„Matti?" Ich reagiere aus Prinzip nicht auf Verniedlichungen oder Kosenamen. Einfach, weil ich so ein romantisch-süßes Pärchen-Geschnulze hasse. „Maaaatt!" Wann lernt er endlich, nicht mehr so rumzuschreien? Außerdem ist es mitten in der Nacht. Warum ist er überhaupt wach? Als ich eben aufgestanden und in meinen Kreativraum geschlichen bin, hat er noch selig geschlafen. Leider war mir genau das verwehrt, da Pers Urlaub übermorgen endet und wir morgen ins Dorf laufen wollten, damit er irgendwie zurück in seine Welt kommt. Was allerdings auch bedeutet, dass er meine Welt verlässt und ich alleine hier bleibe. Oder eher einsam. Die letzten Tage habe ich mich so daran gewöhnt, dass noch jemand hier ist. Vor allem aber habe ich mich an ihn gewöhnt. An seine Umarmungen von hinten, seine Grübchen und warmen Augen, seine liebevollen und seine leidenschaftlichen Küsse. Pers Nähe hat mir gezeigt, dass ich doch nicht so gut allein klar komme. Und dass meine abgeschottete Welt vielleicht doch nicht der Himmel auf Erden ist.
Vor mir liegt eine quasi fertige Zeichnung von seinem Gesicht, damit ich ihn nie vergesse. Sie soll mich daran erinnern, dass es doch noch liebevolle Menschen auf der Welt gibt. Doch obwohl ich es mittlerweile ernsthaft in Erwägung ziehe, könnte ich niemals allein zurückkehren. Ich bin nicht mutig genug, um den Menschen, die ich ohne ein Wort verlassen habe, gegenüberzutreten. Ich bin nicht mutig genug, mir eine Wohnung und einen Job zu suchen, einkaufen zu gehen, im Park joggen zu gehen und Leute kennenzulernen, ohne sie mit bissigen Worten sofort von mir zu stoßen. Eigentlich traue ich mich gar nichts.
Warme Arme legen sich auf meine Brust und ein Kopf auf meine Schulter. Ich schließe die Augen und lehne mich in die Berührung. „Kannst du auch nicht schlafen?" Ich schüttel den Kopf. „Das sieht toll aus." Ich weiß, dass er das Bild meint, und finde die ganze Situation mit einem Mal auf eine melancholische Art total absurd, sodass ich überhaupt nicht weiß, wie ich reagieren soll. „Ich will dich nicht verlieren", wispere ich deshalb meine Gedanken in die Stille und merke, wie er mich noch einmal kurz fest drückt, um mich dann loszulassen. Zuerst denke ich, dass er mich jetzt allein lässt, doch dann dreht er den Stuhl zu sich herum und hockt sich vor mich. „Ich auch nicht. Aber ich kann nicht hier bleiben. Ich habe einen Job, eine Wohnung, Freunde! Und das Leben da draußen macht Spaß." Er schluckt und greift nach meinen Händen. „Ich weiß, dass das nach einer Woche eigentlich viel zu viel verlangt ist und kann voll verstehen, wenn du nein sagst. Aber... willst du mit mir kommen?"
„Ich will, aber ich weiß nicht, ob ich kann." Und das ist die Wahrheit. Ich will unbedingt bei Per sein, das ist mir aufgefallen, als ich mir vorhin vorgestellt habe, dass ich mein Bett ab nächster Nacht nicht mehr mit ihm teilen werde. Und natürlich ist es nicht nur dieser eine, zugegebenermaßen etwas seltsame, Punkt. Es ist mehr seine Person, ohne die ich nicht mehr leben will, so kitschig das auch klingt. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas in der Art noch denken und fühlen kann. Aber ich glaube, ich habe mich verliebt.
„Du könntest bei mir wohnen und erstmal langsam gucken, wie es so für dich ist in der Gesellschaft. Du musst ja nicht sofort allen schreiben 'Halloooo ich bin wieder da!!!' Und du könntest deine Kunst veröffentlichen. Das willst du doch eigentlich so gerne." Er kennt mich mittlerweile ziemlich gut, weil er es irgendwie geschafft hat, hinter meine abweisende Mauer zu blicken. Vielleicht habe ich ihn auch ein kleines bisschen von meiner Seite geholfen, die Steine einzureißen.
