Mara

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Mara ist anders.

Sie versteht mehr, als ihre Eltern denken und doch weniger als sie sollte.

Ihre Eltern denken, sie kriegt die Streitereien nicht mit; sie würde schlafen. Doch sie täuschen sich. Jeden Abend liegt Mara wach im Bett und weint sich schließlich in den Schlaf, während sie ihren Eltern lauscht.

Anders als ihre Freunde, hat Mara keine Haare.

Sie schämt sich dafür; Ihr ist es peinlich wenn man sie fragt, warum sie keine Haare hat. Mit einem schwachen Schulterzucken dreht sie sich schließlich weg.

Was soll sie auch schon antworten, sie weiß es ja selber nicht. Der nette Mann zu dem sie immer mit ihren Eltern geht, sagt ihr jedes Mal mit ihr sei alles in bester Ordnung wenn sie nachfragt. Doch sie bemerkt genau, wie ihrer Mutter dabei die Tränen in die Augen steigen und ihr Vater sie in den Arm nimmt.

Mit der Zeit vergeht ihr die Lust am Spielen; Sie will viel lieber schlafen, fühlt sich so ausgelaugt und müde.

Alles ist für sie anstrengend, schon der kleinste Spaziergang lässt sie schnell aus der Puste kommen.

Sie ist sieben Jahre alt, als man ihr schließlich erklärt, warum ihre Eltern so häufig streiten und woher ihre fehlenden haare kommen.

Mara leidet an Krebs, an Leukämie. Laut dem Arzt liegen die Chancen sie könne überleben, nur bei knapp zwanzig Prozent.

Nichts ist mehr wie es einmal war, wird ihr klar. Mit einem Mal wünscht sie sich zurück zu den Momenten, wo sie beschämt die Schultern gezuckt hat und nicht erklären konnte warum sie keine Haare hat. Obwohl sie in der Schule oftmals Glatzkopf genannt wird, ist sie ihren Mitschülern nicht böse. Sie wissen es nicht anders, denkt sie sich.

Ihr Herz ist groß.

Schon mit sieben Jahren hat sie ein größeres Herz, als manche Leute die viermal so alt sind wie sie.

Ihre Eltern unternehmen alles was sie können, schicken Mara in eine Chemotherapie, lassen eine Knochenmarktransplantation und eine Strahlentherapie zu; beten jeden Tag für ihr junges Kind.

Das ist mittlerweile zwanzig Jahre her.

Mara ist mit ihrem zweiten Kind schwanger. Sie hat vor vier Jahren erfolgreich ihr Medizinstudium abgeschlossen und ist nun Kinderärztin. Gemeinsam mit ihrem Mann wohnt sie in ihrem eigenen Haus und ist einfach glücklich leben zu dürfen.

Sie hat es geschafft.

Sie war stark genug und hat den Krebs besiegt.

Trotz zwanzigprozentiger Überlebenschance.

18th May 2020

Die Sonne hinter den Wolken ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt