Kapitel 1

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»Happy Birthday, Hazel, Schatz! Es ist so schön dich zu sehen. Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich auf heute gefreut habe!«, rief Mom überschwänglich und schloss mich in eine feste Umarmung. Ich meinte zu hören, wie sie schluchzte, aber sicher war ich mir nicht.

»Ja, ich mich auch.«, behauptete ich und setzte ein Lächeln auf, während ich mich sanft, aber bestimmt aus der Umarmung löste. »Wie war der Flug, seid ihr müde?«, erkundigte ich mich anschließend und meine Schwester Lany antwortete mir. Sie war überraschend im Türrahmen aufgetaucht. »Ein bisschen, ja. Aber der Flug war sehr gut, es gab sogar Essen.« Grinsend trat sie auf mich zu und umarmte mich. »Ich hab dich vermisst, kleine Schwester! Alles alles liebe.«

Auch für sie zwang ich mir ein Lächeln auf die Lippen, bedankte mich und erwiderte ihre Worte, das Vermissen betreffend. Tatsache war jedoch, dass ich in den letzten Wochen eigentlich nicht wirklich über meine Familie nachgedacht hatte. Ich hatte generell über nichts nachgedacht außer... Ja, außer über Caleb.

Caleb, der jetzt...tot war. Meinetwegen. Weil ich nicht gut genug war. Weil ich ihn nicht ausreichend beschützt hatte. Weil ich unbedingt einen Alleingang hatte machen müssen. Es war ein Fehler gewesen. Ein riesiger, unverzeihlicher Fehler, den ich nie wieder rückgängig machen konnte. Aber was noch viel schlimmer war: Ich würde mich niemals bei Caleb entschuldigen können. Ich würde niemals meinen Fehler wiedergutmachen können. Vorausgesetzt natürlich, man konnte so etwas überhaupt wiedergutmachen. Das alles war einfach so-

»Hazel?«, riss mich eine Stimme aus meinen trüben Gedanken. Es war Faye, eine junge Dämonin, die ich bei Calebs Rettungsaktion letzten Monat mit in die Wohnung meines Mentors und Ex-Freundes Jacob und mir gebracht hatte.  Sie hatte eine wirklich grausame Vergangenheit und ich hoffte so sehr, dass ihre Zukunft ganz anders aussehen würde. Bevor ich noch länger über die schrecklichen Ereignisse an jenem Tag nachdenken konnte, glättete ich meine in Runzeln gewellte Stirn und kniete mich zu Faye hinunter. »Ja?«

»Wer ist das?«, flüsterte sie und zeigte auf meine Familie. Ich hatte vergessen, alle miteinander bekannt zu machen.

»Oh.« Ich stand auf und nahm Faye an die Hand, um sie zu meiner Familie zu führen. Diese war noch einmal in den Gang gelaufen, um dem dort stehenden Taxifahrer mit den Koffern zu helfen. Wie hatten sie ihn nur dazu gebracht, die Koffer bis vor unsere Haustür zu tragen? Immerhin wohnten wir fast im obersten Stockwerk dieses Hochhauses. Gerade verabschiedete sich Mom sehr herzlich von ihm und Lany stand wie das fünte Rad am Wagen daneben und betrachtete die Szene. Mom lachte und warf ihre Haare zurück. Oh mein Gott. Sie flirtete doch nicht etwa mit dem Taxifahrer? Jetzt wunderte es mich nicht mehr, warum dieser die Koffer getragen hatte.

»Mom? Lany? Ich würde euch gerne jemanden vorstellen!«, rief ich, um das ganze ein wenig zu beschleunigen. Und tatsächlich: Mom winkte ein letztes Mal kokett und kehrte dann mit Lany zu uns zurück.

»Das hier ist Faye, sie ist...«, begann ich und konnte mich gerade noch davon abhalten, eine Dämonin zu sagen, denn ich wusste nicht, wie meine Familie darauf reagieren würde. »Sie ist...«, versuchte ich es erneut. Mist! Was sollte ich sagen?

