geht alles ein bisschen schnell in meinem Kopf, aber wenn ich sage, ich will was ernstes, dann meine ich das auch so. Ich will nicht gleich wieder Schluss machen. Ich will, dass jemand bei mir bleibt.

Nachdem wir drei Monate zusammen sind, sagt sie mir, dass sie sich in mich verliebt hat. Wir sind draußen in der Stadt um Weihnachtsgeschenke zu kaufen, Hand in Hand. Mein Herz beginnt in meiner Brust zu drücken und ich bleibe stehen, weil ich ihre Augen sehen will. Sie sind ernst und auch irgendwie unsicher. Wir sehen uns eine Weile lang an. Schließlich sage ich: „Ich hab mich auch in dich verliebt." Und wenn das jetzt noch nicht stimmt, dann bestimmt bald.

Weihnachten ist sie bei ihren Eltern und ich vermisse sie sofort. Ich weiß nicht wohin mit mir. Es ist, als hätte jemand ein Stück Wärme aus meinem Leben gerissen. Ich weiß nicht, ob es sie ist, oder einfach das Gefühl, einen Menschen bei sich zu haben.

Freddie, ein Bekannter aus der Uni, hat kurz nach Weihnachten Geburtstag und wir treffen uns mit seinen Freunden in einer Kneipe, um anzustoßen. Der Raum ist gefüllt von Zigarettenqualm und Bier, und ich vermisse Mila. „Ich geb einen aus!", verkündet jemand - ich kenne ihn nicht, irgendein Freund von Freddie. Dann pokern wir ein paar Runden. Es ist ewig her, dass ich so einen richtigen Männerabend verbracht hab, voller Flachwitze und dummen Sprüchen, und ich habe auch nicht so richtig Lust drauf. Als sie beginnen sexistisch zu werden, flüchte ich aufs Klo für eine Auszeit.

Ich stehe am Urinal, als sich jemand neben mich stellt und sich eine Zigarette anzündet. Ich sehe ihn nur aus dem Augenwinkel. Er bewegt sich nicht, steht nur da und scheint mich zu beobachten. Ein Perverser ...? Ich drehe mich um. Als ich Louis' Gesicht sehe, fühlt es sich an, als hätte mir jemand eine reingehauen. Kurz vergesse ich sogar zu pinkeln. Ich habe ihn ewig nicht gesehen.

„Hey." Er bläst mir Qualm ins Gesicht und grinst. Seine Wangen glühen, wahrscheinlich vom Alkohol. „Ich hab dich vermisst." Sein Blick huscht abwärts zu meiner offenen Hose und es entsteht ein Grinsen in seinem Gesicht. Sofort ziehe ich mich wieder an, meine Wangen erhitzt. Ohne ein Wort zu sagen, wende ich mich ab, um mir die Hände zu waschen. Er redet weiter. „Wann haben wir uns zuletzt gesehen? Ich kann mich kaum erinnern." Ich spüre die allbekannte Wut. Wie schafft er es immer, mir das Gefühl zu geben, ich wäre ein Haufen Dreck? Verdammte Säufer. Er hat wahrscheinlich jedes Wort vergessen, was wir je miteinander gewechselt haben. „Hey, redest du nicht mehr mit mir?"

Gut, dass ihm das auch aufgefallen ist. Ich drehe mich jetzt doch zu ihm um und mache mich so groß wie möglich, weil ich mich nicht einschüchtern lassen will. „Ich will nichts mit dir zu tun haben."

Er lächelt nur. „Oh. Achso." Er glaubt mir kein Wort, raucht seelenruhig weiter. Er beobachtet mich eine ganze Weile. "Wer besorgt's dir denn, wenn nicht ich?", fragt er schließlich.

Ich seufze genervt. „Weißt du, es gibt wirklich wichtigeres im Leben ..." Ich will nichts von Mila sagen. Er ist einfach zu gut darin, Beziehungen zu ruinieren.

„Achja? Wichtiger als du und ich?" Er lächelt, irgendwie verflucht sanft, und das bringt mich aus der Fassung. Er und ich - seit wann ist das etwas Wichtiges für ihn?

Ich antworte nicht und er kommt einen Schritt auf mich zu. Langsam hebt er die Hand und streicht mir durch die Locken, so wie er es immer getan hat. Ich starre ihn an, kann mich noch nicht so ganz wehren. Er pustet Rauch in mein Gesicht und ich unterdrücke ein Husten.

„Willst du auch mal ziehen?"

„Nein, danke."

Er drückt die Zigarette an der Wand aus und wirft sie in den Müll. „Bist du allein hier?", will er wissen.

