Kapitel 6

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Christoph und ich waren erst sehr spät in der Nacht nach Haus gekommen. Die anderen schliefen bereits. Wir waren nach oben geschlichen. Doch irgendwas ließ mich nochmal nach unten gehen. Schnurstracks zum Wohnzimmer. Sledge wippte leise in dem Schaukelstuhl. Sein Kopf war zur Seite gefallen. Das war bestimmt unbequem.  Aber er weigerte sich woanders zu schlafen und was Sledge wollte, musste so gemacht werden. Er saß immer da. Tag und Nacht. Sein Stock lag auf seinen Knien. Die Hände pressten ihn fest. Snow schlief auf dem ausgezogen Sofa unter zwei Decken. Mein Vater lag ausgestreckt auf einen Feldbett der Nachbarn. Mir waren die Luftmatratzen ausgegangen. Eine lag in Finns Zimmer für Gingerbread. Auf der großen lagen Cookie, Rudolph, Dolly und Teddy zusammengequetscht. Wir räumen jeden Abend den Esstisch in die Küche. Dort stellen wir die Stühle auf die Küchenzeile und der Tisch wurde schräg davor gestellt. Das reinste Chaos. Eigentlich hasste ich Chaos zutiefst, aber anders bekam ich nicht alle unter und irgendwie wollte ich es auch nicht anders. Ich wollte sie hier bei mir wissen in meinen Traum. Jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, sie ins Hotel zu schicken, hatte ich Angst, dass sie aus meinem Traum verschwinden würden. Ich mochte diese Leute, die mein Unterbewusstsein erschaffen hatte. Deshalb verstand ich nicht, warum es nicht einfach genug Betten erschaffen konnte. Dann müsste ich mir darum gar keine Gedanken machen. Ich schaute sie nacheinander an. Snows Finger umfassten die obere Decke. Sie zerknitterte sie leicht. Alle schliefen unruhig. Ihre Augen zuckten hin und her. Mein Vater war die Decke heruntergerutscht. Sein Kopf bewegte sich hin und her. Er zappelte. Versuchte jemand wegzustoßen, machten seine Bewegungen auf mich den Eindruck. Ich ging hinüber und deckte ihn zu. Sofort strampelte er sie sich wieder vom seinem Körper. Cookie und Dolly klammerten sich an ihre Männer. Rudolph umklammerte Cookie ebenso. Beide huschten Angst über Gesicht. Zwischen ihnen lag ihre Decke. Gegen die Cookie ihr Gesicht drückte. Teddy trat hin und wieder mit einem Fuß oder schlug mit der Hand. Die rechte hielt Dolly fest, die sich an ihn krallte. „Die Alpträume.“, flüsterte sie im Schlaf und eine Träne lief ihr über die Wange. Ich spürte einen Arm auf meiner Schulter. Aus neuster Gewohnheit küsste ich Christoph. „Komm bitte ins Bett. Es ist so kalt ohne dich. Es sind alle versorgt.“, flüsterte er. Gingerbreads Schrei ließ mein Herz stehen bleiben. Auf einen Schlag waren alle wach. Rudolph und Cookie waren sofort auf den Beinen und im Kinderzimmer. Ich war vor Schreck erstmal erstarrt. Aber Christoph lief für mich in Finns Zimmer. Schließlich schaltete sich endlich mein Mutterinstinkt ein und bewegte mich. Finn saß auf seinem Bett. Christoph eben sich. Er schien etwas verschlafend, aber nicht verängstigt zu sein. Trotzdem legte ich meinen Arm um meinen Sohn und zog ihn an mich. „Alles gut bei dir?“ „Ja, Mami“, antwortete er eher pflichtbewusst. Er legte seinen Kopf an mich und gähnte herzhaft. „Ich glaub, sie hatte einen Alptraum.“ Dem Anblick nach, war mir das bereits bewusst. Gingerbread schluchzte in Armen ihrer Mutter und zitterte. Rudolph strich ihr beruhigend über den Rücken. „Der Schattenmann wollte mich fressen.“ „Das war nur ein Traum, Küchlein.“, meinte Cookie „Der Schattenmann kann dir nichts tun. Außer dich erschrecken.“, erklärte Rudolph ihr. In dieser Nacht waren ich und Christoph nicht allein. Finn lag zwischen uns. Natürlich hatte Gingerbread nach ihrem Alptraum  bei ihren Eltern schlafen wollen. Aber auch Finn wollte plötzlich nicht mehr allein schlafen. So schlief jetzt Snow in Finns Bett. Jedoch bat sie dass, jemand würde mit ihr das Zimmer teilen. Mein Vater übernahm den Job. Dolly und Teddy gingen aufs Sofa, damit Gingerbread zu ihren Eltern konnte. Der Schlaf fand mich trotz des kurzen Chaos vor zu Bett gehen schnell.