Ich schlucke und senke den Blick. Heulen ist eine Ebene von Emotionen zeigen, auf der ich noch nicht bin. Und ob ich sie je erreichen werde, ist ebenso fraglich. „Matt?" Er hebt sanft mein Kinn mit einer Hand an und schiebt sie dann auf meine Wange. „Du könntest auch meine Freunde kennenlernen. Die sind alle echt super toll. Ich weiß ja nicht, was du vorher so für Menschen in deinem Leben hattest, aber meine Leute werden dich nicht verletzen. Und ich auch nicht", fügt er leiser hinzu und ich muss lächeln, obwohl ich auch weinen könnte. „Okay", hauche ich. „Okay?" Sein Blick ist ungläubig, aber total glücklich. Ich nicke, obwohl ich nicht weiß, ob das eine gute oder schlechte Entscheidung war. Trotzdem ist sein breites Strahlen, was nebenbei seine niedlichen Grübchen mehr als betont, irgendwie ansteckend. „Du glaubst nicht, wie doll ich mich freue." „Dass du einen dauer-grummeligen Menschen bei dir einziehen lässt?" „Ja!" Mittlerweile kann ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen und ich ziehe ihn hoch auf meinen Schoß, um ihn vorsichtig kurz zu küssen.
„Willst du mit mir zusammen sein?" „Ist das dein Ernst? Also denkst du wirklich, dass das eine Frage ist?" Mein Blick muss verwirrt gewesen sein, denn er lacht leise. „Natürlich will ich das, du Idiot", beantwortet er meine Frage liebevoll und wuschelt mir durch die Haare. „Ach, Matt!" Er lehnt sich vor und bedeckt mein Gesicht mit vielen kleinen Küsschen. Irgendwann trifft er auch meine Lippen und ich lasse mich nur zu gern darauf ein. Jedenfalls bis er sich von mir löst, weil er gähnen muss. „Ich glaube, wir sollten schlafen gehen." Ich schiebe meine Hände unter seinen Hintern und stehe auf, um uns beide ins Bett zu transportieren. Dort angekommen, lasse ich ihn fallen, doch er zieht mich mit sich und so lande ich auf ihm. Mit einem leisen Seufzen kuschel ich mich auf seine Brust und merke zuletzt noch, wie er die Decke über uns zieht und mir einen Kuss auf die Schläfe gibt, bevor ich einschlafe.
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Ich schlage die Augen auf und schließe sie direkt wieder, um die gemütliche Situation noch ein wenig zu genießen. Pers Brustkorb hebt sich langsam auf und ab, woraus ich schließe, dass er noch schläft. Sein Herz schlägt ruhig unter meinem Ohr und ich kann kaum glauben, dass ich schlicht und ergreifend glücklich bin. Ich weiß zwar nicht, was auf mich zukommt und ob ich es bereuen werde, meine Oase in der Natur zu verlassen, aber ich kann ja theoretisch jederzeit zurück. Aber tief in mir drin bin ich der festen Überzeugung, dass das nicht nötig sein wird, solange Per an meiner Seite bleibt.
Mit meinen Fingerspitzen fahre ich leicht über seinen nackten Oberkörper und bin fasziniert davon, welche Wirkung ich selbst im Schlaf auf ihn habe, als ich die Gänsehaut entdecke. Mit einem Lächeln drehe ich meinen Kopf und küsse seine Brust. Dann wandere ich langsam Richtung Hals, während ich merke, dass er aufwacht. Trotzdem lasse ich nicht von ihm ab und bedecke nun sein Gesicht mit Küssen, ähnlich wie er in der Nacht. Unter meinen Lippen verzieht sich sein schönes Gesicht zu einem Lächeln und seine Hände ziehen mich näher an ihn heran. „Ich hab mich in dich verliebt, Per", flüstere ich so leise, dass ich es selbst fast nicht höre.
Er lächelt noch mehr, dann reißt er nach ein paar Sekunden die Augen auf. „Warte, was hast du grad gesagt? Oder habe ich noch geträumt?" Ich werde rot und vergrabe mich auf seiner Brust. „Hmm... da muss ich wohl zu anderen Mitteln greifen." Ehe ich mich versehe, unterliege ich einer Kitzelattacke, die mir die Luft zum atmen raubt. Meine Versuche, mich zu wehren, scheitern irgendwie, und in diesem Augenblick verfluche ich mich dafür, dass ich ihn dazu überredet habe, bei meinem täglichen Workout mitzumachen.
Plötzlich hört er auf und ich öffne vorsichtig die Augen. Ich liege mittlerweile auf dem Rücken und einen Zentimeter über meiner Nase schwebt Pers Gesicht. „Was hast du vorhin gefragt?" Ich schlucke, aber eher, weil ich mich echt schlecht konzentrieren kann, wenn er mir so unfassbar nah ist. „Ähm... ich glaube... Ich hab gesagt, dass ich mich in dich verliebt habe, du Blödmann. Kannst du mich jetzt endlich küssen?" Ohne seine Antwort abzuwarten, schlinge ich meine Arme um seinen Nacken und ziehe ihn zu mir herunter, um meine Lippen auf seine zu drücken. Es schmeckt nach Per.
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Waldgeflüster
Short StoryMatt hasst Menschen. Per trifft durch Zufall auf ihn. Eine Kurzgeschichte (mit unterschiedlich langen Kapiteln). Die Rechte liegen allein bei mir!