Abschied

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Vincent:
„Jetzt guck nicht so traurig, in ein paar Tagen bin ich wieder da." Wie ein Häufchen Elend stand Lotte vor mir und spielte mit den Bändern meines Hoodies.
Wir standen vor dem Bus, der unsere Band zu dem Festival fahren sollte, auf dem Bürgersteig und meine Freundin wollte mich einfach nicht gehen lassen. Auf der einen Seite fand ich es süß, dass sie mich so vermissen würde, obwohl es sich nur um ein Wochenende handelte, auf der anderen sorgte ich mich, wie das ganze wohl aussehen würde, wenn wir auf Tour gehen. Dann sind wir wochenlang nicht zu Hause. Würde die junge Frau das überstehen?
„Aber jeder Tag ohne dich ist einer Zuviel" schluchzte sie und vergrub ihren Kopf an meiner Brust.
„Jo, Vince, wir müssen los. Geb deiner Kleinen noch nen Kuss und steig ein" rief unser Fahrer durch die offene Tür.
Lottes griff wurde immer fester um meine Taille und mit einem Nicken gab ich Mark zu verstehen, dass ich gleich so weit wäre.
„Guck mich mal an" sanft hob ich ihren Kopf und schaute in ihre, vom weinen roten Augen. „Ich melde mich, wenn wir da sind und bin schneller wieder hier als du denkst. Ich werde dich auch vermissen, aber das ist mein Job. Mach dir ein schönes Wochenende und geh mit den Mädels feiern." sagte ich lächelnd und löste mich, nach einem Kuss, vorsichtig aus ihrer Umarmung.
Aus dem Fenster winke ich ihr noch einmal zu, bevor wir losfuhren.
Mit meinen Kopfhörern in den Ohren schaute ich zu, wie die Stadt an uns vorbei glitt und sich die Hochhäuser zu weiten Feldern umwandelten und wir die Autobahn erreicht hatten, die wir für eine geraume Zeit nicht mehr verlassen würden. Ein tippen an meiner Schulter ließ mich kurz zusammenzucken. Mit einer Handbewegung zog ich die Kopfhörer ab und schaute Dag fragend an. „Kommst du mit nach vorne was trinken? Du siehst aus als könntest du ein kühles Blondes vertragen" mein Kumpel grinste mich an. Er hatte diesen Blick, der mir verriet, dass er wusste was in mir vorging, aber er würde mich nicht darauf ansprechen, bevor ich mit dem Thema anfing.
Ein Bier nach dem nächsten floss meinen Rachen hinab und ich konnte die Einflüsse des Alkohols deutlich spüren als ich aufstand um zur Toilette zu gehen.
„In ca. 30 Minuten sind wir da, Jungs" rief der Fahrer und es ertönte ein einstimmiges Raunen, als Zeichen der Erleichterung sich bald endlich die Beine zu vertreten.
„Hast du mal 10 Minuten?" sagte ich zu Dag, als ich wieder bei der Band war und wies mit dem Kopf in die Hinteren Reihen des Busses.
Ohne ein weiteres Wort kippte er den Rest des Bieres auf Ex und stand auf um mir zu folgen.
„Hau raus, dicker. Was ist los? Du bist den ganzen Tag schon komisch drauf. Vermisst du deine Süße so doll?" flachste der sportliche Berliner und stieß mit seiner Faust an meine Schulter.
„Das ist das Ding, Alter. Ich weiß es nicht. Wir sind seit drei Wochen zusammen, normalerweise sollte ich durchdrehen vor Verlangen in ihrer Nähe zu sein, aber irgendwie machte es mir bis vorhin nichts aus. Es war mir sogar echt ganz lieb mal jemand anderen zu sehen als nur sie. Aber seitdem wir hier in diesem Scheiss Bus sitzen, kann ich an nichts anderes mehr denken, als an Lotte. Das ist doch nicht normal" verzweifelt vergrub ich meine Hände in den Haaren und flehte meinen Freund mit meinem Blick an, mir eine Antwort zu geben.
Aber anstatt, dass er mir eine Predigt hielt, wie dumm ich mich verhielt und dass Lotte sowas nicht verdient hätte, fing er nur an zu singen.

Ich weiß doch auch nich was ich will
Ich bin ein Mann so Mitte zwanzig
Und ich rauche
Und ich saufe
Und ich meld mich tagelang nicht
Yeeah
Immer wenn du bei mir bist
Brauche ich mehr Zeit für mich. Doch wenn du einmal weg bist
Wünsch ich mir du wärst bei mir
Und immer wenn du weit weg bist
Denk ich die ganze Zeit an dich
Doch wenn du dann da bist
Ja dann wünsch ich dich ganz weit weg*

Diesen Text hatten wir vor Jahren geschrieben und ich hatte die Zeilen seit ewigen Jahren nicht mehr gehört. „Whynee, das ist total normal. Überleg doch mal, wie lange warst du Single? Seit ihr vor drei Wochen zusammengekommen seid, habt ihr euch in jeder freien Minute gesehen. Obwohl die Minuten bei dir nicht frei waren, sondern du eigentlich hättest arbeiten müssen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Du bist es nicht mehr gewohnt in einer Beziehung zu sein. Mach dir keinen Kopf und genieß die Show die wir nachher spielen. Übermorgen siehst du die Kleine wieder und dann kannst du dir immer noch Gedanken um deine Gefühlslage machen." Dag schaute mich an und hielt seine Hand in die Luft. Gerade als meine seine mit einem lauten klatschen traf, hielt der Bus und wir waren am Festivalgelände angekommen.

*SDP - Immer wenn

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