Kapitel 12

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»Margarete?«

Ein Glas zu meiner Linken klirrte und ließ das Orchester in meinem Kopf zu einem erneuten Crescendo einsetzen, als würden zig Trompetenspieler gleichzeitig ihr Talent unter Beweis stellen wollen. Jeden Moment glaubte ich, mein Schädel würde explodieren, wenn ich auch nur eine falsche Bewegung machte.

Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, an welchem Zeitpunkt die Veranstaltung mit dem unschuldigen Titel Mädelsabend derart ausgeufert war. Aber ich weiß noch ganz genau, dass viele Korken knallten, während gefühlt alle Disney-Märchenadaptionen hintereinander gelaufen waren und wir uns in unseren Mädchenträumen verloren hatten.

»Was denn, Liebes?«, sagte Margarete, mit einem meiner Meinung nach viel zu strahlenden Lächeln.

Ich blickte zu meiner Sitznachbarin, die ihren Kopf mit einer Hand abstützen musste. Ihre hellen, langen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, was mich kurz zum Schmunzeln brachte. Umgehend bereute ich die Mundwinkelbewegung und fasste mir selbst an die pochenden Schläfen. Ich konnte Ilvys Körperhaltung mit jeder ausnüchternden Zelle meines Körpers nachvollziehen. Auch für mich wurde es merklich schwerer, den Kopf davor zu bewahren, auf der Tischplatte zu landen.

»Möchtest du auch ein Bier?«, nuschelte ich, an Ilvy gerichtet.

Ich bildete mir ein, dass ihr bereits bleiches Gesicht eine grünliche Farbe annahm.

»Du spinnst doch!«

Ich nickte. Vermutlich hatte sie recht. Doch jetzt war nicht die Zeit, um vernünftig zu sein. Ich blickte zu Margarete.

»Könntest du mir bitte ein Bier bringen?«

»Ein Reparaturbier. Aber natürlich, Schätzchen. Kommt sofort!«

In einer Geschwindigkeit, die mir unmenschlich erschien, sauste Margarete um den großen Esstisch und verschwand in Richtung Küche. Ich wollte gerade meinen Blick gen Tischplatte richten, als mir ein blauer Haarschopf auffiel, der plötzlich in der Tür des Speisesaals auftauchte. Und dieses Grinsen konnte nichts Gutes bedeuten.

»Oh nein«, murmelte ich und legte den Kopf in meine Hände.

»Was ist?«, hörte ich Ilvy zurückmurmeln.

Eine Antwort meinerseits war nicht notwendig.

Der blaue, wirre Haarschopf war bereits dabei, um den langen Tisch zu rasen, nur um im spätesten aller Momente innezuhalten und jeweils einen Arm um Ilvys und meine Schulter zu schlingen.

Ilvys Hände gruben sich in die Tischplatte, um nicht vornüber zu fallen, und ich musste alle tief vergrabenen Kräfte in mir kanalisieren, um nicht meinen spärlichen Mageninhalt nach außen zu befördern.

»Ach ja, das war soooooo ein schöner Abend, Mädels. Das sollten wir unbedingt wiederholen!", quietsche Suz, als hätten wir gestern nicht den vorhandenen Alkoholvorrat in einem der Maxi-Kühlschranke um mindestens die Hälfte reduziert.

»Suz ... Luft!«, keuchte Ilvy. Ich fühlte mit ihr. Obwohl ich Suz' Kater-Ich gewöhnt war, war es jedes Mal aufs Neue eine Zumutung, die geradewegs aus der Hölle zu kommen schien. Es gab nur einen Weg, um sie ruhig zu stellen.

»Suz, du nervst! Halt einfach deine Klappe, verstanden?", befahl ich in dem schärfsten Deutsch, das ich zustande bringen konnte. Suz' dunkle Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

»Ihr seid solche Langweiler!«

Ehe sie davon stapfte, warf sie ihre Haare nach hinten. Vielleicht hätte ich ein schlechtes Gewissen haben sollen, aber das verschwand gänzlich, als vor mir die schönste aller frisch gezapften, goldenen Flüssigkeiten auftauchte.

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