»Ich bin das Nachbarskind.«, vervollständigte Faye meinen Satz und ich warf ihr einen dankbaren Blick zu.

»Genau.«, bestätigte ich noch einmal, »Und das hier, Faye, sind meine Schwester Lany und meine Mom.«

Mom lächelte, wie zu erwarten, breit und beugte sich zu Faye hinunter. »Freut mich, dich kennenzulernen, Faye.«, sagte sie dabei und stupste ihr gegen die Nase. Etwas irritiert erwiderte Faye: »Mich auch.«

Ich schaute Mom mit gerunzelter Stirn an. Faye war sieben. Da war das Nasestupsen ein wenig fehl am Platz.

Auch Lany begrüßte Faye freundlich und ich atmete innerlich auf. Beinahe hätte ich mich verplappert. Auch wenn Faye natürlich keine böse Dämonin war, traute ich es meiner Mutter durchaus zu, dass sie auf Abstand gehen würde, sobald sie herausfand, was für einem Wesen sie gegenüberstand.

»Gehen wir doch ins Esszimmer. Es gibt Torte!«, sagte ich übertrieben enthusiastisch und klatschte in die Hände, um alle loszuscheuchen. Es klappte auch, alle machten sich brav auf den Weg. Im Wohnzimmer trafen wir auf Jacob, der gerade dabei war, die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen anzuzünden. 

Er und ich hatten über einen längeren Zeitraum eine Beziehung geführt, aber dann hatte ich ihn erwischt, wie er eine andere abknutschte und das war das Ende gewesen. Meine Familie wusste Bescheid darüber und verhielt sich dementsprechend kühl und reserviert. Im Prinzip geschah ihm das ganz recht, aber in letzter Zeit war er immer für mich dagewesen und hatte mir oft geholfen, weshalb ich ihm schon bald verziehen hatte. Ich bezweifelte zwar sehr, dass aus uns jemals wieder etwas werden könnte, aber es war schön, ihn als guten Freund zu haben. Außerdem musste ich sowieso zwangsläufig Zeit mit ihm verbringen, schließlich war er mein Mentor und brachte mir wichtige Dinge übers Engelsein bei.

Meine Mutter unterhielt sich höflicherweise mit ihm, verbarg aber keineswegs ihren Ärger über ihn, was Jacob sehr in Verlegenheit brachte, also rettete ich ihn schnell aus der Situation, indem ich mich an den Tisch setzte und laut rief »Der Kuchen sieht fantastisch aus, Jacob!«

Wie erhofft hatte ich daraufhin die Aufmerksamkeit des ganzen Raumes auf mich gezogen und Jacob damit aus der misslichen Lage herausmanövriert. Ich zwinkerte ihm zu und er lächelte mich dankbar an.

»Ein Hoch auf das Geburtstagskind!«, meinte Lany lachend und begann, ein Ständchen zu singen, wobei alle mit einstimmten.

Ich saß peinlich berührt vor der Torte mit den brennenden Kerzen und wusste wie jedes Jahr nicht, was ich tun sollte. Lächeln? Mitsingen? Ich hatte keine Ahnung und so starrte ich einfach vor mich hin und grinste hilflos. Die Sekunden des Lieds zogen sich endlos hin und als es endlich vorbei war, pustete ich schnell die Kerzen aus, um die anderen davon abzuhalten, ein weiteres Ständchen aus dem Hut zu zaubern.

Faye jubelte und rief aufgeregt: »Du musst dir was wünschen, Hazel!«. Ich nickte ihr lächelnd zu und wünschte mir tatsächlich etwas.

Ich wünsche mir, dass Caleb noch lebt.

Es war albern, aber für einen Augenblick schöpfte ich tatsächlich Hoffnung, dass der Wunsch sich erfüllen könnte.

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Für Opa, weil du mich motiviert hast, weiterzuschreiben.
Ich hatte schon länger eine Fortsetzung geplant, aber jetzt erst angefangen.

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