Dumpfe Schritte hallten durch den unendlich lang wirkenden Flur. Sie waren im Einklang mit meiner eigenen Atmung, die langsam und ruhig war. Als hätte mein Körper auf diese Verwandlung gewartet, die ich ihm heute gespendet hatte, streckte er sich zu voller Größe empor. Das Leder der Jacke knirschte leicht bei jedem Schritt und machte mir mit jeder Sekunde bewusst, dass ich jetzt nicht mehr die Gleiche war, die noch vor einigen Stunden hier herum gegeistert hatte. Von der verwirrten, ungepflegten Frau war nichts mehr übrig geblieben. Meine Hände ballten sich kampfbereit zu Fäusten. Schon lange hatte ich mich nicht so selbstbewusst gefühlt wie in diesem Moment. Obwohl ich keinerlei Angst verspürte, hielt ich inne. Die Hände legten sich um den kalten Metallhenkel der schwer wirkenden Holztür. Ich schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Mit einem einzigen Stoß öffnete ich die Tür, die in den nächsten Stunden meine Destination darstellen würde.
Ich trat einen Schritt in den Raum hinein. Das Zimmer war zu meinem Erstaunen von nur geringer Größe. Der weiße, runde Tisch nahm beinahe den gesamten Raum ein. Insgesamt waren fünfzehn Stühle um den Tisch platziert worden. Lian hatte sich bereits zwischen einem der Stühle und dem Smartboard an der Wand platziert, um alsbald in der Runde starten zu können. Er schenkte mir ein Nicken, das ich erwiderte. Mein Blick wanderte wieder zu den Personen, die bereits auf den Stühlen am Tisch Platz genommen hatten. Direkt vor mir saßen meine Eltern, die mich mit geweiteten Augen musterten. Neben ihnen befanden sich vier weitere Personen, zu deren Gesichtern ich noch keine Namen zuordnen konnte. Es folgten Dimitri, Dorian und Ilvy, die mich mit teils geöffneten Mündern, teils amüsierten Blicken anstarrten. Der Stuhl neben Ilvy war unbesetzt. Ein Lächeln schlich sich bereits auf meine Lippen, als ich diesen Platz als meinen eigenen identifizierte. Doch dieses erstarb sogleich, als ich meinen anderen Sitznachbarn in Augenschein nahm.
Gabe.
Seine grünen Iriden bohrten sich geradewegs in meine. Die Lippen waren unter dem leichten Bartschatten aufeinandergepresst. Obwohl er optisch zu dem Gabe passte, den ich in Sizilien kennengelernt hatte, war mir bewusst, dass ich so gut wie nichts über diesen Mann wusste. Es war mir nicht einmal möglich zu entschlüsseln, was in ihm vorging, obwohl die Verbindung zwischen uns präsenter als jemals zuvor war. Und ich war mir auch gar nicht sicher, ob ich das überhaupt wollte. Das Einzige, was ich in meinem tiefsten Inneren verspürte, war das Versprechen von Vollkommenheit, wenn ich mich ihm und dieser Verbindung nur hingeben würde.
Diese eigenartige Verbindung wird irgendwann noch mein Untergang sein.
Ich musste meinen Kopf schütteln, um mich von Gabes intensivem Blick lösen zu können. Erleichtert darüber, Giulia neben ihrem Bruder zu sehen, schlich sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Giulia ließ es sich nicht nehmen, mir zuzuzwinkern. Anna und Miguel grinsten mich ebenfalls an. Doch ich hatte das ungute Gefühl, dass es nicht auf meine Wiederkehr zurückzuführen war. Vielmehr huschten ihre Blicke zwischen Gabe und mir hin und her, was nichts Gutes bedeuten konnte. Das war das Zeichen worauf ich gewartet hatte.
Ich straffte meine Schultern und setzte einen Fuß vor den anderen. Mein Ziel war der einzige noch freie Stuhl zwischen Ilvy und Gabe. Dabei spürte ich, wie sich mein Herz mit jedem Schritt weiter beschleunigte. Die Blicke, die mich die gesamte Zeit taxierten, ließen meine Hände zu Fäusten zusammenballen. Denn einer von ihnen stach besonders aus der Menge heraus.
Je näher ich Gabe kam, umso schlimmer wurde der Sog, der mich gänzlich an ihn ketten wollte. Es wunderte mich nicht, dass der Wunsch, mich zu ihm zu drehen, schier unendlich war, als ich mich auf dem für mich vorhergesehenen Stuhl niederließ. Aus dem Blickwinkel erkannte ich, wie Gabes Gesicht sich meinem zuwandte. Sein Lippen öffneten sich etwas. Jeden Moment erwartete ich, dass ich seine tiefe Stimme hören würde. Doch es geschah nichts dergleichen.
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Phönixchroniken - Erleuchten
Paranormal--- Band 3 der Phönixchroniken --- Das, wovor Cassie sich gefürchtet, zeitgleich jedoch herbeigesehnt hat, ist eingetreten. Michail ist durch ihre eigene Hand gestorben. Obwohl das ein guter Grund ist, sich zu freuen und alles hinter sich zu lassen...