Geteiltes Leid ist halbes Leid?

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POV Farryn Gracia

Unruhig tigerte ich in Jacks Büro hin und her, den Blick immer auf den Fernsehbildschirm gerichtet. Als würde die Fernsehmoderatorin, jede Sekunde etwas unerwartetes verkünden. Sozusagen den Gamechanger ins Spiel bringen. Doch natürlich geschah nichts dergleichen.
Nola, die neben mir auf einem Stuhl saß, knabberte an ihren Fingernägeln. Ein sicheres Zeichen dafür, das sie nervös war.

Ich musste schlucken. Nola Pelagius war nicht nervös, nie. Das war eine ungeschriebene Regel, genauso unumstößlich wie die Gesetze der Gravitation oder der Satz des Pythagoras. Ich erinnerte mich genau, wie sie ihre Rettungsaktion, bei der sie Tiago gegen eine  weißen Hai verteidigt hatte, mit einem Lächeln abgetan hatte.

Das hier war ernst wurde mir wieder einmal klar, sehr ernst. Ich war zu tiefst beunruhigt und was die die Fernsehmoderatorin im lindgrünen Kostüm gerade über das Wetter erzählte, machte das Ganze nicht gerade besser.

Da wurde die Bürotür aufgerissen und ein, nah an einem Nervenzusammenbruch stehender, Jack Clearwater dicht gefolgt von Alisha White und einer mir unbekannten Frau, die Lissa Clearwater in erstaunlicher Weise ähnelte, betraten den Raum. Einen Moment vergaß ich die Bedrohung, die sich uns allen unaufhörlich näherte. Diese Ähnlichkeit war wirklich unglaublich. Ich brauchte einen Moment um zu verstehen, was das bedeutete. Ich konnte nicht verhindern, das sich mein linker Mundwinkel leicht nach oben bog. Sah ganz so aus, als hätte es Lissa faustdick hinter den Ohren.

"So Jack, verräts du uns jetzt endlich mal was los ist?", Alisha White, die anscheinend genug von der Geheimniskrämerei hatte, baute sich fordernd vor Jack auf. Die Frau, deren Namen ich möglichst schnell in Erfahrung bringen sollte, schien es vorzuziehen stillschweigend zu beobachten. Sie hatte allem Anschein nach kein gesteigertes Interesse daran, sich in die Schusslinie zu begeben. Eine kluge Entscheidung, wie jeder der Alisha White kannte, bestätigt hätte. Andererseits stand der arme Jack, der ohnehin schon ziemlich fertig wirkte, so alleine der geballten Missbilligung seiner heimlichen Angebeteten gegenüber. Das konnte ich, als bester Freund, nicht wirklich verantworten.

"Jetzt lass ihn doch erstmal Verschnaufen", mischte ich mich daher ein. Alisha verdrehte die Augen. Ihr ging das hier eindeutig nicht schnell genug. Vielleicht war es der mahnende Gesichtsausdruck von Nola, der sie davon abhielt noch mal nachzubohren. Vielleicht verfügten Orcas aber auch über mehr Einfühlungsvermögen, als ich ihnen zu getraut hatte.

„Das ist nicht, das was ich denke oder?", hakte nun die hübsche Frau mit den weiß-kupferfarbenen Haaren nach. Ihr Blick war geradewegs auf den Fernseher gerichtet.  Sie war wirklich eine ausgezeichnete Beobachterin, registrierte ich anerkennend. Vielleicht auch eine Adlerin?

Ich setzte gerade zu einer Antwort an, als ich von Nola unterbrochen wurde, „Wer sind Sie überhaupt?", wollte meine Lieblingsschildkröte wissen.

Eine zugegeben berechtigte Frage. Erwartungsvoll blickte ich sie an.

„Mein Name ist Skyler. Ich bin die neue Lehrerin für Rechte der Tiere, Französisch und Politik."

Eine neue Lehrerin? Irritiert blickte ich Jack an. Das überstieg eindeutig unsere finanziellen Möglichkeiten und wenn das jemand beurteilen konnte, dann ich. Immerhin machte ich seit Beginn der Schule unsere Buchhaltung, auch wenn ich nicht behaupten konnte, besonders gut darin zu sein. Etliche Gespräche mit der Steuerbehörde in Miami und ein sehr verzweifelter Finanzbeamter waren das Resultat.

„Das ist jetzt nicht das Thema", mischte sich nun Jack, der bis jetzt noch nichts gesagt hatte, ein.
„Sondern?", kam es in fragendem Unterton von Alisha. Sie schien, als einzige, immer noch nicht begriffen zu haben, was los war.
Jack deutete wortlos auf den Fernseher, in dem die Moderatorin gerade verkündete: Ungewiss ist ob Hurrikan Adelina noch abdreht im Moment sieht es aber so aus als würde er in ungefähr 3 Tagen auf die Küste treffen.
Ein Bild der aktuellen Wetterlage wurde eingeblendet.

Alisha zog scharf die Luft ein, dann legte sie Jack betroffen einen Arm um die Schulter.
„Das ist hart", meinte sie.

Alisha White ließ emotionale und körperliche Nähe zu? Gegenüber Jack? Sah so aus, als hätte dieser verdammte Hurrikan wenigstens einen Vorteil. Auch wenn es nur ein schwacher Trost war.

Als es dann aber wenige Minuten später an der Tür klopfte, zog sie ihren Arm schnell wieder zurück. Ich musste den Kopf schütteln. Jack und Alisha, dass war schon eine Wissenschaft für sich

Irgendjemand rief "Herein", vermutlich Nola, sie wirkte von uns allen noch am gefasstesten. Doch das bekam ich nur am Rande mit. Mein Blick klebte nach wie vor am Bildschirm . 
Vermutlich hätte sich daran in naher Zukunft auch nicht wirklich was geändert, hätte Tiago nicht seinen Kopf ins Zimmer gesteckt.


Danke fürs Lesen, über Feedback würde ich mich sehr freuen :)

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