Kapitel 13 - Geschäfte

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< ACE >
(Thomas Barbusca)

Am darauffolgenden Tag geschieht nicht mehr allzu viel. Unser Lehrer kündigt eine Fahrt nach Paris an, die aber noch nicht feststeht, weshalb mein Interesse dafür nicht besonders hoch ist. Auch die anderen haben besseres zutun, als eventuelle Zimmerpartner festzulegen. Für uns ist ohnehin klar, dass wir nur zu viert in ein Zimmer ziehen würden - oder immer zu zweit, je nachdem, wie es passt. Da wir nur acht Leute pro Klasse sind, fahren die anderen Klassen mit, aber mit denen haben wir nichts zutun. Bloß Aya macht sich kurz Sorgen, weil sie immerhin ein Mädchen ist, und dementsprechend nicht unbedingt zu uns Jungs darf. Aber wenig später hat sie auch wieder andere Dinge im Kopf und redet mit Fynn über Football.

Der Schultag vergeht schnell und ereignislos. Jessica und Lucy sind recht wortkarg, mein Vater ist arbeiten und meine Mutter ist dabei, Geschirr zu zählen und aufeinander abzustimmen für morgen. Aus diesem Grund verziehe ich mich auf mein Zimmer und schalte wahllos irgendeinen Film aus meiner Liste auf Netflix an. Call me by your name. Wie der in meine Liste gekommen ist weiß ich nicht, es stellt sich schlussendlich allerdings als recht schöner Film heraus. Weil es erst Nachmittag ist, schwanke ich hin und her, ob ich lieber zum siebten Mal Sherlock schauen oder meine Schulaufgaben machen soll. Ich entscheide mich für Sherlock und damit gegen mein inneres Vorzeigekind.

Gegen 19 Uhr kommt Jessica kurz rein. Sie ist ziemlich blass und hat sich in eine Decke eingewickelt, obwohl es ziemlich warm ist. „Ace", krächzt sie, und klingt dabei wie eine alte Hexe aus den Märchen. „Ich kann dich morgen nicht fahren. Bin krank."
Irritiert nicke ich einfach, und spüre Besorgnis in mir aufsteigen. Ist sie nicht vorhin noch topfit gewesen? Oder hat sie deshalb so wenig gesprochen? Jessica geht wieder, und schließt zu meiner Freude meine Zimmertür hinter ihr. Sie ist der einzige Mensch im Haus, der das tut. Vermutlich, weil sie ebenso genervt ist, wenn die Tür offen steht, wie ich.

Jetzt bringt mir das aber nichts, weil ich ohnehin aufstehen muss. Ich muss irgendeinen finden, der mich morgen zu den Jungs fährt und noch rechtzeitig vor dem Essen wieder abholt. Da meine Eltern abends meist im Wohnzimmer sitzen führt mich mein erster Weg dorthin. Ich werde durch Stimme aufgehalten. Die kommen aus dem Esszimmer, dessen Tür nur angelehnt ist. Vorsichtig trete ich näher heran, und versuche zu erkennen, wer dort ist:
„Wenn wir 56, 58 und 60 auch abreißen haben wir genug Platz, um den Parkplatz der Mall zu errichten", kann ich die Stimme meiner Mutter hören. Ich entscheide gerade, einzutreten, als eine fremde Frauenstimme antwortet: „Ein Parkhaus wäre weitaus effizienter als ein Parkplatz. Und wohin mit den Bewohnern der Häuser? Wir haben ja schon keinen Platz für die Familien in 54... Wir können nicht alle auf die Straße setzen."

Nun zögere ich. Das Gespräch scheint beruflich wichtig zu sein und eigentlich möchte ich meine Mutter nicht unterbrechen. Dennoch klopfe ich leicht an die Tür, und warte darauf, dass ich reingelassen werde. Zumindest soviel Abstand behalte ich. Meine Mutter antwortet mit einem einfachen „Herein", und ich schiebe die Tür auf. Fragend sehen die beiden Frauen mich an. Vermutlich haben sie mit meinem Vater gerechnet oder mit Jessica, die sich ab und an für die Geschäfte interessiert und mitredet. Ich grüße die Fremde kurz, dann wende ich mich an meine Mutter: „Jessica ist krank", erkläre ich kurz. „Sie kann mich morgen wahrscheinlich nicht fahren, aber anders komme ich nicht zu Mike und den anderen."

„Ich kann dich von der Schule abholen und hinbringen. Ich muss dich aber vor dem Abendessen wieder abholen", sagt meine Mutter und lächelt mich an. In ihrem Blick liegt Mitleid und ich frage mich, warum sich alle so seltsam verhalten, wenn es um die Jungs geht. Ist es wegen Marc? Vielleicht. Ohne nachzudenken nicke ich. „Danke, Mum. Ich geh' dann jetzt wieder hoch. Auf Wiedersehen, Mrs..." Ich sehe die Frau fragend an. Sie schenkt mir ein liebes Lächeln: „Jones. Du kennst meinen Jüngsten, Fynnley, nicht wahr?"
Erschrocken reiße ich für Augen auf. Nach einem Blick zu meiner Mutter, die beinahe unmerklich den Kopf schüttelt, entspanne ich mich äußerlich wieder und zwinge mir ein Lächeln auf: „Ja, wir sind... Befreundet. Freut mich, sie kennenzulernen, Mrs Jones. Auf Wiedersehen!"

So schnell es geht ohne aufzufallen verlasse ich das Esszimmer und haste die Treppe hoch in mein Zimmer. Wenn sie etwas mitbekommt sind Fynn und ich am Ende.
Der Abend geht genauso schnell rum wie die anschließende Schulzeit am nächsten Tag. Ich albere wie immer mit den anderen herum, versuche in Mathe irgendwie mitzukommen, und denke darüber nach, was meine Mutter und Mrs Jones am Vortag besprochen haben. Meinen Freunden sage ich nichts davon, denn ich bin mir sicher, dass die Pläne noch nicht publik gehen sollen. Als es endlich klingelt verlasse ich mit Fynn das Schulgebäude. Ich habe ihm erzählt, dass meine Mutter mich abholt, weshalb wir uns in ihrem Sichtfeld zum Abschied umarmen. Ein paar Sekunden zu lang als normale Freunde es tun, aber nicht zu lang, als dass die restlichen Schüler Verdacht schöpfen.

Dann steige ich zu ihr in den Wagen auf den Beifahrersitz, und wir fahren schweigend los. Dass ich in meiner Schuluniform stecke dürfte zwar zu einigen Neckereien führen, aber sonst kein Problem darstellen. Dennoch bin ich nervöser als sonst, als ich den Wagen verlasse. Meine Mutter hält mich kurz auf: „Ace? Wenn sie dir irgendetwas antun wollen, ruf direkt über den Notfallknopf an, klar? Du weißt nicht, wie sie drauf sind."
Irritiert nicke ich, und gehe dann fort. Sie ist ja noch schlimmer als Jessica. Das denke ich zumindest so lange, bis ich vor der alten Tür zum Komplex stehe und mein Blick auf die Hausnummer fällt. Und dann wird mir einiges klar.

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