Mat II

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Ich lache über Sillys letzte Nachricht und schalte anschließend mein Handy aus. Tatsächlich ist es nicht sehr weit von der Hausparty bis zu Silvias Haus. Vielleicht fünf Minuten, wenn ich mich recht entsinne und stoned und noch dazu im Dunkeln den richtigen Weg finde.

Doch ich schaffe es irgendwie und entdecke Silvia schon auf mehrere Meter Abstand, als ich die Straße zu ihrem Haus erreiche. Sie trägt einen blauen Schlafanzug und darüber die Jacke, die sie in der Schule auch immer anhat. Ihre Arme hat sie um ihren Körper geschlungen, als wäre ihr arg kalt. Trotzdem hebt sie einen Arm an, um mir wie wild zuzuwinken.

„Ist das nicht der Moment, indem du mir deinen Pulli anbietest?", ruft sie gerade so laut, dass ich sie hören kann, sie aber gleichzeitig niemanden von den alten Säcken in ihrer Straße aufweckt.

„Entschuldigung? Wir befinden uns vor deinem Haus. Wenn hier irgendwer irgendwem etwas anbieten sollte, dann jawohl du mir."

„Okay, okay. Dann gehen wir eben nicht nach dem Klischee. Soll mir auch recht sein. Aber meine Eltern nerven mich den Rest meines Lebens total, wenn sie mitbekommen, dass ich einen Typen um die Uhrzeit noch in unser Haus lasse- sie wissen jetzt zwar, dass ich eine Freundin habe, aber diese komische Regel existiert trotzdem noch. Also lass mal zum Spielplatz gehen", sagt sie, hakt sich bei mir unter und zieht mich in die Richtung des Spielplatzes.

Es ist irgendwie komisch ihr so nah zu sein. Nicht, weil ich etwas für sie empfinden würde oder so. Einfach, weil wir das sonst nie so machen. Weil wir uns sonst nur in der Schule sehen und sich die Tatsache, dass ich sie um die Uhrzeit noch im Schlafanzug antreffe, seltsam persönlich anfühlt. Ich weiß nicht, ob das normal ist. Ist es normal, dass Freunde sowas zusammen machen? Macht Silvia das mit anderen auch? Jedoch würde mir, egal wie stoned ich bin, niemals eine dieser Fragen über den Mund kommen.

„Also. Wieso störst du meinen Welche-Schönheit-Bitteschön-Schlaf?", fragt Silvia und wirft mir einen kurzen Blick zu. Anschließend schiebt sie sich mit der Hand die nicht bei mir untergehakt ist, eine ihrer Schulterlangen braunen Strähnen hinters Ohr. Es ist eine Macke, die mir schon öfter bei ihr aufgefallen ist. Sie macht das immer, wenn sie konzentriert nachdenkt- und wenn sie ihr Handy nicht bei sich hat. Fragt sich nur, welche der Aussagen jetzt gerade zutrifft.

„Ich bin schwul", verlässt es meine Lippen und ich bin selbst überrascht, als ich mich diese Worte sagen höre. Wir bleiben abrupt stehen und sehen uns an. Ich merke, dass ich in der letzten Zeit oft darüber nachgedacht habe, mich aber nie so richtig labeln wollte. Und jetzt wo ich es ausgesprochen habe, ist alles plötzlich viel klarer- auch wenn ich mich trotzdem noch ein bisschen vor Silvias Reaktion auf meine Worte fürchte. Sie hat eine Freundin und das schon lange, aber das beruhigt mich nicht.

Sie entzieht ihren Arm der Verhakung und sieht mich ernst an. Sie sieht mich einfach nur an, ohne etwas zu sagen. Ihrem Gesicht kann ich nicht entnehmen, was sie denkt- was höchstwahrscheinlich an dem Wunderzeug liegt-, doch ich strenge mich dennoch an. Irgendwann, meine Gedanken schlagen bereits Purzelbäume, schlingt sie ihre Arme um meinen Oberkörper und legt ihren Kopf darauf ab.

„Danke. Danke, dass du mir vertraust, Mat", sagt sie und drückt mich noch ein bisschen enger an sich. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals diesen liebevollen Unterton in ihrer Stimme gehört zu haben und fühle plötzlich ein wohliges Gefühl in der Brust. Ich bin gerührt. Vielleicht habe ich ja doch eine Freundin.

„Ich wette zehn Piepen, dass das Erste, was du wenn du heute aufstehst in die Suchleiste eingibst ‚was tun wenn Freund sich als schwul outet' ist", witzele ich.

„Die Wette gilt. Ich zeige dir in der Schule meinen Suchverlauf", antwortet Silvia, lässt mich aber nicht aus der Umarmung gehen. Ich frage mich, ob sie diese gerade genauso braucht, wie ich. Also steige ich über meinen Schatten und erwidere die Geste. Mit Zuneigung kenne ich mich nicht sonderlich gut aus, aber ich denke, dass ich mich ganz gut damit schlage, meine Arme auch um ihren Körper zu schlingen.

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