Shadow 1

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"Haha, guckt mal, da kommt unser Stiftchen, na? Heute schon was gezeichnet? Und schon Vampire gesehen? Achtung, ich glaub da hinter dir steht sogar einer, los guck schnell!"

Solche Äußerungen bekam ich immer zu hören, wenn ich über die Flure unserer Schule lief. Ich ignorierte sie einfach. Ich hasste die Schule über alles. Diese ganzen Idioten mit dem IQ einer Apfelsine musste ich jeden Tag ertragen. Ich würde viel lieber Zuhause sitzen und zeichnen.

Ich liebte es zu Zeichnen und das war auch so ziemlich das Einzige, was ich gut konnte. Meine Noten waren nicht grade die Besten und ich war ziemlich schusselig. Meine Eltern waren vor ein paar Jahren bei einem Autounfall gestorben und seitdem wohnte ich alleine in unserem Haus. Eigentlich wollte mich das Jugendamt in ein Heim stecken, aber irgendwie hatte ich es geschafft, sie zu überzeugen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass der Typ, der damals zuständig gewesen war, sich irgendwie in mich verguckt hatte. Bäh, der war mindestens doppelt so alt gewesen wie ich, ich bekam heute noch eine Gänsehaut, wenn ich daran dachte.

Ich seufzte, ging zu meinem Spind, legte meinen Rucksack hinein und nahm meine Zeichensachen heraus. Es war Freitag und ich hatte in den letzten beiden Stunden Kunst, zum Glück. Die Leute in meinem Kurs ignorierten mich, sie redeten nicht mit mir und keiner von ihnen warf mir komische Blicke zu. Ich war für sie wie ein Schatten, unsichtbar und unwichtig.

Wir machten grade Architektur in Kunst, zugegeben es war ziemlich langweilig. Unsere Lehrerin hatte in der letzten Stunde verkündet, dass wir anstatt einer Klausur einen 10 Seiten langen Aufsatz über verschiedene Dinge, die zur Architektur gehörten schreiben sollten, mit Skizzen und Fotos und so weiter.

Ich hatte sie überredet bekommen, dass ich über Gargoyles schreiben durfte, auch wenn Gargoyles eigentlich nur Verzierung an den Außenseiten der Gebäude waren und kein richtiges architektonisches Element. Und jetzt saß ich die ganze Stunde alleine an einem Tisch und begann, einen Gargoyle zu zeichnen. Als es endlich klingelte, hatte ich den Kopf und den Rumpf fertig, ja ich brauchte lange zum Zeichnen, ich war eine kleine Pefektionistin.

Ich stopfte meine Sachen in meine Tasche, holte meinen Rucksack aus dem Spind und machte mich auf den Weg nach Hause. Es regnete in Stömen und es dauerte nich lange, bis ich komplett durchnässt war. Wenigstens war mein Rucksack wasserdicht und meine Zeichnungen blieben trocken.

Zuhause angekommen, nahm ich erstmal eine lange heiße Dusche. Ich zog mir gemütliche Klamotten an und machte mir etwas zu essen. Dann holte ich meinen Rucksack und setzte mich an die Hausaufgaben.

Hausaufgaben waren ein weiterer Grund, warum ich die Schule nicht mochte, wir bekamen immer viel zu viele auf. Vor allem jetzt, ich würde bald meinen Abschluss machen und alle Lehrer meinten, jetzt käme der Endspurt und es täte uns gut Tonnen von Hausaufgaben zu machen. Wenigstens konnte ich Musik hören und niemand starrte mich an, als wäre ich ein Haufen rosafarbender Schleim.

Als ich fertig mit den Hausaufgaben war, hatte es aufgehört zu regnen und ich setzte mich mit meinem Zeichenblock in meinen Erker. Ich kuschelte mich in die vielen weichen Kissen und zeichnete den Gargoyle für mein Kunstprojekt weiter. Die Zeit vergaß ich dabei völlig und so kam es, dass ich kurz bevor ich fertig war einfach mit dem Stift in der Hand einschlief.

Am nächsten Morgen wachte ich in meinem Bett auf. Ich gähnte und kuschelte mich noch eine Weile an meine Decke, mein Bett war einfach so schön weich, bis mir einfiel, dass ich ja gestern beim Zeichnen des Gargoyles eingeschlafen war. Und dass ich folglich in meinem Erker geschlafen hatte. Wie zur Hölle kam ich dann in mein Bett? Eigentlich war ich kein Schlafwandler, jedenfalls wusste ich nichts davon.

Ich stand auf und mein Blick fiel auf den Zeichenblock, der geöffnet auf meinem Nachttisch lag, der Stift daneben. Was zum-? Ich hätte schwören können, dass ich beim Zeichnen eingeschlafen war.

Ich nahm ihn und suchte nach dem Bild vom Gargoyle, aber es war nicht da. Ich durchblätterte den ganzen Block mindestens fünf Mal, aber von dem Bild fehlte jede Spur.

Ich seufzte und ging in die Küche, um mir eine heiße Schokolade zu machen. Ich aß Frühstück und machte den ganzen Tag über nicht wirklich viel. Ich hörte Musik, suchte noch einmal vergebens nach dem Bild, ich hatte nicht viel Lust es nochmal zu zeichnen, aber es tauchte nicht wieder auf.

Also setzte ich mich Abends notgedrungen wieder in meinen Erker und fing an, es wieder zu zeichnen. Dieses Mal ließ ich aber das grelle Licht von einer Stehlampe aus dem Wohnzimmer brennen, damit ich nicht einschlief. Außerdem stellte ich mir einen Wecker für 11:00 Uhr, um sicherzugehen, dass ich von alleine in mein Bett kam.

Doch es fühlte sich anders an, das Bild erneut zu zeichnen, es ging mir viel leichter von der Hand, als würde ich es einfach abmalen. Dementsprechend war ich auch relativ schnell damit fertig. Ich sah das Bild verwundert an, dann fing es plötzlich an, vor meinen Augen zu verblassen.

"Was zum-?!", rief ich, ich konnte mir keinen Reim darauf machen, mit dem Bleistift war alles in Ordnung, den hatte ich schon die ganze Zeit benutzt und an dem Block konnte es auch nicht liegen. Und nach ungefähr einer Minute war das Bild komplett verschwunden. Ich starrte geschockt auf die Leere Seite, bis ich aus einer Ecke meines Zimmers ein Lachen hörte.

Ich schrie auf und drehte meinen Kopf in Richtung des Geräuschs und dann schrie ich noch einmal. Dort stand ein Gargoyle. Der verdammte Gargoyle, den ich grade gezeichnet und dessen Bild von meinem Block verschwunden war. Nur schien er aus Stein zu bestehen und nicht nur aus Linien.

Und er lachte eindeutig über meinen Gesichtsausdruck.

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