Ich saß an einer Werkbank und schnitzte eine Figur. Langsam formten sich die Gesichtszüge meines Vaters  ins Gesicht des Figürchens, die immer mehr einer Weihnachtselfe ähnelte. Ich hörte fröhliches Kinderlachen und unsere Elfen sangen. Meine Lippen bewegten sich auch zum Lied. Eine Person trat an meine Werkbank. Denn ein Schatten fiel darauf. Wieder dieses unheimliche Kichern, das mich durch den ganzen Traum verfolgte. Die Person erhob die Hand. Die Schattenhand wurde dreidimensional und griff nach dem Figürchen in meinen Händen. Ich erschreckte so sehr, dass ich sie fallen ließ. Ihr brachen die Ohren ab und dann lag sie vor mir. Schattenfinger zogen sie in die Dunkelheit. Ich blickte mich ängstlich um. Kaputte Spielzeug und verschimmeltes Gebäck lag auf einen abgewetzten Fellmantel. Ein Teddy, mit herausgerissenen Innenleben schaute rebellisch zu mir herauf, eine Puppe, mit Riss im Porzellangesichtchen liefen Tränen übers Gesicht. Mein Figürchen landete dort ebenfalls. Ich griff nach ihr und steckte sie in die Tasche. Die anderen Sachen raffte ich mit Fellmantel zusammen und presste sie gegen meinen Körper. „Ihr bekommt sie nicht.“, sagte ich aus irgendeinen Grund, ohne den Zusammenhang zu begreifen. Ich rannte los, als das Kichern zu einem Knurren wurde. Die Schatten huschten über die Wände. Schattenhände wollten mich packen. Ich erkannte Porträts an diesen Wänden. Lauter ältere Männer mit grauen oder weißen Bärten in Fellmäntel gehüllt. Ich lief genau auf eine kahle Stelle zu. Sackgasse. Die Schatten waren verschwunden. An der Stelle, vor der ich stand, war nur ein leerer Bilderahmen mit Weihnachtsmotive. Kinder, die Geschenke verschenkten, ein Schlitten. Darunter ein Schild: Christoph Claus. Da tauchte sein gemaltes Bild vor mir auf.  Er lächelte mich an und im Zeitraffer alterte er bis sein Abbild den vorherigen ähnlich sah. Ein freundlicher älterer Mann mit strahlenden Augen und Lachfalten. Ich liebte seine Lachfalten und das Alter ließ sie noch mehr in den Vordergrund treten. Neben sein Gemälde tauchten mehr und mehr Bilder auf, die die Zyklen von Baby zum alten Mann durchliefen. Dann zerrieselte Christophs Gesicht. Genau wie das Gesicht seines Vaters neben ihm. Das Kichern wurde lauter. Die entstandenen Bilder fielen von den Wänden und Dunkelheit kroch mit jedem abgefallenen Porträt auf mich zu. Die Porträts neben Mr. Claus begannen sich bewegen. Sie sahen mich an. Sie traten aus ihren Rahmen heraus und gingen der Dunkelheit entgegen. Ihre Körper wirkten gemalt, und trotzdem hatten sie einen festen Körper. Der Mann, der am nächsten zu Mr. Claus abgebildet gewesen war, blieb kurz stehen. „Sie benötigten deine Hilfe, Elfentochter. Verwehr sie ihnen nicht.“ Dann schreckte ich aus dem Schlaf und musste das Licht einschalten. Ein Schatten huschte augenscheinlich durch die Tür. Meine beiden Männer hatte ich nicht geweckt. Finn lag etwas schräg im Bett. Sein Kopf stieß an Christophs. Ich sah ihnen die restliche Nacht beim Atmen zu.

Der Weihnachtsmann, den ich erträumteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt