Die Sonne hinter den Wolken ✔︎

Tanja

Tanja ist magersüchtig.

Sie ist dürr und knochig; Wiegt so wenig wie eine Feder.

Statt ihre Krankheit ernst zu nehmen, lachen ihre Freunde sie aus. Provokant beißen sie vor ihren Augen in einen Burger oder ein Stück Pizza. Sie wissen genau, wie speiübel Tanja davon wird.

Sie selbst sieht ihre Krankheit nicht ein; Sie will sich doch bloß schöner fühlen, besser aussehen, sich nicht mehr unwohl in ihrem Körper fühlen.

Kalorienzählen ist zu ihrem Alltag geworden. Vielleicht mal eine kleine Schale Salat am Tag, mehr isst sie nicht. Doch statt, dass man ihr hilft, bleibt sie das knochige Mädchen von nebenan oder die Komische.

Keinem fällt auf wie schlecht Tanja wirklich von dem Essen wird. Keiner wundert sich darüber, wenn sie nicht mit zum Mittagessen geht oder auf die Toilette läuft, wenn sie in einem Schwächeanfall doch einen kleinen Happen zu sich nehmen muss.

Niemanden kümmert es; Niemandem fällt es auf.

Keiner bemerkt die Blässe in Tanjas Gesicht, ihre dunklen Augenränder oder wenn sie sich abrupt irgendwo festhält, weil sie wieder einmal einen Schwindelanfall hat.

Wieso sollten sie sich auch darum kümmern, schon seit Jahren nimmt Tanja nicht zu.

Bis Tanja in einem Supermarkt zusammenbricht und fast aufhört zu atmen.

Ein Kassierer bemerkt ihren Sturz, ruft den Krankenwagen und besucht sie nach seiner Schicht im Krankenhaus.

Sie verstehen sich unheimlich gut, er besucht sie öfter, irgendwann jeden Tag. Er gibt ihr den Halt, den sie schon vor langer Zeit hätte bekommen sollen; Er gibt ihr den Halt aufzustehen und selbstständig zu gehen.

Sie besucht mit seiner Unterstützung eine Klinik für Psychotherapie, nimmt rund dreißig Kilogramm zu.

Heute ist sie Autorin; Schreibt über die Essstörung und will andere Mädchen davor warnen. Der Kassierer der ihr das Leben gerettet hat, ist heute ihr bester Freund. Derjenige, der ihr immernoch stets den Halt gibt den sie benötigt.

»Die Mädchen die ihr auf Instagram, Facebook und co. seht, sind nichts weiter als krank oder bearbeitet. Schaut euch den Alltag von ihnen an, die meisten kriegen doch kaum mehr als eine Schale Salat runter und treiben rund um die Uhr Sport. Da braucht man sich nicht über die krankhaft schlanke Figur wundern. Ihr seid nur ein einziges Mal jung. Vergeudet eure Jugend nicht damit, euch tot zu hungern.«

18th May 2020