Cecilia hat Narben, viele Narben.
Nicht von einem Auto- oder Sportunfall. Sie hat Narben, weil sie es selbst so wollte.
Ihre Gedanken kreisen um nichts anderes, in den letzten Wochen hat sie all das Vergangene eingeholt. Obwohl sie seit fast zwei Jahren versucht mit dem Geschehenen abzuschließen, ist es tatsächlich nicht so leicht wie ihr gesagt wird.
Wie soll sie auch die Bilder aus dem Kopf kriegen; Bilder von ihrem Vater, wie er wieder einmal betrunken in die Wohnung torkelt. Sie war zwölf als ihre Mutter an einem Autounfall gestorben war. Seit sechs Jahren trinkt ihr Vater nun schon; Ist Alkoholiker.
Sie war stets eine brave Tochter. Hat auf ihre Eltern gehört, keine Probleme bereitet und das getan was von ihr verlangt wurde.
Mit dreizehn fing es an, dass ihr Vater sie schlug. Sie erinnert sich an seine Worte, als wäre es gerade eben erst passiert. »Geh mir aus den Augen, du Miststück. Deine Mutter ist deinetwegen verreckt!«
Dabei wusste sie selbst, dass nicht sie für den Unfall verantwortlich war. Er war es, und er musste jetzt seiner Wut freien Lauf lassen. Seine Tochter war für ihn ein Prellbock. Alles was in seinem Lebe schief lief, ließ er an ihr aus. Ihm war egal, ob sie nichts dazu beigetragen hatte oder etwa doch.
Sie fing an die Schule zu schwänzen. Wollte nicht ständig die Fragen über ihre Schmerzen beantworten oder dauernd gefragt zu werden, warum sie nur langärmelige T-Shirts trug.
Sahen die Leute denn nicht, dass sie am Boden war? Ja ihr war im Sommer heiß, ja sie wünschte sie könnte sich ein T-Shirt und einen Rock anziehen, aber das ging nicht. Niemand durfte ihre Narben sehen, niemand durfte sehen, was sie mit sich selbst und was ihr Vater mit ihr anstellte.
Sie suchte sich einen Freundeskreis, mit Leuten die wie sie waren. Keiner sprach über die Dinge, die Zuhause abgingen. Niemand musste es wissen. Als sie gerade mal fünfzehn war, fingen ihre Freunde an sie zum Trinken zu überreden. Sie gab nach, betrank sich jeden Tag mit ihren Freunden.
Mit sechzehn rauchte und trank sie täglich, hatte etliche Anzeigen wegen Einbruchs und Körperverletzung. Doch was kümmerte es sie? Sie hatte nichts zu verlieren.
Bis sie irgendwann bemerkte, dass mehr als bloß Alkohol ihren Freunden gute Laune brachte.
Sie wollte das nicht. Die Warnungen ihrer Mutter über Drogen spukten in ihrem Kopf herum. Mit einem Mal sah sie, wie sehr sie ihre Mutter enttäuschen würde, wenn sie sehen würde was ihre Tochter sich selbst antat.
Sie lief geradewegs zum Jugendamt, wurde in eine WG für Mädchen mit familiären Problemen gesteckt; Besuchte einen Therapeuten.
Seit zwei Jahren hat sie einmal die Woche einen Termin. Sie merkt, wie ihre Stimmung sich Tag für Tag hebt. Ihr Vater hat ihr etwas ganz besonderes genommen - ihre Kindheit. Nun muss sie das Beste aus dem ihr verbliebenden Rest machen.
Die Narben werden bleiben, werden sie immer an eine Zeit erinnern, in der sie dem Abgrund so nahe war wie noch nie zuvor. Doch all das ist ein Teil von ihr; All das hat sie zu dem Menschen gemacht der sie heute ist. Ja, selbst die komischen Blicke auf ihre Langarmshirts im Hochsommer oder die Beleidigungen die ihr an den Kopf geworfen wurden. Die Leute wussten es nicht besser, hatten ihre Ideale und gut war.
Doch genau das hat sie stark gemacht; Stärker als sie jemals hätte sein können.
20th May 2020
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Die Sonne hinter den Wolken ✔︎
Historia CortaWeil manche Menschen vergessen, dass selbst nach dem schlimmsten Sturm die Sonne wieder scheint. © Suchtfaktor 2020 Covered by Gedankendealerin