Mit jedem Schritt, den ich durch unseren Schulflur setze, werde ich langsamer. Ich frage mich, ob es die richtige Entscheidung war, heute um verdammt noch mal 6:20 Uhr aufzustehen- nachdem ich schon zwei Mal die Snooze Funktion an meinem Handy betätigt habe- und mich für die Schule fertig zu machen. Und wenn ich fertig machen sage, meine ich damit eigentlich nur mein Gesicht zu waschen, mir das erste paar Socken, die erste Jeans und das erste T-Shirt aus meinem Schrank zu greifen, die ich zu Gesicht bekomme, und überzuziehen. Fürs Frühstücken hatte ich keine Zeit, sonst hätte ich den Bus verpasst. Fürs Zähneputzen auch nicht. Da kam mir die angebrochene Kaugummipackung auf der Kommode in unserem Flur nur gelegen- ich habe sie gleich komplett in meiner Jackentasche verschwinden lassen.
Doch jetzt wo ich in all die verschlafenen Gesichter meiner Mitschüler blicke, wünsche ich mir, ich wäre einfach liegen geblieben. Ich kann nicht einmal genau feststellen, ob die so aussehen, weil sie verkatert von der letzten Party sind, weil sie einfach nicht richtig ausgeschlafen, oder weil sie stoned sind- für manche trifft vielleicht sogar alles drei zu.
Doch ich beschäftige mich nicht weiter mit meinen Mitschülern. Denn sie sind so wie immer; Ich bin so wie immer. Es hat sich nichts verändert. Letztendlich sind wir doch alle nur normale Schüler, die einfach nur die verdammte Schulzeit hinter sich bringen wollen. Einige haben dabei mehr Spaß, andere weniger. Wieder andere werden es nach der abgesessenen Zeit in dem wundervollen Knast namens Schule tatsächlich zu etwas bringen. Andere nicht- wie zum Beispiel Mat Walker, dessen Grassgeruch man schon riecht, bevor man sein theatralisches Seufzen wahrnimmt. Genau wie immer tut er so, als sei er der Einzige, der sich durch die Schule quälen muss. Als wäre er ganz alleine mit dieser Scheiße. Dabei ist man in der Schule niemals allein. Stellt sich nur noch die Frage, ob das jetzt gut oder schlecht ist.
Da bin ich, die jeden Tag erneut mit sich ringt, ob sie überhaupt in die Schule kommen soll, es aber trotzdem immer tut. Die meisten meiner Mitschüler kennen wahrscheinlich nicht einmal meinen Namen- wenn überhaupt, dann kennen sich mich mit dem lustigsten Spitznamen überhaupt; Silly. Aber ich bin trotzdem da und gehöre zu den unter dem Schulstoff leidenden Pubertieren dazu- ein Wort, welches eigentlich auch nur aus dem Mund meines Vaters kommt.
Aber ich bin hier. Ich bin hier, genau wie Mat hier ist. Er hat schon mindestens einen Joint geraucht und lächelt, als ob sich ihm andere Welten offenbaren würden. Doch auch wenn er die Schule mindestens genauso scheiße findet wie ich, ist er hier. Ich bin hier und er ist hier. Das ist Sicherheit.
Und dann ist da noch dieses komische Mädchen, welches ihren Spind neben meinem hat. Abgesehen vom Anfang des Schuljahres haben wir nie ein Wort mit einander gewechselt. Unsere Konversation sah folgendermaßen aus;
Ich: „Hallo, ich habe den Spind neben deinem".
Sie: „Hallo, du hast den Spind neben meinem".
Ich habe mich nicht vorgestellt und sie auch nicht. Ich war nicht daran interessiert, sie auch nicht. In Gedanken nenne ich sie manchmal Little Pony, weil sie seit Beginn der zehnten Klasse einen Rucksack mit einem Motiv der Serie auf ihrem Rucksack hat. Wenn ich mich richtig erinnere, dann haben wir in Bio nebeneinander gesessen. Wahrscheinlich war es nicht einmal ihr Rucksack, sondern der ihrer Schwester. Oder sie wollte damit irgendwas ausdrücken. Sowas wie scheiß auf Alterseinschränkungen, mir gefällt was ich will, ihr Arschlöcher. Das würde zu ihr passen. Würde mich nicht wundern wenn so ein ähnlicher Songtext in dem kleinen Buch steht, dass sie immer dabei hat und in das anscheinend niemand außer ihr jemals einen Blick hineingeworfen hat. Vielleicht schreibt sie da aber auch Beleidigungen rein, die an Leute gehen, die sie so eindringlich anstarren und beurteilen wie ich es gerade tue.
Aber das ist ja auch egal. Der Punkt ist; ich bin da, Mat ist da und Little Pony ist da. Und die Sicherheit auch.
Und dann ist da noch die typische Mädchenclique, von der ich behaupte, dass sie jede Schule hat. Eine Gruppe aus Mädchen, bei denen sich ganz klar eine Bienenkönigin erkennen lässt. Und das ist bekanntlich das Mädchen, was den Ton angibt. Was sie sagt ist Gesetz und muss von den anderen Mädchen der Clique eingehalten werden. Ehrlich gesagt kenne ich auch ausschließlich den Namen besagter Bienenkönigin; Cecil Holister- ja sie ist klischeehaft reich, klischeehaft modebewusst angezogen und trägt auch noch den Nachnamen einer bekannten Klamottenmarke. Cecil ist die Einzige unter der Gruppe, die ein bisschen Persönlichkeit hat. Nichts mit dem ich mich abgeben würde- nicht, dass mich jemand danach gefragt hätte-, aber ihre Freundinnen im Gegensatz sind einfach nur wie ein Haufen schlechter Klone von ihr.
DU LIEST GERADE
What's even normal? ✔️
Teen Fiction„Da fällt mir ein, dass du jetzt meine dreckigen Geheimnisse kennst, ich aber nicht deine. Hast du zufällig mit irgendwem rumgemacht, dessen Identität wir auch noch irgendwie analysieren könnten?" „Nicht dass ich wüsste", erwidert Silvia und lacht. ...