Hanna vertraut Niemandem.
Sie will keine Freunde haben, keine Gesellschaft. Am liebsten ist sie alleine. Denn bloß weil man alleine ist, heißt es nicht, dass man in der Einsamkeit ertrinkt.
Freiwillig schottet sie sich von all Jenen ab, die vorgeben sie zu mögen. Doch sie weiß es besser: Niemand mag sie. In den Augen der Menschen um sich herum, ist sie die Waise, die mit vier Jahren von ihren Eltern verlassen wurde. Sie sieht es in ihren Blicken, wenn sie den Raum betritt; Wie sich alle Augenpaare auf das zierliche Mädchen mit den kurzen Haaren richten. Wie sie flüsternd und mit verachtenden Blicken jeder ihrer Bewegungen folgen, über sie urteilen, und dabei gar nicht wissen, wie stark dieses so schwach erscheinende Mädchen tatsächlich ist.
Keiner kennt sie, sie alle kennen nur die Seite, die Hanna sie sehen lässt. Und dennoch nehmen sie sich das Recht über sie zu urteilen.
Manche Menschen sind Magnete für Probleme; Sie ziehen sie an, wie Magnete es mit Metall tun.
Es muss keine Krankheit sein, die einen traurig stimmt. Es muss kein psychisches Problem sein, das einen die Lust am Leben haben verlieren lässt. Es muss auch kein Problem mit den Eltern sein, das einen kaputt macht.
Jeder Mensch trägt Lasten auf den Schultern, die Einen schwerere und die Anderen leichtere.
Und Hanna's Lasten wiegen unheimlich schwer. Dabei denkt sie, dass ihre Probleme nichts in Gegensatz zu den Leuten mit echten Problemen sind. Doch dabei gibt es keine echten Probleme.
Mit dem Wissen, dass ihre Eltern sie freiwillig verlassen haben, sie nicht wollten, steht sie jedem Morgen auf. Geht durch durch den Tag, als wäre nichts und schläft jeden Abend mit den Gedanken ein, nicht gut genug zu sein. Nicht gut genug für ihre Eltern, für alle um sie herum, für sich selbst.
Die Selbstzweifel erdrücken sie.
Die Stimme in ihrem Kopf, die ihr jedes Mal wenn sie was isst, zu gedenken gibt, dass sie es lassen soll. Oder ihr sagt, wenn sie durch die Stadt läuft und andere Mädchen beobachtet, wie schlecht sie im Gegensatz zu ihnen aussieht.
Jahrelang lebt sie mit der Stimme, die ihr Tag für Tag einredet, dass sie nicht gut genug sei.
Jahrelang lebt sie mit der Tatsache, dass jeder sie komisch anblickt, ohne einen wirklichen Grund dafür zu haben.
Man belügt sie nacg Strich und Faden. Wenn einer ihrer Mitschüler ihr ein Lächeln zuwirft, weiß sie, dass es nichts als ein falsches Lächeln ist. Jeder in dieser Welt ist falsch, jeder interessiert sich nur für seinen eigenen Vorteil. Zumindest dachte sie das, bis zu dem Tag, an dem sie ihre vermeintliche große Liebe traf.
Mit dreiundzwanzig arbeitete sie als Hilfskellner in einem Restaurant und bediente ein junges Pärchen, was sich wenige Minuten später heftig stritt.
Zu ihrem Glück.
Zum ersten Mal in ihrem Leben, gibt man ihr das Gefühl gewollt zu sein. Gewollt und vor allem verstanden.
09th June 2020
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Die Sonne hinter den Wolken ✔︎
Short StoryWeil manche Menschen vergessen, dass selbst nach dem schlimmsten Sturm die Sonne wieder scheint. © Suchtfaktor 2020 Covered by Gedankendealerin