„Nein."

„Deine Freundin?" Ich schüttele den Kopf. Er grinst. „Du hast keine Freundin?"

Darauf antworte ich nicht. Und das bereue ich auch direkt. Warum auch immer denkt er wohl plötzlich, dass ich ihm gehöre. Mit einer schnellen Bewegung drückt er mich nach hinten und hebt meine Beine hoch, mit Kräften, die ich mir nicht erklären kann. Ehe ich mich versehe, sitze ich auf dem Waschbecken. Ich lasse einen überraschten Schrei aus, als er sich direkt zwischen meine Beine drückt und ich seine Erektion spüre. Der Schock erregt mich bevor ich darüber nachdenken kann. Er legt seine Stirn an meine und lacht heiß. „Fuck", murmelt er. „Das ging schnell. Du bist hart." In meinem Kopf flackert ein schwarzer Balken, nur für ein paar Sekunden, in denen er beginnt, meinen Hals entlang zu küssen. Dann sehe ich Mila in meinem Kopf und sofort ist mein Verstand wieder da.

„Verdammt. Scheiße, geh weg - lass mich los. LASS MICH LOS!" Ich stoße ihn mit Gewalt von mir, doch als seine Hände sich von mir lösen, verliere ich den Halt und im nächsten Moment lande ich auf dem Boden. Meine Knie pochen vor Schmerz. „Fuck!"

„Was machst du fürn Mist." Er sagt das, als wäre es meine verfluchte Schuld. Dann kniet er sich zu mir. Ich könnte heulen. Nicht wegen den Schmerzen. Er hilft mir auf die Beine und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. „Alles okay?" Ich bin leicht weggetreten, nicke aber.

Dann öffnet sich die Tür. Ich sehe auf und erkenne einen der Jungs, die mit mir am Tisch saßen, einer von Freddies Freunden. Er betritt den Raum und sieht uns mit einem seltsam prüfenden Blick an. Dann merke ich, wie nah Louis und ich aneinander stehen. Ich drücke ihn ein Stück weg. Der Kerl starrt mich an. Dann Louis. Keine Ahnung, wie das aussehen muss. „Seid ihr Homos oder was?", fragt er plötzlich mit einem misstrauischen Unterton.

Louis fühlt sich sofort provoziert und baut sich vor mir auf. „Was geht's dich an?"

„He." Der Kerl ignoriert Louis und kommt auf mich zu. „Ich rede mit dir. Stehst du auf Schwänze?"

Ich habe keine Lust auf so einen Scheiß. Homophobe Arschlöcher sollte es meiner Meinung nach zu unserer Zeit gar nicht mehr geben. Dieser Typ hat scheinbar irgendwas nicht mitgekriegt. „Hey, lass gut sein", versuche ich ihn zu beruhigen.

Er schüttelt ungläubig den Kopf und sieht plötzlich richtig wütend aus. „Weiß Freddie davon? Dass du ein Homo bist? Sitzt und trinkst mit uns und glotzt uns heimlich auf die Ärsche, was?"

„Reg dich ab, man."

„Jetzt weiß ich auch, warum du so dicht neben mir sitzen wolltest."

Ich verdrehe die Augen. So ein Kindertheater. „Die Bank war voll."

Er schnaubt. „Und das mit der Freundin war gelogen, was? Von wegen du vermisst sie so, weil sie bei ihren Eltern ist." Er kommt noch näher und legt seine große Hand auf meine Schulter, und kurz glaube ich, er will mir echt eine reinhauen, aber Louis geht dazwischen.

„Behalt deine dreckigen Finger bei dir." Er schubst ihn ein Stück und sofort funkelt der Kerl Louis angriffslustig an.

„Ihr seid widerlich." Er sieht aus, als würde er auf Louis losgehen, aber im nächsten Moment hat er eine Faust im Gesicht, die ihn so hart zurückschlägt, dass er ein paar Schritte nach hinten taumelt, das Gleichgewicht verliert und auf dem Hintern landet.

„Fuck", murmele ich.

„Alles okay?" Louis legt einen Arm um meine Schulter. Sein Blick ist ehrlich besorgt und das irritiert mich. Ich nicke. Aber er muss nicht denken, dass ich nicht mehr sauer bin. Ohne ein weiteres Wort schüttele ich ihn ab und verlasse den Toilettenraum, um Freddie zu finden.

Meine Beine zittern noch vom Sturz, als ich den Tisch erreiche. „Kann ich kurz mit dir reden?", frage ich Freddie. Wir stellen uns etwas abseits hin und ich erzähle ihm was eben passiert ist, natürlich ohne den Part mit Louis, mir und dem Waschbecken.

