ENDE JULI:
Die Tage des Julis waren gezählt, und der Sommer war vollends eingetroffen. Ich hatte mich damit abgefunden, dass ich eine nervige Stimme in meinem Kopf hatte. Das Verhältnis zu meinem Vater war eigentlich nicht mehr existent und mit meiner Mutter redete ich nur noch soviel wie nötig. Ich war einfach zu wütend auf die beiden. Es gab Menschen, die sagten, man müsse das Geschehene hinter sich lassen, loslassen und verzeihen, ich war nicht so einer. Von Cleo fehlte jede Spur. Ich hatte keine Nummer von ihr, keine Adresse. Sie hat mich verraten, dachte ich resigniert.
Es war abends, ich lag schon im Bett, aber vom einschlafen konnte keine Rede sein. Irgendetwas hielt mich wach. Es gab in letzter Zeit zu viele unausgesprochene Worte, zu viel Schmerz hatte ich erfahren, zu viel Leid erlebt. Ich war am Ende, konnte nicht mehr, wollte dich mehr.
Meine Eltern geschieden, meine beste Freundin spurlos in der Schweiz verschwunden. Ich alleine, alleine und verlassen. Alleine nicht ganz, ich bin auch noch da. Du hast mir gerade noch gefehlt. Wäre dir andere Gesellschaft lieber? Vielleicht dein ach so lieber Loki, den du jeden Abend bittest, dass es besser wird, aber nichts geschieht. Halt die Klappe, ich meine es Ernst. Tränen kamen hoch, mein zweites Ich hatte Recht, ich hatte jeden Tag gebetet, hatte gebittet, dass es besser wurde, nichts geschah. Immer soll ich die Klappe halten. Ja schmoll nur, ich habe andere Probleme.
Die Tränen waren nun vollends da, aber je länger ich weinte, desto mehr floss auch meine Wut und mein Schmerz davon, bis ich irgendwann einschlief.
Am nächsten Morgen wachte ich zerknittert auf. Es war Wochenende, das letzte Wochenende vor den Ferien. Ferien, Ferien ohne Urlaub, zu Hause, alleine. Meiner Mutter fehlte das Geld um Urlaub machen zu können, sie war aber auch zu eitel, um meinen Vater nach Geld zu fragen, das Resultat, der Urlaub fiel aus, und meine Mutter arbeitete sechs Wochen durch, und ich, keine Ahnung.
Ich verdrängte meine Gedanken und machte mich frisch, um einigermaßen nach Mensch auszusehen, obwohl es mir eigentlich egal war. Sollten die Leute doch reden.
Danach packte ich meinen Zeichenblock und Bleistifte ein und verließ ohne Frühstück das Haus. Meine Mutter schlief noch, sie hatte gestern Spätdienst und Hunger hatte ich keinen.
Am See angekommen setzte ich mich auf eine Bank und wollte anfangen zu zeichnen.
Als ich plötzlichen in der Nähe Stimmen hörte. Ein kleiner Junge spielte mit seinen Eltern Fußball. Ich spürte, wie ein Stich in meinem Herzen. Eine heile Familie. Fragt sich nur, wie lange noch. Früher hast du auch so gespielt. Ja, früher.
Ich schaute wieder auf das immer noch leere Blatt. Eine heile Familie.
Langsam setzte ich den Bleistift an. Er undeutlich, dann immer genauer konnte man die Konturen des Jungen und seiner Eltern auf dem Blatt sehen. Ich schaute auf und lächelte. Wenn Loki das sehen könnte, dachte ich. Der Gott der Heiterkeit. Das Lächeln wurde breiter, ja er war es, der Gott der Heiterkeit, der einzige Grund für mich, zu lachen, er war der einzige Grund zu leben.
Ich zeichnete neben die drei Personen noch einen Baum, dessen einer Ast sich schützend über den drei ausbreitete. Du wirst melancholisch! Ich weiß, aber dafür ist die Kunst doch da oder? Keine Antwort, dafür rollte aber ein Ball vor meine Füße, um genau zu sein, ein Fußball. Der kleine Junge, er war höchstens sieben, kam hinterher gelaufen um ihn zu holen. Ich hob den Ball auf und warf ihn das letzte das letzte Stück lächelnd in seine Richtung. Anstatt aber, wie ich es erwartet hatte, lief der Kleine nicht zurück, sondern kam direkt auf mich zu.
"Dankeschön", sagte er. "Was machst du denn da?"
Willst du antworten? Er besteht keine Gefahr, so ein kleiner Junge, kann mich nicht verletzen, außerdem sehe ich ihn heute zum Ersten und Letzten Mal."Ich male", antwortete ich ihm.
Er schaute mich aus seinen großen schokoladenbraunen Augen an. "Was zeichnest du denn?" Ich zeigte ihm das Bild. Seine eh schon großen Augen wurden noch größer und ein leuchten machte sich in ihnen breit, welches ich noch nie zuvor gesehen hatte.
"Das bin ja ich da!", meinte er erstaunt. "Das ist voll toll geworden, ich kann nicht so malen."
"Später bestimmt!", versicherte ich ihm. Und, was jetzt? Da hast du dich schön in etwas reingeritten, ich habe dir doch gesagt, dass du ihn ignorieren solltest. Ja, ja.
"Möchtest du es behalten?"
"Leon", rief die Mutter. "Kommst, störe das Mädchen nicht."
Er ignorierte sie und fragte stattdessen mich: "Darf ich wirklich? Meine Mutter hat gesagt, ich darf nichts von Fremden annehmen."
"Ist schon gut, du darfst es gerne haben, es ist ja nichts schlimmes."
Der Junge strahlend und nahm das Bild. "Dankeschön, ich werde es zu Hause gleich aufhängen." Er lief mit dem Bild zurück zu seinen Eltern und übergab es ihnen. Die Eltern schauten mich verwundert an, ich lächelte nur. Du machst Fortschritte. Inwiefern? Du hast soeben eine ganze Konversation geführt. Ich weiß. Und es tat wirklich gut mal wieder zu Reden, zu Lächeln. Bei diesem Jungen konnte ich meine Bindungsangst ablegen, konnte für eine kurze Zeit die Realität vergessen. Ich sollte so etwas öfter tun. Was? Reden. Mit wem? Mit allen. Dann passiert aber wieder das, was dir mit Cleo auch passiert ist, Menschen sind nicht dazu geschaffen glücklich zusammen zu leben, und das weißt du genau.
Ich stand auf, nahm meine Sachen und wollte zurück nach Hause gehen. Dabei musste ich noch einmal an der Familie vorbei. Der Junge winkte mir zu, und ich hatte das Gefühl, als würde dabei etwas grünes in seinen Augen aufblitzen.
DU LIEST GERADE
Am Ende meiner Reise (Loki FF)
Historia Corta(ehemals You, at the end of my journey) Die Eltern ließen sich scheiden, die Freundin zog in die Schweiz und der Glaube an Gott verließ Haley nicht nur langsam, sondern rasend schnell. Sie vertraute niemandem mehr, redete nicht, saß ihre Tage ab, do...