...A letter from you...

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ENDE SEPTEMBER:

Es war Samstag. Die ganze letzte Woche und das Wochenende hatte ich nicht mehr mit Joey geredet. Er hatte zwar noch einmal versucht mit mir zu reden, ich hatte ihn aber abgeblockt, wie immer, das war sicherer. Ich hatte ihn schon viel zu weit an mich rangelassen. Bitte Loki, es muss etwas im Briefkasten sein, von Cleo, von meinem Vater. Geredet hatte ich immer noch nicht mit ihm. Wütend war ich nicht mehr, diese war verraucht. Aber ich hatte Angst vor dem Reden. Vor dem was danach kommen würde.

Meine Mutter war schon weg, wie immer.

Die Schaniere quietschten leicht, als ich den Briefkasten öffnete. Mehrere Briefe lagen dort. Ich nahm sie alle mit und ging in die Küche. Werbung, Rechnung, Werbung, Mahnung. Ich sortierte einen Umschlag nach dem anderen aus, bis ich nur noch einen in der Hand hielt. Ohne Absender. Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch. Der Brief war angeschrieben:

"Liebe Haley,

du bist ein mir ein Rätsel. Den einen Moment bist du freundlich, den anderen stößt du mich wieder weg. Egal was ich tue, ich treffe auf eine Wand. Du hast vor irgendetwas Angst, und ich weiß nicht wovor. Du redest kaum, hast keine Freunde, aber es scheint, als wollest du es auch gar nicht anders. Du bist wie zwei Personen auf einmal, und ich hoffe, dass ich diese zweite Person auch noch kennenlernen kann, darf.
Ich habe begriffen, dass du nicht reden möchtest, also schreibe ich dir und hoffe auf eine Antwort.

Joey

Ich las mir den Text mehrmals durch. Das hatte noch nie ein Junge für mich gemacht. Loki, rief ich. Was soll ich tun? Verdammt, ich habe keine Ahnung. Ich schaute mich um und bemerkte, dass auf dem Tisch Stift und Papier lagen. Ironie des Schicksals. Auf jeden Fall. Ich nahm beides und überlegte.
Lieber Joey, nein, das kann man nicht schreiben.
Hallo Joey, auch nicht!

Joey,
du sagtest, ich könnte reden, wenn ich wolle. Reden kann ich nicht, nicht mehr. Wenn ich rede, kann ich Fehler machen, kann ich nicht korrigieren. Wenn jemand nett zu mir ist, wenn mich jemand anredet, habe ich Angst davor, ich könnte verletzt werden.
Ich habe Angst davor Verantwortung zu übernehmen, Angst davor jemandem etwas schuldig zu sein. Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende, zu oft wurde ich verraten, von meinen Eltern, meiner besten Freundin.
Haley

Auch dieser Brief landete im Mülleimer. Letzten Endes schrieb ich:

Danke, aber ich bin noch nicht soweit.
Haley

Ich schaute auf, Montag würde ich ihm das in die Tasche tun, Montag.
Haley, das klingt gar nicht nach dir. Ich weiß, nur du hast selber gesagt, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Aber er ist schonmal umgezogen, er kann es auch ein zweites Mal tun. Er hat mir geschrieben, dass hat sonst noch niemand getan. Du hast aber auch noch nie einen Jungen so weit kommen lassen. Ich habe doch gar nichts gemacht. Eben, dem Rest, obwohl man es kaum Rest nennen kann, hast du unmissverständlich klar gemacht, dass du nicht willst, nur Joey eben nicht. Weißt du Akira, vielleicht will ich ja, wenn da diese Scheiß Angst nicht wäre. Ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde über meinen Schatten springen zu können. Dann krame den anderen Zettel wieder aus! Meinst du? Ich will ihm aber auch nicht eine vorheulen. Ich dachte, es interessiert dich nicht was andere denken. Ja, ne, ich gehe lieber auf Nummer sicher. Wie du meinst.

Akira war still. Den ganzen restlichen Tag sagte sie nichts mehr. Ich hatte mich so an sie gewöhnt, an ihr loses Geplapper, dass das Haus auf einmal verlassen wirkte.

Ich ging nach oben in mein Zimmer, wollte anfangen zu zeichnen, aber irgendwie konnte ich mich nicht konzentrieren. Meine Gedanken schweiften immer zu einem Paar grau-grünen Augen ab. Sie schweiften ab, zu einem Jungen, wie er am Schreibtisch saß und schrieb. Er hatte eine schwungvolle, Jungen untypische Handschrift. Ich stellte mir vor, wie er überlegte, was er als nächstes schreiben würde, und dabei den Füller immer wieder gegen die Lippe tippte. Wie sein Blick ins leere ging. Ich beugte mich wieder nach vorne, und nahm den Bleistift in die Hand. Endlich hatte ich das Motiv gefunden.

Nachdem der letzte Bleistiftstrich auf dem Blatt war, klebte ich mir das Bild an die Wand. Es war das Erste Bild, was ich aufhängte. Das erste Bild eines Jungen, der mir vielleicht nicht ganz unwichtig war.

Akira meinte, es könne nicht ewig so weitergehen. Sie hatte Recht, dass Zeichnen war mein Leben. Ich musste es nicht mehr verstecken. Ich mochte vielleicht Angst vor dem Reden haben, vor dem Zeichnen nicht. Ein Bild nach dem anderen hängte ich an meine Wände, an meine Tür. Es waren kaum fröhliche Bilder dabei, eher nachdenkliche bis traurige, aber die Bilder waren ich, sie spiegelten mich wieder, in einer Zeit, wo die Kunst meine einzige Beschäftigung war.

Zufrieden schaute ich mich um. Mein Blick schweifte von Bild zu Bild und blieb zum Schluss bei Joey hängen. Ich lächelte. Vielleicht bin ich ihm auch nicht ganz egal.

Abends lag ich noch lange wach im Bett. Ich hatte das Licht gedimmt noch an. Immer wieder schaute ich mich um, und immer wieder wieder war ich erstaunt über die Masse die ich erschaffen hatte. Ich, dachte ich. Ich ganz alleine.

Ich setzte mich hin, die Beine angezogen und starrte an die Decke. Irgendwo da draußen bist du, gibst mir Kraft, gibst mir Mut. So ein Gott, der eine lange Zeit mein einziger Halt war, und es zum Teil immer noch ist, kann gar nicht der böse sein. Immer wenn ich an dich denke, bemerke ich ein Lächeln auf meinem Gesicht. Du schaffst das, was kein anderer schafft. Du machst mich glücklich, zu einem Zeitpunkt wo mir einfach nur nach weinen zumute ist. Du sagst nichts, aber du vermagst es doch, dass ich mich besser fühle. Danke dafür, danke für alles, Loki.

Ich drehte das Licht ganz herunter und legte mich wieder hin. Irgendwann sank ich in einen traumlosen, aber schönen Schlaf.

Am Ende meiner Reise (Loki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt