Kapitel 15 - Dragqueen

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< ACE >
(Thomas Barbusca)

Ich beobachte Fynn, während er vorsichtig das Blut von meinem Gesicht wischt. Er ist mir ziemlich nah, und wenn nicht mein ganzer Körper wehgetan hätte, hätte ich vermutlich ein wenig Abstand genommen. Meine Haut kribbelt unter seinen Berührungen, und ich hoffe, dass er nicht zu sehr aufdrückt, denn sonst würde es vermutlich beginnen wehzutun. Durch meine Lippe pocht regelmäßig neues Blut, und die aufgeplatzten Stellen sind etwas angeschwollen. Kurz versuche ich, mein Spiegelbild zu fokussieren, aber schon nach wenigen Sekunden sehe ich wieder meinen Retter an. Manchmal habe ich das Gefühl, er ist nicht nur weitaus souveräner als ich sondern auch generell einfach cooler. Ich höre die Stimmen meiner Familie durch die Tür. Lucy und Jessica erklären meiner Mutter, was geschehen ist. Sie möchte uns ein wenig Zeit für uns geben. Was das genau bedeuten soll, weiß nur sie.

„Warum hast du nicht erzählt, dass die dich fertig machen?", fragt Fynn plötzlich. Er presst direkt danach die Lippen aufeinander. Ich kann nicht sicher einschätzen, was er empfindet, glaube aber, Wut in seiner Stimme zu hören. Es dauert ein wenig, bis seine Worte in meinem Kopf einen Sinn ergeben. Mein Vater würde vermutlich mit mir zum Arzt fahren, um eine Gehirnerschütterung auszuschließen, und ich bin froh, dass er gerade die verfrühte Verwandtschaft in Form meiner alleinstehenden Tante ablenkt.
„Ich wusste ja selbst nicht, dass es so kommen würde", weiche ich aus, und ringe mir ein mühsames Lächeln ab. Es soll beschwichtigend wirken, aber ich sehe eher aus wie irgendein gestörter Mörder aus einem Horrorfilm.

„Wer sind die überhaupt? Und warum haben sie dich verprügelt?", erkundigt er sich unbeirrt weiter, und legt nun das feuchte Handtuch beiseite, um direkten Blickkontakt aufzubauen. Mein Magen fühlt sich plötzlich total seltsam an, und ich überlege, wann ich wohl das letzte Mal etwas gegessen habe. Um nicht antworten zu müssen, lenke ich ab: „Müsste ich mich nicht jetzt in Aya verlieben? Ein Geretteter verliebt sich doch immer in die Heldin."
„Eigentlich ist es so, dass die arme Prinzessin in Not ist, und dann kommt so'n Flynn Ryder auf seinem weißen Ross und rettet sie", Fynn grinst schief. „Aber wir leben im 21. Jahrhundert, also sollten die Frauen wohl auch mal Retterrollen übernehmen."

Ich nicke überzeugt. „Das ist auch wichtig zu wissen: Ich bin eher Prinzessin als Prinz", erkläre ich fachkundig. „Ich will gerettet werden. Für alles andere bin ich viel zu faul!"
Wir müssen beide lachen. Meine Mutter kommt rein, und legt uns beiden neue Anziehsachen hin. Da Fynn seine Sachen für den Abend schon bei uns hat, ist das kein Problem. Sie wirft mir einen stolzen Blick zu: „Mein kleiner Kämpfer..."
Ich lege meine Stirn in Falten. Soviel habe ich eigentlich nicht getan. Wenn man ehrlich ist, habe ich ab irgendeinem Punkt nur noch rumgelegen und gegen die Ohnmacht gekämpft. Ich bleibe aber still und warte, dass sie wieder rausgeht. Dann erhebe ich mich vom Rand der Badewanne. Auch Fynn streckt seine Beine wieder durch und kommt somit aus der Hocke hoch.

„Danke jedenfalls nochmal, dass ihr da wart", murmel ich leise, und greife dann nach meinem Hemd und der Hose. Wir ziehen uns leise um. Während er ein blassblaues Hemd trägt, ist meins vollkommen weiß. Dazu tragen wir beide schwarze Hosen und recht neutrale Schuhe. Ich kämpfe noch etwa zehn Minuten mit meinen Haaren, bis sie so liegen, wie ich will, dann trete ich zu Fynn an die Tür. Mittlerweile ist auch der Rest der Familie eingetroffen. Sie sitzen vermutlich schon im Esszimmer, denn viel hört man von ihnen nicht. Gerade, als ich rausgehen will, hält Fynn mich zurück: „Wir sind offiziell seit der Gala zusammen, in Ordnung?"
„Geht klar", stimme ich zu, und halte erneut inne, als er mich seltsam ansieht. „Was?"
„Du... Naja, deine Lippe blutet wieder. Sieht irgendwie cool aus, aber wenn was auf dein Hemd tropft-", er bricht ab, und bugsiert mich entschlossen wieder zum Badewannenrand. Ich lasse mich daraufsinken, und lasse zu, dass er wieder beginnt, das Blut mit dem Handtuch fortzutupfen.

„Wir sind schon ziemlich schwul", rutscht es mir unüberlegt raus, wodurch ich Fynn zum Lachen bringe. „Ich geb' mein Bestes, Darling."
„Ewww", kommentiere ich, und schüttel den Kopf, wodurch er etwas von meiner lippe abrutscht. Eilig halte ich in der Bewegung inne. „Bloß nicht 'Darling'. Das klingt bescheuert. Sowas sagen alte Omis oder Dragqueens."
„Babe?", schlägt er vor, und hebt einen Mundwinkel an. Er hat sichtlich Spaß an der Sache, obwohl er anfangs der Kritiker von und gewesen ist. Ich bekomme teilweise schon fast das Gefühl, dass es zwischen uns echt ist, so realistisch bringt er es vor meiner Familie rüber. Dass das für ihn irgendwann riskant werden könnte, verdränge ich lieber. Er wird schon wissen, was er tut. Als wir wenig später endlich das Badezimmer verlassen, verschränkt er wie gewohnt unsere Finger miteinander. Ich muss Widerwillen lächeln bei dem Gedanken, dass ich wie ein kleines Kind aussehen muss. Zwar ist er nicht allzu viel größer, aber ein gewisses Stück ist es eben doch.

Er klopft kurz aus Höflichkeit gegen den Türrahmen, da die Tür geöffnet ist, und lächelt höflich in die Runde, als die Verwandtschaft zu uns schaut. „Hallo zusammen. Freut mich, Sie kennenzulernen", sagt er, und mein Lächeln wird langsam zu einem verschmitzten Grinsen. Er ist einfach der perfekte Schwiegersohn. Jemanden wie ihn wünschen meine Eltern sich vermutlich eigentlich für Jessica und Lucy. Die Verwandtschaft scheint sich nicht entscheiden zu können, ob sie mein Gesicht, Fynn oder unsere Hände anstarren soll, weshalb ihre Blicke relativ synchron hin und her wechseln. Wäre die Situation nicht so awkward, hätte ich vermutlich einen Lachkrampf bekommen. Stattdessen wird mein Blick etwas ernster.
„Also, ja, ähh... Freut mich, euch wiederzusehen", stottere ich unsicher, und hebe meine freie Hand zu einem kurzen Gruß. „Uhm... Das ist mein Freund, Fynnley."

SUFFERING Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt