< ACE >
(Thomas Barbusca)Es ist unglaublich, wie viel Mühe mein Vater sich gibt, etwas zu akzeptieren, das gar nicht da ist. So kommt es am folgenden Mittwoch dazu, dass er mir eine Flagge hinhällt, die ich nach kurzem Überlegen als 'meine' Flagge identifizieren kann.
„Für dein Zimmer", verkündet er mir und klingt unendlich stolz auf sich selbst. „Weil du ja bi bist. Wir können sie ja zusammen aufhängen! Da wird Fynnley staunen, wenn er das nächste Mal zu Besuch kommt."
„Wenn du meinst", antworte ich, und verfluche mich innerlich. Eilig setze ich ein Lächeln auf. „Das ist total lieb, danke, Dad. Aber ich wollte jetzt mit Lucy für meine Mathearbeit lernen, wir schreiben doch morgen, und da-"
„Die Flagge geht vor", bestimmt mein Vater, wissend, dass ich schon längst für Mathe gelernt habe. Ich bin nicht gut in dem Fach, aber ich kann es mir nicht leisten, dort schlechte Noten zu bekommen. Dass ich mit meiner Schwester lernen will, ist allerdings nicht gelogen.Ich erhebe mich von meinem Bett und laufe auf ihn zu. Zu meinem Glück will er die Flagge scheinbar auch noch genau so anbringen, dass sie genau neben der Tür hängt. Es dauert nur wenige Minuten, in denen mein Vater konzentriert Nägel in Wand schlägt, dann hängt das Ding. Ich tue noch einmal so, als wäre ich überglücklich, bevor ich mich mit meinen Schulbüchern und meinem Handy auf den Weg zu Lucy mache. Sie wartet schon unten im Esszimmer auf mich. Als ich sie durch die gläserne Tür sehe, halte ich inne. Irgendetwas stimmt nicht, das spüre ich instinktiv. Die Art, wie sie vor sich hinstarrt, passt nicht zu ihrer sonst so aufgeweckten Art. Mein Blick fällt auf ihr Handy, das neben ihrer Hand liegt.
Leise nähere ich mich ihr. Sie scheint so sehr in Gedanken versunken zu sein, dass sie mich überhaupt nicht bemerkt. Dabei bin ich nun wirklich eher ein Elefant als eine Katze, und meine nackten Füße hinterlassen seltsame Geräusche auf dem teuren Boden. Vorsichtig beuge ich mich über ihre Schulter und stelle fest, dass es sich nicht um ihr Handy handelt, sondern um meins. Wir haben dasselbe Modell, aber ihr Display ist an drei Stellen zersplittert, während meins noch vollkommen heile ist. Kurz überlege ich, ob sie sich einfach ein neues Handy gekauft hat. Allerdings weiß ich, dass sie dann nicht dasselbe genommen hätte, sondern ein neueres Modell oder eine vollkommen andere Marke. Bevor ich etwas sagen kann, bemerkt sie mich.
Lucy schenkt mir nur einen flüchtigen Blick. In ihren Augen glitzert es verdächtig und ich verspüre den Drang, sie in den Arm zu nehmen. Der Fakt, dass sie mein Handy genommen und irgendwie entsperrt hat, hält mich aber davon ab. »Was soll die Scheiße?«, will ich wissen, und lasse meine Schulsachen auf den Tisch fallen, damit ich meine Arme vor der Brust verschränken kann. Im Gegensatz zu den meisten Mädchen, die ihre Arme immer irgendwie vor den Bauch halten, meine ich auch meine Brust. Viele sagen, dass das recht albern wirkt, weil ich zu harmlos aussehen würde, aber darüber mache ich mir jetzt keine Gedanken.
»Er tut mir so leid«, schluchzt Lucy ohne auf meine Frage einzugehen. Sie deutet auf den geöffneten Chat und ringt nach Worten. »Wenn ich mir vorstelle, dass Dad...«Sofort bricht sie in Tränen aus. Verstört starre ich sie an. Wenn Lucy über eins verfügt, dann ist das Empathie. Grundsätzlich ist das eine tolle Eigenschaft, aber wenn man mehr Empathie hat als der Rest der Menschheit, führt das zu ständigen Heulkrämpfen. Ob das einfach nur an der Pubertät liegt? Kopfschüttelnd strecke ich meine Hand nach meinem Handy aus, und überfliege den geöffneten Chat zwischen Luke und mir. Die letzte Nachricht lässt mich innehalten. Jetzt verstehe ich, was Lucy meinte, doch die Worte brauchen ein wenig Zeit, bis ich sie verarbeitet habe. Im nächsten Moment stecke ich mein Handy in meine Hosentasche und stürze aus dem Raum in den Flur zurück, um hastig in meine Schuhe zu schlüpfen. Es bleibt keine Zeit, um Socken anzuziehen oder meine Mutter zu fragen, ob ich mir das Geld leihen darf, das ich aus ihrem Portemonnaie ziehe.
»Ich bin bei Luke«, brülle ich ins Haus, in der Hoffnung, nicht aufgehalten zu werden. »Bin heute Abend wieder da!«
Lucy tritt in den Türrahmen und sieht mich an. Sie wischt sich die Tränen von der Wange, und lächelt mich an. Doch diese Geste kann ich nicht erwidern. Meine Sorge um Luke steigt mit jeder Sekunde, die ich nicht bei ihm verbringe. Der Bus kommt zum Glück in etwa zehn Minuten. Ich verlasse das Haus. Die Tür knallt hinter mir so sehr ins Schloss, dass sie wieder aufspringt, aber ich habe andere Probleme. Meine Füße führen mich zur Bushaltestelle, ohne, dass auf die Straße achte. Stattdessen habe ich mein Handy wieder hervorgezogen, und tippe eine Nachricht an Luke ein. Ich weiß nicht, ob sie ankommen wird, denn mein Datenvolumen ist quasi restlos aufgebraucht, aber einen Versuch ist es wert.An der Bushaltestelle befinden sich nur zwei weitere Personen. Nur flüchtig mustere ich meine Nachbarin und ihren Sohn, die zur Begrüßung die Hand heben. Ich nicke ihnen zu, dann drehe ich mich zur Straße. Ich weiß, dass irgendetwas mit Lukes Mutter geschehen ist und nun ist auch seinem Vater etwas zugestoßen. Aus seiner Nachricht ist nicht hervorgegangen, ob er den Schuss eines Einbrechers überlebt hat, aber so oder so braucht er jetzt meine Unterstützung. Meine und die der anderen. Fynn und Aya kommen vermutlich ebenfalls. Als der Bus an der Haltestelle hält, quetsche ich mich rücksichtslos an den Aussteigenden vorbei, und lasse mich recht weit vorn auf einen der Sitze fallen. Nervös wippt mein Fuß auf und ab, während der Bus sich in Bewegung setzt. Ich nähere mich immer weiter dem Krankenhaus, zu dem Luke mich gebeten hat.
Ich hasse Krankenhäuser.
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SUFFERING
Novela Juvenil„Ihr seid alles Bonzenkinder, oder?", durchbricht Fynn plötzlich das Schweigen am Tisch. Überrascht sehen wir auf. × × × Ace' Familie scheint das perfekte Leben zu haben. Sie sind sehr wohlhabend, lieben einander und die drei Geschwister haben sehr...