„Brian ist ein Arsch", sagt Freddie hastig. „Tut mir leid, Harry. Ich sehe mal nach ihm."

„Mach das. Ich glaube, ich gehe besser nachhause."

Draußen humpele ich zur nächsten Haltestelle. Es ist kalt und dunkel, kein Stern am Himmel. Ich höre Schritte hinter mir. Als ich mich an die Haltestelle setze, setzt Louis sich wortlos neben mich. Wir schweigen eine Weile. „Ich hasse solche Arschlöcher", sagt er schließlich.

„Ich auch."

Er sieht mich an, irgendwie warm und vielleicht ist es die kalte Luft, die meine Wut auf ihn langsam aufzulösen beginnt. Ich fühle mich so verstanden wie lange nicht. Es fühlt sich beinahe an, als wären wir ein Team. Er und ich gegen den Rest der Welt. Dann rutscht Louis näher. Er beginnt zu erzählen, und ich erkenne ihn kaum wieder. So offen war er nie. „Mir ist so etwas zu oft passiert", beginnt er leise und ernst. „Mein erster Freund - wir waren 15. Sind mit der Bahn nachts nachhause und konnten die Lippen nicht voneinander lassen. Ein paar Ältere haben uns grün und blau geschlagen als wir ausgestiegen sind. Hier." Er neigt seinen Kopf leicht und zeigt auf eine kleine Narbe unter seinem Ohr. „Das musste genäht werden." Ich starre ihn an. „Meinen Freund hat es schlimmer erwischt. Er lag ein paar Wochen im Krankenhaus. Danach wollte er nichts mehr von mir wissen ... Von überhaupt keinem Kerl mehr. Weißt du, genau das ist der Grund, warum sich Leute nicht outen. Wegen solchen Arschlöchern gibt es Männer, die eine Frau heiraten und Kinder kriegen, obwohl sie Frauen niemals lieben können." Er sieht mich an, seine Augen traurig. Dann sieht er sich um. Die Straßen sind leer. „Also ... Nimm's nicht persönlich, dass ich dich draußen nie küssen wollte."

Ich ziehe meine Beine hoch an meine Brust und lege meine Arme darum. Es ist eisig kalt. „Tut mir leid", sage ich leise. Ich versuche an Mila zu denken aber es klappt nicht. Ich will die alten Fragen nicht ausbuddeln aber ich muss. „Warum durfte ich nie bei dir schlafen?" Ich lege meinen Kopf seitlich auf meine Knie und sehe ihn an.

Er zögert, weicht meinem Blick aus und wirkt wieder etwas distanzierter. „Das hat nichts damit zu tun. Ich will einfach nicht mehr als Vögeln, okay? Ich will nicht, dass jemand mehr darin sieht. Ich will nicht morgens aufwachen und in ein Gesicht sehen, in das ich mich nicht verlieben kann."

Ich ziehe verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Warum kannst du dich nicht verlieben?"

Er schweigt eine ganze Weile und starrt in die schwarze Nacht. Ich beobachte ihn, verfolge mit den Augen die Kontur seiner geraden Nase und dem Kieferknochen. „Weil ich keine Beziehung will", sagt er schließlich. „Seit meinem ersten Freund ..." Er bricht ab und ich verstehe trotzdem was er meint. Ich hätte das ganze gerne früher gewusst. Ich hätte gerne gewusst, dass hinter diesem Arschloch-Getue eine Seele steckt. Vielleicht hätte ich mich in ihn verliebt. Vielleicht würde ich mich genau jetzt in ihn verlieben, wenn ich keine Freundin hätte. Ich schweige. Er auch. Als der Bus kommt setzen wir uns gegenüber in einen Vierersitz. Wir berühren uns nicht, halten Distanz. Ich überlege es ihm zu sagen und jetzt im Moment vertraue ich ihm.

„Ich bin seit drei Monaten in einer Beziehung."

Er sieht auf, sein Blick ernst. Dann reibt er sich die Stirn. „Klar. Hab vergessen dass du nach sowas suchst." Er lacht. „Sorry wegen vorhin." Weil er immer noch ein Arsch ist, fügt er ein paar Minuten später hinzu: „Wir wissen trotzdem beide, dass dich niemand so gut fickt wie ich." Er zwinkert mir zu und ich weigere mich zu grinsen.

Ein paar Tage später kommt Mila zurück und ich richte mich gedanklich darauf ein, mich nun endlich in sie zu verlieben.

hunt me downWo Geschichten leben. Entdecke jetzt