Kapitel 3 - Skateboard

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< Fynnley >
(Griffin Gluck)

Aufmerksam höre ich meinem Sitznachbarn zu. Unser Klassenlehrer versucht vorn, die letzte Stunde für diesen Schultag zu führen. Wir sind nur acht Schüler, aber irgendwie schaffen wir es, so laut zu sein, wie dreißig Jugendliche auf einmal. Luke ist in den letzten Stunden immer gesprächiger geworden. Von seiner Familie redet er noch immer nicht, aber wir belassen es dabei. Auch Aya und Ace scheinen langsam aufzutauen. Sie geben tatsächlich ein süßes Paar ab, auch wenn sie nicht zusammen sind und sich erst seit heute kennen. Ich habe mir längst vorgenommen, sie zu verkuppeln.

Mit den anderen Mädchen haben wir noch gar nicht gesprochen. Ich habe mir nichteinmal ihre Namen gemerkt, obwohl wir in der ersten Stunde eine Vorstellungsrunde gemacht haben. Mein Bruder hat mir geraten, mir gute Kontakte zu suchen. Leute mit Geld und Einfluss. Auch meine Eltern wollen, dass ich zu den Coolen gehöre, zu denen, die jeder anhimmelt. Da habe ich grundsätzlich auch nichts gegen, an der Middleschool war es nicht anders. Aber zumindest im ersten Jahr will ich einfach nur etwas Ruhe. Es genügt mir schon, wenn ich ein paar Freunde habe, mit denen ich lachen kann.

Es kommt mir manchmal so vor, als würden sich hier alle nur wegen des Geldes anfreunden. Besonders, wenn die Familie viel Einfluss hat, bekommt man mediale Aufmerksamkeit, sobald der Nachwuchs in einer Beziehung steckt, und das bedeutet noch mehr Ruhm. Es ist ein stummer Wettkampf unter den Familien, in den die Kinder erbarmungslos mit hineingezogen werden. Wie ein unaufhaltbarer Strudel, der alles und jeden verschlingt. Ace hat es noch vergleichsweise gut. Er hat seine Kindheit entspannt an einer gewöhnlichen Schule verbringen können. Diese Highschool muss für ihn Hölle und Paradies gleichzeitig sein.

Luke verstummt, als unser Lehrer uns streng ansieht. Niemand nimmt ihn ernst, aber schlechte Noten kann sich auch keiner erlauben. Aya verdreht die Augen, als sie nach vorn an die Tafel gerufen wird. Ich beobachte abwesend, wie sie die Aufgabe mit Leichtigkeit löst, und zu uns zurückkehrt. Es scheint, als wäre Mathe für sie bloß eine lästige Fliege: keine große Gefahr, aber jedes Mal nervig, wenn sie dir um den Kopf schwirrt. Bei ihr genügt eine einfache Handbewegung, um diese Fliege zu vertreiben. Bei mir hilft nicht einmal Insektenspray. Ich vermeide jeglichen Blickkontakt mit dem Lehrer, als er sich sein nächstes Opfer raussucht.

Stattdessen tue ich so, als würde ich angestrengt rechnen, und beuge mich über mein Buch. Allein das ist schon teurer gewesen als das ganze Leben eines Normalverdieners. Zumindest kommt es mir so vor. Eines der Mädchen wird aufgerufen. Auch sie scheint keine Probleme zu haben. Bin ich der einzige, der das Thema nicht versteht? Hilfesuchend sehe ich zu Ace, der nur ratlos mit den Schultern zuckt, und ebenfalls nicht Richtung Lehrer schaut. Es beruhigt mich tatsächlich ein wenig, dass ich scheinbar nicht der einzig Dumme im Raum bin. Aber auch nur wenig. Immerhin hat Ace zuvor eine gewöhnliche Middleschool besucht, die sicher nicht so hohe Ansprüche stellt, wie meine es getan hat.

Es klingelt endlich. Binnen weniger Sekunden sind meine Hefte, Bücher und Stifte in meinem Rucksack verschwunden. Ich erhebe mich, und verlasse als Erster das Klassenzimmer. Die anderen sind direkt hinter mir. Wir lassen uns mit dem Strom der Schüler mitreißen, die es alle eilig haben, nach draußen zu kommen. Bloß raus aus diesem Gefängnis. Ace holt auf, und läuft entspannt neben mir her. Schließlich tauchen auch die anderen beiden wieder auf, und gemeinsam verlassen wir das Gebäude durch den Haupteingang. Während Aya und Luke zu ihren Fahrrädern gehen, lasse ich mein Skateboard auf den Boden fallen.

Mit einem kurzen Handschlag verabschiede ich mich von Ace, der auf seine Schwestern warten muss. Ich hänge mich an Lukes Fahrrad, und lasse mich solange ziehen, bis sich unsere Wege trennen. Er muss nach rechts, ich nach links. Auch wir verabschieden uns voneinander, dann konzentriere ich mich auf die Straße. Langsam werden die Häuser zu Villen. Ich überlege, wieder umzudrehen, als ich den hohen, schwarzen Zaun erblicken, hinter dem ich wohne. Aber ich steuere weiter darauf zu, und ziehe die Karte aus meiner Tasche, die mir erlaubt, reinzukommen. Es reicht, sie kurz über den Sensor zu ziehen, und mein Gesicht zu scannen.

Das Tor im Zaun schiebt sich zur Seite, und lässt mich den Weg durch die Rasenfläche entlangfahren. Ich hasse es hier. Meine Brust zieht sich mit jeden Meter, den ich mich der Villa nähere, weiter zusammen. Das Atmen fällt mir erheblich schwerer. Mein Bruder empfängt mich, als ich die Haustür aufschließe.
„Wie wars?", will er wissen, und lehnt sich entspannt gegen das polierte Treppengeländer. Ich schließe daraus, dass Mum und Dad nicht zuhause sind, denn andernfalls würde er sich niemals trauen, sich so zu verhalten. Niemand wagt es in ihrer Anwesenheit, die Reinheit des Hauses zu gefährden. Die Person gefährdet sonst nämlich ihre Gesundheit.

„Ganz okay", antworte ich und zucke mit den Schultern. „Ist halt ne Schule." Das ist die Wahrheit. Der Schultag war nicht schrecklich, aber eben auch nicht wunderbar. Es ist eben Schule. Und vor allem ist es eine Bonzenschule. In bin so aufgewachsen, aber es gefällt mir nicht mehr, seit ich im letzten Urlaub auf Madeira eine eher arme Familie kennengelernt habe. Sie arbeiten für uns, verdienen dabei aber kaum Geld. Und so geht es auch dem Putzpersonal, das hier täglich arbeitet. Sie verdienen nicht viel, aber meine Eltern nehmen ihre Anwesenheit als selbstverständlich hin. Wobei das Personal nicht viel zutun hat. Wie gesagt, es wird hier nicht wirklich dreckig.

Ich trotte die Treppe hoch, um in mein Zimmer zu gelangen. Dort lasse ich achtlos meine Tasche fallen, lehne mein Skateboard gegen die perlweiß gestrichene Wand, und werfe mich auf das große Bett unter dem Fenster. Dann ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche. Luke, Aya, Ace und ich haben heute Nummern getauscht. Ich beschließe, eine Gruppe zu eröffnen, damit wir einander jederzeit erreichen können, ohne mehrfach Nachrichten abzuschicken. Der restliche Tag vergeht ungewöhnlich schnell.

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