4. Kapitel: Ausflüge

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4. Kapitel: Ausflüge


Mit großen Schritten eilte Draco in Richtung Eiffelturm. Er war spät dran. Kein Wunder, fluchte er in Gedanken, zu dieser unmöglichen Zeit. Warum war er nochmal der Meinung gewesen, dass er Astoria unbedingt jetzt da hoch bringen wollte? Weil er zu faul war, stundenlang anzustehen? Teil­weise. Vor allem aber hatte er Astoria etwas Besonderes zeigen wollen, etwas, was nicht jeder Paris-Tourist erleben durfte.
Wie er gehofft hatte, war um den Eiffelturm kaum eine Menschenseele zu sehen; lediglich ein Pär­chen entfernte sich torkelnd in Richtung U-Bahn-Station und eine junge Frau stapfte gähnend, die Arme um den Körper geschlungen, im Kreis. Astoria. Als er näher kam, sah Draco, dass sie diesmal schmal geschnittene Jeans zu einer dünnen, langärmeligen Bluse trug, was ihre schlanke Figur be­tonte. Um den Hals hatte sie locker einen Sommerschal geschlungen.
„Guten Morgen", sagte Draco, als er sie erreicht hatte. Sie gähnte zur Antwort, dann erwiderte sie grinsend: „Morgen?"
„Ich kann dir ja schlecht eine gute Nacht wünschen", verteidigte Draco sich lachend.
„Auch wieder wahr", musste sie zugeben. „Also?"
„Was also?"
„Also los. Wie kommen wir hoch?"
Anstelle einer Antwort zog Draco seinen Zauberstab und einen winzigen Besen aus der Hosenta­sche, vergrößerte letzteres und bot ihn Astoria dar wie ein Schwert zum Treueeid. „Darf ich bitten?"
Sie sah aus, als wisse sie nicht, ob sie lachen oder schreien sollte. Skeptisch beäugte sie den Besen. „Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder?"
„Doch, warum nicht?" Einem plötzlichen Impuls folgend fügte er hinzu: „An Höhenangst kannst du ja nicht leiden, sonst wolltest du nicht da hoch. Also komm." Er zwinkerte ihr schalkhaft zu, schwang sich auf den Besen und beobachtete, wie sie tatsächlich hinter ihm Platz nahm und die Arme um ihn schlang. „Trägt der uns beide?"
„Klar. Halt dich fest, okay?" Ihr Griff um seine Taille wurde fester, dann stieß er sich vom Boden ab und langsam schwebten sie höher und höher. Draco lenkte den Besen zur obersten Plattform, sorg­sam auf die Richtung bedacht. Mit einem einfachen Zauber entfernte er das Gitter, welches verhin­dern sollte, dass jemand von der Etage sprang. Hinter sich hörte er Astoria kichern. Sorgsam manö­vrierte er den Besen zur Plattform und sie landeten sanft.
„Und jetzt", kommandierte Draco lächelnd, „einmal tief einatmen, umdrehen und den Ausblick ge­nießen."
„Okay." Astoria tat, wie ihr geheißen: Mit geschlossenen Augen sog sie tief Luft ein, wandte sich schwungvoll auf dem Absatz um, öffnete die Augen wieder – und stockte. „Wundervoll", seufzte sie nach einigen Sekunden, alle Müdigkeit plötzlich vergessend. „Wirklich wundervoll."
„Nicht wahr." Erfreut über ihre Reaktion trat Draco neben sie und folgte ihrem Blick. Der westliche Teil von Paris lag noch in absoluter Dunkelheit, nur erleuchtet von Straßenlaternen und Scheinwer­fern. Im Osten zeichnete sich bereits die Dämmerung ab, im Zwielicht des allerersten orangefarbe­nen Lichtes erschien die Stadt so magisch wie zu keinem anderen Zeitpunkt. Draco kannte den An­blick bereits, doch nur von seltenen Ausflügen. So schön er war, allzu oft konnte er sich zu dieser unmenschlichen Zeit nicht aus dem Bett quälen.
Mithilfe einer der Tafeln identifizierten Astoria und Draco die Silhouetten Pariser Sehenswürdigkei­ten. Derweil verstrichen die Minuten und die Sonne stieg über der Stadt auf. Der weiße Stein, aus dem der Großteil der Gebäude errichtet war, leuchtete gelb und rot im Licht. Astoria blinzelte gegen das grelle Licht. „Es ist wirklich phantastisch, Draco", flüsterte sie. „Danke."
Er gab keine Antwort, legte nur den Arm um sie und beobachtete den Sonnenaufgang. Nach einer Weile lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. „Ich habe immer vom Eiffelturm geträumt", erzählte sie ihm leise. „Als ich klein war, wollte ich unbedingt meinen ersten Kuss hier oben bekommen." Aus den Augenwinkeln sah Draco zu ihr hinunter. Warum erzählt sie mir das jetzt?, fragte er sich unwillkürlich. Kurz erwiderte sie seinen Blick und lachte. „Schau nicht so, Draco", sagte sie la­chend, „jedes Mädchen hat seine Prinzessinnenträume."


Sechs Uhr war schon verstrichen und die Sonne vollständig aufgegangen, als Draco die Stille brach: „Wir müssen langsam weg hier."
„Hmmm", murmelte Astoria und bewegte leicht den Kopf an seiner Schulter, „nur noch ein paar Minuten. Es ist so schön hier."
Da musste Draco ihr zustimmen, doch langsam wurde er unruhig. „Schon", gab er zu, „aber wir müssen auch noch wieder runter und es wird immer heller."
„Jaaaa, du hast ja recht." Draco beobachtete, wie sie den Anblick in sich aufsog und sich dann vom morgendlichen Paris abwandte. „Okay, los", sagte sie, hob den Besen auf und hielt ihn ihm hin. „Fliegen wir runter."
„Moment noch." Draco zückte seinen Zauberstab und richtete ihn zuerst auf sich, dann auf Astoria. „Nur zur Sicherheit", erklärte er ihr und belegte sie beide mit Desillusionierungszaubern. Kurz dar­auf erhoben sie sich in die Lüfte und nachdem Draco das Gitter an seinen Platz zurückgezaubert hatte, schwebten sie zur Erde zurück.
„Vielen Dank, Draco", sagte Astoria strahlend, als sie beide wieder sichtbar und der Besen verklei­nert in Dracos Hosentasche verstaut waren.
„Sehen wir uns demnächst?", fragte Draco anstelle einer Antwort, „Oder hast du zu viel zu tun?"
Astoria schüttelte den Kopf: „Nein, habe ich nicht. Schick mir einfach deine Eule, okay?"
„Mach ich."
„Gut. Dann noch viel Erfolg bei der letzten Prüfung und ... bis bald." Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, drehte sich um und entfernte sich – vermutlich in Richtung U-Bahn-Station.
„Bis bald", rief Draco ihr nach. Lächelnd drehte sie sich noch einmal zu ihm um und winkte über die Schulter. Dann zog sie ihren Schal enger um sich und beschleunigte ihre Schritte. Einen langen Moment sah Draco ihr nach, bevor auch er sich abwandte und sich auf den Weg zum Apparierpunkt machte. Zurück daheim würde er wieder ins Bett gehen. Ob er nochmal schlafen können würde? Hoffentlich, entschied er, früh genug war es allemal.

Eine Hexe in ZivilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt