Kapitel 5

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Sie hatte sich am Vorabend noch im Speisesaal von Jennifer verabschiedet und war schlafen gegangen. Als die anderen aus ihrem Schlafsaal heraufgekommen waren, war sie bereits tief im Land der Träume versunken. Jetzt erwachte sie bei Tagesanbruch und sah sich in dem dämmerigen Licht um. Sie entdeckte das Jennifer in einem der oberen Betten an der gegenüberliegenden Wand schlief. Bevor sie aufstand, zog Elisa das Foto unter ihrem Kissen hervor. Es zeigte ein Mädchen von 19 und einen Jungen von 17, die in die Kamera strahlten. Mit Tränen in den Augen drückte sie einen Kuss auf das Bild und flüsterte: "Ich bin stark. Für dich. Ich schaffe das." Sie blinzelte die Tränen weg, nahm ihren Kulturbeutel aus ihrem Spind, den sie am Vorabend noch schnell eingeräumt hatte, und huschte ins Bad. Jedes der sechs Zimmer, in denen die Mädchen schliefen, hatte ein eigenes Bad. Elisa stand vor dem Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Sie hatte gut geschlafen und wirkte frisch. Auch wenn sie sich nie als außergewöhnlich schön angesehen hatte, mochte sie ihr Gesicht und ihre Proportionen. Sie wusch ihr Gesicht, cremte sich ein und bürstete ihr Haar. Dann band sie es zu einem Zopf und putzte sich die Zähne. Obwohl sie aufgeregt und neugierig auf den Tag und die Tests war, half ihr diese Morgenroutine sich zu entspannen.


Sie kehrte ins Zimmer zurück und stellte ihre Sachen zurück in den Spind. Sie zog sich leise an, nahm ihre Jacke vom Bettpfosten und schlich aus dem Zimmer. Auf dem Weg hinunter in die Halle begegnete sie niemandem. Alle lagen noch in ihren Betten und schliefen. Doch sie mochte die frühen Morgenstunden, bevor die Welt erwachte, am liebsten. Sie verließ das Gebäude, zog ihren MP3-Player aus der Jackentasche und setzte die Kopfhörer auf. So schlug sie mit Musik auf den Ohren den Weg zum Baum am Bach ein. Sie genoss die Kälte und die Feuchtigkeit, die in der Luft lagen, als sie durch den Wald ging. Sie stellte sich vor wie schön es hier im Sommer sein musste, wenn alles grün war und blühte. Wenn die Blätter Schatten vor der Sonne spendeten und der Bach vor sich hin plätscherte. Versunken in die Vorstellung erreichte sie den Baum am Ufer. Er war gebogen wie eine Banane und ragte über das Bachbett. Er war mit dichtem, weichem Moos überwachsen und wenn man sich darauflegte, konnte man in den Himmel blicken und die Füße ins Wasser baumeln lassen. Das würde ihr Platz werden, wenn sie an der Akademie studierte. Hier würde sie ihre Freizeit verbringen, lesen oder einfach den Himmel beobachten. Sie überlegte kurz sich jetzt schon auf den Baum zu legen, doch es war noch zu nass und zu kalt und so beschloss sie, das Probeliegen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Jetzt würde sie erst einmal zum Frühstück gehen und sehen, was der Tag so brachte. Sie hatte ihn nicht bemerkt wie er am anderen Bachufer gestanden und sie beobachtet hatte, doch ihm war sie bereits gestern aufgefallen, als sie den großen Saal betreten hatte. Er hatte den Blick einfach nicht von ihr abwenden können. Er lächelte versonnen und fand, dass dies ein gelungener Start in den Tag war.


Inzwischen war im Hauptgebäude deutlich mehr los als zum Zeitpunkt als sie losgegangen war. Sie sparte sich den Umweg über das Zimmer und nahm ihre Jacke mit in den Speisesaal. Als Elisa eintrat, hatten die meisten bereits Platz genommen und sie sah Jennifer, die ganz vorne am Tisch saß und sich mit einem der anderen Mädchen aus dem Schlafsaal unterhielt. Auch Natascha, das Mädchen mit dem Elisa den Fitnesstest absolviert hatte, kam gerade herein und blieb neben ihr stehen. Da stolzierte Barbie in Minirock und High Heels an ihnen vorbei und stöckelte schnurstracks auf Jennifer zu. Mit einer Stimme wie Reißnägel auf einer Tafel kreischte sie: "Was fällt dir ein dich auf meinen Platz zu setzen? Verschwinde! Such dir gefälligst einen anderen Platz." Vollkommen starr vor Angst blieb Jennifer stocksteif sitzen. Nataschas und Elisas Blicke trafen sich, sie verdrehten gleichzeitig die Augen und mussten grinsen, weil sie genau wussten, dass sie dasselbe gedacht hatten. Sie gingen zum Tisch hinüber und Elisa sagte zu der Furie: "Du brauchst der armen Jennifer doch nicht solche Angst einjagen. Sie hat dir nichts getan. Komm Jennifer, du kannst dich zu uns setzen." Natascha half Jennifer auf und sie setzten sich ans entgegengesetzte Ende des Tisches. Barbie stand sichtlich verärgert vor ihrem jetzt leeren Platz. Als sich Jennifer einigermaßen von dem Schock erholt hatte, sagte sie:"Danke. Ich konnte mich einfach nicht bewegen als sie mich so angekeift hat." An Natascha gewandt fügt sie hinzu: "Ich bin übrigens Jennifer." "Hi, ich bin Natascha. Lass dich von ihr nicht einschüchtern, sie will sich nur profilieren. Geh ihr einfach aus dem Weg." Dann frühstückten sie schweigend und jede von Ihnen schien mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt zu sein.


Nachdem sie ihr Frühstück beendet hatte, gingen sie hinauf in den zweiten Stock und stellten fest, dass sie alle im gleichen Zimmer schliefen. Jennifer hatte das Bett mit der Nummer 6 und Natascha schlief in Bett 9. Es war Zeit hinunter ins Foyer zu gehen, schließlich stand ihnen ein langer Tag voller Prüfungen bevor.

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